Die neuen Balkanesen und der Arbeitsmarkt

von Christian Wehrschütz

Jahrzehntelang galt der Balkan als Quelle von Arbeitskräften für Österreich, Deutschland und andere Länder der EU. Das Wort „Gastarbeiter“ hielt sogar Einzug in die Sprachen des ehemaligen Jugoslawiens. Doch diese Zeit ist vorbei.

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Wer in Hotels in Zagreb absteigt oder zum Bäcker um die Ecke geht, trifft auf Stubenmädel und Verkäuferinnen aus den Philippinen und anderen eher exotisch anmutenden Ländern. Ein Beispiel für den Mangel an heimischen Arbeitskräften ist die 6000 Einwohner zählende Stadt Buzet in Istrien im Grenzgebiet zu Slowenien. Bürgermeister Damir Kajin schildert die Lage am Arbeitsmarkt:

„Wir haben in Buzet etwa 3250 Arbeitsplätze; derzeit sind in der Stadt etwa 620 Ausländer beschäftigt. Die größte Ballung ausländischer Arbeitskräfte in einer Stadt in Kroatien haben wir in Buzet, weil diese Stadt wahrscheinlich eine der letzten Industriestädte in Kroatien ist.“

So beschäftigt der Autozulieferer CIMOS etwa 100 Mitarbeiter aus Usbekistan; zu einem Interview war der Betrieb nicht bereit. Vermittelt hat die Arbeitskräfte die Agentur APZ, die Zlatko Zelenika vor 20 Jahren gegründet hat; damals konnte er in Slawonien, im Grenzgebiet zu Serbien, noch aus den Vollen schöpfen. Das habe sich mit dem EU-Beitritt geändert, erläutert Zlatko Zelenika:
„Die Krise mit den heimischen Arbeitskräften begann im Jahre 2013, als Kroatien der EU beitrat; da wurde diese Krise augenscheinlich, weil eine enorme Zahl an Personen, vor allem aus Slawonien, nach Westeuropa ging, insbesondere nach Deutschland und Irland. Da entstand die Schere zwischen der Nachfrage und dem Angebot auf dem lokalen Arbeitsmarkt.“

Diesen Befund bestätigen die Volkszählungen der Jahre 2011 und 2021; zählte Kroatien 2011 noch knapp 4.285.000 Einwohner, so waren es 2021 nur mehr 3.872.000; das ist ein Minus von 400.000 Personen. Die Auswanderung in die EU begünstigte 2013 die hohe Arbeitslosigkeit, die bei mehr als 17 Prozent lag. Die Emigration war damals trotzdem sehr hoch, obwohl nicht alle Länder sofort ihre Arbeitsmärkte für Kroaten öffneten. Andererseits war damals eine Kompensation durch Arbeitsmigranten noch leichter, weil das Land an der Adria zu dem Zeitpunkt noch kein Mitglied des Schengener Vertrages war; daher konnten Arbeitskräfte sehr rasch importiert werden. Arbeitsmigration ist für Kroatien weiter eine Herausforderung; gemildert werde sie durch Zuwanderung, erläutert in Agram Dubravka Rogic Hadzalic vom Statistischen Zentralamt in Kroatien.

„Was Aus- und Zuwanderung betrifft, so wies Kroatien im Jahre 2022 einen positiven Migrationssaldo auf, der 11.000 Personen ausmachte. Denn die Zuwanderung lag bei 57.000 Personen, während 46.000 auswanderten; von ihnen waren 70 Prozent kroatische Staatsbürger und nur 30 Prozent Ausländer, deren Arbeitserlaubnis abgelaufen war.“

Im Vorjahr erteilte Kroatien 173.000 Arbeitsgenehmigungen. Die Hälfte davon entfiel auf Bürger aus dem ehemaligen Jugoslawien; 35.000 Personen kamen aus Bosnien und Herzegowina, 24.000 aus Serbien und 14.000 aus dem Kosovo. Hinzu kamen noch Arbeitskräfte aus Albanien und der Türkei. Die zweite Hälfte der Arbeitsmigranten entfiel auf Drittländer wie Nepal (24.000), Indien (15.000) gefolgt von Bangladesch und den Philippinen. Vorhanden sind natürlich auch Arbeitskräfte aus der Ukraine, die vor allem zu Beginn des Krieges vor mehr als zweieinhalb Jahren nach Kroatien kamen; doch ihre Zahl ist nicht groß. Besonders gesucht sind Arbeitskräfte in der Bauwirtschaft, im Tourismus und im Handel, was meine persönlichen Erfahrungen zu Beginn des Beitrages bestätigt haben. Beachtlich ist in Kroatien aber auch die Binnenwanderung; so gibt es insbesondere in ländlichen Gebieten viele Dörfer, die leer stehen oder keinerlei Lebendgeburten mehr aufweisen. Ein Fünftel der Bevölkerung lebt in der Hauptstadt Agram, etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in fünf der 21 Gespanschaften. Besonders massiv ist der Rückgang der Bevölkerung in Ostslawonien wegen der schlechten Wirtschaftslage. Demographie ist aber nicht nur für Kroatien, sondern mittlerweile für die meisten Länder des ehemaligen Jugoslawiens eine Herausforderung. So arbeiten auf Baustellen in Serbien bereits Personen aus Schwarzafrika, und auch in Nordmazedonien sind in Skopje und am Ohridsee Arbeitskräfte aus Nepal zu finden. 

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