Multilaterale Diplomatie in Zeiten von Corona

Wolfgang Amadeus Brülhart, Schweizer Vertreter bei der OSZE und den VN, über den Umgang mit den Herausforderungen der Covid-19-Krise.

Sie sind seit September 2019 Chef der Ständigen Vertretung der Schweiz bei der OSZE, bei den VN und anderen internationalen Organisationen in Wien. Wie haben Sie den Moment erlebt, als die hiesige Regierung die drastischen Covid-19-Maßnahmen beschloss?

Ich zitiere die Kulturspalte der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), die diesen Moment der Weltgeschichte in Wien Mitte März 2020 wie folgt beschrieb: «Alles Walzer!» – längst ist das Kommando, welches jeweils am Wiener Opernball die Tanzfläche freigibt, verklungen und sämtliche Kultureinrichtungen der Donaumetropole – wie diejenigen der meisten anderen Städte – sind geschlossen. «’Alles Virus!’, heißt es jetzt». Ich erinnere mich, als ich das Führungsteam meiner Vertretung am 13. März 2020 zusammenrief, dann mit der sofortigen Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen begann, und wir uns ins «Home-Office» begaben.

Was bedeutete dies konkret?

Die Tore in der Hofburg, wo die Sitzungen der OSZE normalerweise stattfinden, und die Türen im Quartier der Vereinten Nationen (UNO) in Wien, schlossen sich. Internationale Konferenzen wurden abgesagt oder verschoben. Die meisten Mitarbeitenden der multilateralen Organisationen und diplomatischen Vertretungen begaben sich in den «Home-Office-Modus». Einige Mitarbeitende meines Teams unterstützten die Konsularabteilung der bilateralen Vertretung Wien und damit die «Schweizer-Rückholaktion».

Konnten die multilateralen Organisationen in Wien ihre Funktions- und Handlungsfähigkeit seit dem Ausbruch der COVID-19-Krise bewahren? Vor welchen konkreten Herausforderungen standen sie?

Nach dem Ausbruch der Krise musste jede Organisation zwei Fragen beantworten: Welchen Beitrag kann die Organisation zur Bewältigung der COVID-19-Krise leisten? Wie kann die Organisation funktions- und handlungsfähig bleiben?

Ein positives Beispiel ist sicher die OSZE, die dank dem «Leadership» des albanischen Vorsitzes sehr früh ihre Arbeit und Aktivitäten erfolgreich in den virtuellen Raum verlegte und funktions- und handlungsfähig blieb und bleibt. Am 23. April 2020 erlebten wir zudem einen historischen Moment. Die OSZE führte den ersten Ständigen Rat via Videolink (Zoom) durch. Alle 57 Delegationen sowie einige der «Partners for Cooperation» nahmen teil. Insgesamt waren über 200 Personen virtuell anwesend; eine Simultanübersetzung in sechs Sprachen war, wie zu «Prä-Corona»-Zeiten, ebenfalls vorhanden. Der albanische Vorsitz erhielt viel Lob für diesen historischen Moment.

Und Sie und Ihre Vertretung? Konnten Sie Ihre diplomatischen Aufgaben weiterhin wahrnehmen?

Ja, wir halten täglich ein virtuelles Staffmeeting ab. Es gelang uns auch, ein diplomatisches Mandat proaktiv auszuüben: Auch am Freitag, 13. März 2020, informierte der albanischen OSZE-Vorsitz alle 57 Delegationen, eine «Informal Working Group (IWG)» einzusetzen. Thema: «Civil Society Participation at OSCE meetings, with a focus on the implementation of Paragraph 16, Chapter IV of the 1992 Helsinki Document». Mir vertraute er den Vorsitz dieser IWG an. Die IWG-Gründung und die neuen Maßnahmen der österreichischen Regierung zur Eindämmung von COVID-19 fielen zeitlich zusammen. Es war demnach nicht möglich, ein erstes physisches IWG-Treffen zu organisieren. Mit Hilfe von «digitaler Diplomatie» gelang es meinem Team, innerhalb von sechs Wochen zwei Konsultationsrunden mit allen Delegationen durchzuführen. Diese virtuellen «1:1-Treffen» wurden – insbesondere wegen der Transparenz und des inklusiven Charakters – von allen geschätzt.

Seit dem 1. Januar 2020 haben Sie ein „HouseofCHinMultilateralVienna“ in Ihrer Residenz etabliert und schon einige innovative Anlässe durchgeführt. Dann kam das Virus. Vorderhand führen wir keine Arbeitsessen und Anlässe mehr in der Residenz durch. Aber wir haben uns auch hier angepasst: Um unter anderem auch die lokalen Restaurants zu unterstützen, lud und lade ich zu «virtuellen Arbeitsessen» ein. Mein Team organisiert die Lieferung der Menus, die im Restaurant zubereitet wurden. Bei Speis und Trank lassen sich Themen wie «Reaktion auf die COVID-19-Krise» und «Erhaltung der Funktions- und Handlungsfähigkeit der multilateralen Organisationen in Wien» gut diskutieren.

Wie werden die multilateralen Organisationen in den nächsten zwölf Monaten arbeiten?

Es ist schwierig, zu diesem Zeitpunkt eine Prognose zu machen. Ich glaube, dass wir «hybride Arbeitsmethoden» finden werden. Wenn es wieder möglich ist, physische Treffen abzuhalten, dann könnte ich mir vorstellen, dass die Vertreter/innen der diplomatischen Vertretungen in Wien mit «Social Distancing» im Saal anwesend sind, und die Vertreter/innen der Hauptstädte zugeschaltet werden. Das wird nicht immer gehen, aber könnte ein «Arbeitsmodus-Kompromiss» werden. Für mich bleibt aber das wichtigste für die nächsten 12 Monate, dass es den multilateralen Organisationen auf der ganzen Welt gelingt, substanzielle Beiträge zur Bewältigung der COVID-19-Krise zu leisten.

Sie tragen die „Last“ des musikalischen Vornamens „Wolfgang Amadeus“. Waren Ihre Eltern musikalisch? Oder verraten Sie uns das Geheimnis Ihres Vornamens?

Sehr gerne. Vielleicht hat mich ja auch mein Vorname nach Wien gebracht, wer weiß…. (lacht). Ja, meine Eltern waren musikalisch: mein Vater spielte die Trompete, meine Mutter sang in einem Chor. Der Grund meines Vornamens ist aber ein anderer. In meinem Dorf hatte ich seit meiner Geburt einen Namensvetter: Wolfgang Brülhart. Als Jugendlicher gab es oft Verwechslungen. Als ich zum ersten Mal ein eine kleine Wohnung bezog, erhielt ich eines Tages seine von ihm bestellte Möbellieferung vor meiner Haustüre. Zu diesem Zeitpunkt studierte ich Jura an der Universität Fribourg/ Freiburg. Professor Schnyder lehrte uns, aus welchen Gründen man/frau seinen Vornamen oder Namen ändern könnte. In der Folge ersuchte ich die Regierung des Kantons Fribourg/ Freiburg um eine Vornamensänderung: von „Wolfgang“ zu „Wolfgang Amadeus“. Meinem Gesuch wurde stattgegeben und seit dem 23. Lebensjahr feiere ich auch den „Geburtstag von Wolfgang Amadeus“ jeweils im November.

Foto: SOCIETY/Pobaschnig