Diplomatie nach der Pandemie

Wohl schon am Anfang der Diplomatie stand die Überzeugung, dass besonders in Krisenzeiten die Kommunikation zur Überwindung von „Distanz“ und zur Erreichung gemeinsamer Ziele notwendig und möglich ist.

Text von Emil Brix

Was wird die COVID19-Krise für die Zukunft der internationalen Beziehungen bedeuten? Wenn die erfolgreichste Strategie zur Bewältigung der Pandemie im „social distancing“ liegt und die internationale Staatengemeinschaft gerade feststellt, dass alle ihre Mitglieder in der Gesundheits- und Wirtschaftspolitik vorwiegend nationale Lösungen suchen, was bedeutet dies für die Weltpolitik?

Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich alles ändern wird. Aber viele der bereits seit längerer Zeit bestehenden Trends werden noch deutlicher werden. Auch die Diplomatie wird Wege finden müssen, wie die global verordnete neue „Distanz“ ganz praktisch bei Verhandlungen nicht dazu führt, dass es schwieriger wird, Kompromisse zu schließen und Gemeinsamkeiten zu finden. Natürlich können  Videokonferenzen den persönlichen Kontakt nicht ersetzen. Aber es gibt in der Geschichte der internationalen Beziehungen viele Beispiele dafür, wie kreativ die Diplomatie auf sich ändernde gesellschaftliche, politische oder technische Bedingungen reagiert hat, und man muss dafür nicht einmal das historische Beispiel der „Heiratsdiplomatie“ heranziehen.

Die sogenannten „Sanktionen“ von 14 EU-Mitgliedsstaaten gegen Österreich im Februar 2000 wegen der Bildung einer österreichischen Regierung unter Einbeziehung der als rechtspopulistisch eingestuften FPÖ führten für Monate zu einer besonderen Form des „social distancing“ gegenüber österreichischen Regierungsvertretern seitens der anderen EU-Staaten. Man gab ihnen nicht mehr die Hand, sie wurden nicht mehr eingeladen, sie sollten „isoliert“ werden. Diese Form der Distanzierung wurde nach mehr als einem halben Jahr nicht dadurch aufgehoben, dass sich Regierungsspitzen oder Diplomaten möglichst persönlich vertrauensvoll in die Augen gesehen haben, sondern von einem sogenannten „Bericht der Weisen“. Eine Gruppe von drei international renommierten Persönlichkeiten bestätigte in einem schriftlichen Bericht, dass die damalige österreichische Regierungspolitik die europäischen Werte nicht verletzt.

Die Diplomatie wird Wege und Methoden finden, um auch in der heute aus gesundheitlichen Gründen notwendigen „Distanz“ erfolgreich zu handeln. Die Überwindung von „Distanz“ war und ist eine Kernaufgabe von Diplomaten.

Aber die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen der COVID19-Pandemie werden bereits vorhandene geopolitische Entwicklungen verstärken. Wer in den aktuellen Analysen der weltweiten außenpolitischen Think Tanks nachliest, der sieht ein ziemlich eindeutiges Bild an pessimistischen Prognosen:

Die Staatengemeinschaft wird effektivere multilaterale Verhandlungsmöglichkeiten brauchen, weil die Rivalität der Weltmächte zunimmt, ohne dass ein neues stabiles Gleichgewicht erkennbar ist. Dies gilt bezüglich der Währungssysteme, der Organisation der weltweiten Handelsströme, und auch bezüglich der internationalen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas wird sich fortsetzen. Die Macht der Vereinigten Staaten nimmt weiter ab.

Das europäische Projekt wird seine schwierige Suche nach der eigenen geopolitischen Position fortsetzen. Russland wird weiterhin auf Rohstoffe und militärische Stärke vertrauen. Die Zunahme der Flüchtlingsströme wird Solidarität in den „reichen“ Ländern noch schwieriger machen. Die internationale Politik wird noch mehr „re-nationalisiert“, weil das trügerische Vertrauen in den Nationalstaat als Problemlöser gerade wieder fröhliche Urstände feiert. Man vertraut ihm mehr als einer solidarischen Weltgemeinschaft. Liberale Demokratien geraten weiter unter Druck, weil sie ihre Versprechungen bezüglich Wohlstand und Gerechtigkeit nur teilweise erfüllen können.

Die Herausforderungen für eine Diplomatie, die sich der Sicherung einer gerechten, friedlichen und möglichst stabilen Weltordnung verpflichtet fühlt, werden durch die Pandemie um vieles deutlicher. Wir leben nicht in einer Endzeit, einem „end of history“. Vielleicht enthält diese Erkenntnis, trotz aller Gefahren, ein Stück Hoffnung.

Foto: Diplomatische Akademie/Peter Lechner