Klima-Bürger*innenräte – Ein gegenseitiges Zuhören

Im Gespräch mit SOCIETY erzählt Fridays for Future Aktivist Daniel Gratzer über die Vorteile deliberativer Demokratieprozesse, Bewusstsein für Klimafragen und eine gemeinsame Antwort auf die Herausforderung des Jahrhunderts.

Als Teil des Antrags zum Klimavolksbegehren wurde vom Nationalrat für Herbst 2021 ein Klima-Bürger*innenrat beschlossen. Was kann man sich unter Bürger*innenräten vorstellen?

Bürger*innenräte sind ein Gremium, in dem repräsentativ zufällig ausgewählte Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg zu einem kommunal relevanten Thema diskutieren. Am Ende eines solchen deliberativen Prozesses stehen gemeinsam erarbeitete Lösungsvorschläge, die in der Regel auch politisch umgesetzt werden. Bürger*innenräte beruhen auf gemeinsamer Kommunikation und gegenseitigem Zuhören; daher sind sie als Zugang besonders geeignet für komplexe und weitreichende Fragestellungen, für die die Gesellschaft als Ganzes eine Antwort finden muss.

Deliberative Demokratieprozesse erleben gerade einiges an Momentum, in Frankreich, Deutschland oder Schottland fanden schon Bürger*innenräte statt, oft auch zu Klimathemen. Die Potentiale eines Zugangs, der Bürger*innen Gehör verschafft und sie direkt in die Gestaltung der Zukunft mit einbindet sind riesig.

Welche konkreten Vorteile bringt dieses Modell? 

Die Ergebnisse eines Bürger*innenrates sind unmittelbar demokratisch legitimiert, da sie von verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen mitgestaltet worden sind. Resultate zu erzielen, die Rückhalt in einem Großteil der Bevölkerung – und der Wählerschaft – haben, ist natürlich auch für politische Initiatoren ein großer Vorteil. Darüber hinaus fördert Bürger*innenbeteiligung eine Sensibilisierung für das jeweils behandelte Thema in der Bevölkerung: Im Idealfall wird durch die mediale Begleitung eines Bürger*innenrates nicht nur im Gremium selbst, sondern auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ein Aushandlungsprozess angestoßen. Ein solches Klima, in dem gegenseitiges Zuhören ermöglicht und gefördert wird stärkt langfristig auch die repräsentative Demokratie. 

Warum könnte ein Bürger*innenrat gerade in Klimafragen die richtige Lösung sein? 

Gerade bei hochkomplexen Themen wie der Klimakrise sind die Vorzüge eines Bürger*innenrates gut auszuspielen. Laut IPCC-Berechnungen bleiben uns nur noch neun Jahre, um das Maß der globalen Erhitzung in einem halbwegs vertretbaren Rahmen zu halten. Sind die sogenannten tipping points – wie das Schmelzen des Permafrosts oder das Verschwinden des Amazonas-Regelwaldes – erst mal erreicht, sehen wir unvorhersehbaren, katastrophalen Folgen entgegen, da sich die Erhitzung dann verselbstständigt. Um das zu verhindern bedarf es einer tiefgreifenden ökonomischen, sozialen und politischen Transformation – und das in kürzester Zeit.

Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem viele alte Prinzipien, Paradigmen und Narrative nicht mehr halten – der Mensch darf sich die Erde nicht mehr „untertan machen“. Wir müssen ein neues Verständnis unseres Platzes im planetaren System entwickeln, wie es etwa der Historiker Philipp Blom in seinem Aufsatz „Das große Welttheater“ beschreibt: Es geht jetzt darum zu entscheiden, wie wir in Zukunft zusammenleben und arbeiten werden, wie unsere Städte aufgebaut sein sollen und was überhaupt ein gelungenes Leben heißt. Der Planet stellt uns vor diese Fragen und der beste Weg, ihnen zu begegnen ist: gemeinsam. Denn die Antworten müssen dann auch gemeinsam gelebt werden. Klima-Bürger*innenräte sind in diesem Sinne eine gute Strategie dafür, Klimaschutz auf wirkungsvolle Art und Weise so voranzubringen, dass auch alle mitgehen können. Im deliberativen Aushandlungsprozess vergleicht man nicht nur bestehende Meinungen miteinander, sondern erstellt ein neues, kollektives Narrativ, nach dem man in der Gesellschaft handeln kann und das auch Rückhalt hat. Für die große Transformation, die uns bevorsteht, ist das essenziell.

Welche Rolle spielt Fridays for Future als aktivistische Bewegung in diesem politischen Großprojekt?

Nach außen hin sieht man von FFF meist „nur“ Großdemos; hinter den Kulissen stehen wir aber in regem Kontakt mit allen, die es mit dem Klimaschutz ernst meinen. Was die Klima-Bürger*innenräte angeht sehe ich unsere Verantwortung darin, wirklich genau hinzuschauen. Wir wollen eine beobachtende, kontrollierende Rolle einnehmen und sicherstellen, dass die Rahmenbedingungen gut gestaltet sind. Gleichzeitig wollen wir auch aktiv Aufmerksamkeit darauf lenken, dass sich Bürgerinnen und Bürger in der Großen Transformation auch als Gestaltende begreifen können. Denn oft bringen Räte sehr ambitionierte, gesetzesreife Ergebnisse hervor, die dann von der Politik wieder zurückgefahren werden. In Frankreich zum Beispiel wurde ein Flugverbot für Kurzstrecken vorgeschlagen, das dann von der Regierung wieder abgeschwächt wurde. Eine solche Art von Rückzieher ist ein Vertrauensbruch den Bürger*innen gegenüber, der schädigend für jede Demokratie ist und den es zu verhindern gilt. 

Seit es FFF gibt wollen wir Bewusstsein für Klimafragen schaffen. Wir stehen vor der größten Herausforderung des Jahrhunderts: Wenn wir das Schlimmste für uns und zukünftige Generationen vermeiden wollen, müssen wir jetzt die richtigen Schritte setzen und das vor allem gemeinsam tun.