Als Marokko in Wien Einzug hielt

Im Frühjahr 1783 sorgt ein diplomatisches Großereignis in Wien für Aufsehen: zum ersten Mal in der Geschichte besucht eine marokkanische Delegation die Hauptstadt des Habsburgerreiches.

von Sarah Heftberger

Am 28. Februar 1783 vormittags zieht eine imposante Kolonne durch die Wiener Innenstadt – angeführt von einem Korporal und acht Kavalleristen in ihren Uniformen sticht inmitten des Zuges eine imposante Karosse ins Auge: es ist dies die reich verzierte kaiserliche Staatskutsche, begleitet von zwei Leiblakaien, die den Gesandten des marokkanischen Sultans und Pascha von Tanger, Sidi Mohammed ben Abdul Malek, zu einem historischen Empfang beim österreichischen Kaiser Josef II. bringen soll.

Es ist das erste Mal, dass eine marokkanische Gesandtschaft im habsburgischen Wien zu Gast ist, dementsprechend groß ist auch das Interesse der Wiener Bevölkerung. Gasthäuser werden nach den Besuchern aus Nordafrika benannt, Souvenirs kreiert und verkauft und auch der Ursprung der Marokkanertorte, die heute noch in Wiener Kaffeehäusern serviert wird, geht auf diesen Anlass zurück.  

Dem diplomatischen Großereignis vorausgegangen war die lange Anreise der marokkanischen Gesandtschaft. Schon am 10. Juli 1782 gibt es Berichte in der Wiener Zeitung, dass ein schwedisches und ein venezianisches Schiff im Hafen von Algeciras eingelaufen seien, um Abdul Malek „an den Ort seiner Bestimmung zu führen“. Im Oktober berichtet dann der österreichische Konsul in Livorno, Guiliano Ricci, dass der marokkanische Gesandte samt Entourage in der toskanischen Hafenstadt eingetroffen sei. Er sei im Dienste des Sultans angereist, um dem österreichischen Kaiser zum Tod seiner Mutter zu kondolieren sowie zu seiner Thronbesteigung zu gratulieren und einen Friedens- und Freundschaftsvertrag mit Österreich auszuhandeln.

Vermutlich am 5. Dezember bricht die Gesandtschaft dann gen Triest auf, zwei Monate später beginnt die Reise nach Wien über die „Hauptkommerzialstraße“, die Kaiser Karl VI. Mitte der 1720er Jahre ausbauen hatte lassen. Mit sieben Reisewägen, einem schwerbepacktem Lastwagen und zahlreichen Geschenken fährt die Delegation schließlich über Adelsberg (Postojna), Oberlaibach (Vrhnika), Laibach (Ljubljana), Franz (Vransko), Gonobitz (Slovenske Konjice), Marburg an der Drau (Maribor), Wildon, Graz, Bruck an der Mur, Krieglach, Neunkirchen und Traiskirchen in die Hauptstadt des Habsburgerreiches.

Vorbereitungen in Wien

Währenddessen bereitet sich der Hof in Wien akribisch auf den Besuch der Delegation vor, denn es gibt strikte Protokolle aber auch Erwartungen, die erfüllt werden müssen. Gleichzeitig bedarf es einer gewissen Flexibilität, schließlich ist man zum ersten Mal Gastgeber einer marokkanischen Delegation. 

Der Hofdolmetscher Carl von Bihn, der die Maghrebiner auf ihrer Reise nach Wien begleitet, berichtet dem Kaiserhaus unterdessen regelmäßig von der Anfahrt der Delegation – und natürlich vom Gesandten. Mohammed ben Abdul Malek sei laut ihm „ein ganz besonderer Mann, der nicht den geringsten türkischen Stolz an sich hat, sondern freundlich, unterhaltend, auch zu allen bereitwilig [sic!] ist, und auf eine anständige Art zu scherzen weiß“.

Parallel dazu schürt die Presse große Erwartungen in der Wiener Bevölkerung. Immer wieder gibt es Berichte über die Gesandtschaft des Sultans von Marokko, die bald in Wien eintreffen soll.

Ankunft in Wien

Am 20. Februar 1783 ist es dann so weit: der marokkanische Gesandte trifft mit seinen Begleitern in der Habsburger Hauptstadt ein.

Er wird im Kalkreiterischen Haus neben der Paulanerkirche im heutigen 4. Bezirk untergebracht. Dort wartet er auf eine Audienz beim Kaiser.

Die Wartezeit wird ihm dabei mit zahlreichen Aktivitäten verkürzt. So wird Abdul Maleks zu Ehren zum Beispiel zu einer rauschenden Ballnacht im Palais Liechtenstein mit 500 Gästen des hohen Adels gebeten. All das wird von den Medien und Wiener:innen aufmerksam verfolgt, sogar scheinbar nebensächliches wie Kleidung und Essensgewohnheiten werden genauestens analysiert und öffentlich besprochen.

Die Audienz beim Kaiser

Acht Tage nach der Ankunft der marokkanischen Gesandtschaft in Wien findet schließlich der mit Spannung erwartete und minutiös geplante Empfang bei Kaiser Josef II. statt. Um 11 Uhr vormittags wird Abdul Malek von Hofdolmetscher von Bihn mit der sechsspännigen Kutsche des Kaisers von seinem Quartier abgeholt und zur Hofburg gebracht. Der imposante Zug aus Korporal, Kavalleristen, Grenadieren, dem Stallmeister der Gesandtschaft, den acht Präsentpferden des Sultans und der Staatskutsche mit Abdul Malek zieht also durch die Hauptstadt der Monarchie, begleitet von unzähligen Schaulustigen, die allesamt einen Blick auf den Repräsentanten des marokkanische Sultans erhaschen wollen.

Nachdem dieser in der Hofburg ankommt, wird er in das Audienzzimmer geführt, wo ihn der Kaiser mit bedecktem Haupt und in Uniform gekleidet an einem mit goldenem Stoff gedeckten Tisch empfängt. Mohammed ben Abdul Malek wendet sich sodann auf Arabisch an den Kaiser, die Ansprache wird danach vom Hofdolmetscher auf Deutsch übersetzt. Die kaiserliche Antwort wird vom Staats-Vizekanzler Johann Philipp Joseph Graf von Cobenzl vorgetragen. Außerdem übergibt Abdul Malek sein Beglaubigungsschreiben und besiegelt damit den Beginn der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Marokko.

Zuletzt nähert sich der Botschafter dem Kaiser „mit aller Ehrerbietigkeit zu dem Kleidkuß“ und kehrt in die Ritterstube zurück. Laut Zeitungsberichten dauert die Audienz gerade einmal 15 Minuten. Danach wird Abdul Malek in den Amalischen Hof geleitet, wo er noch verköstigt wird. Der Kaiser selbst soll hier inkognito am Mahl teilgenommen haben – ein Novum, wie man in den Medien anmerkt. Um drei Uhr nachmittags macht sich der marokkanischen Botschafter schließlich wieder auf den Weg zurück in sein Quartier.

Mit der Inszenierung des Empfangs dürften auch die Erwartungen der Bevölkerung erfüllt worden sein. Zahlreiche Künstler:innen sorgen außerdem dafür, dass der Besuch noch lange Zeit im visuellen Gedächtnis der Stadt bleibt. Hier sticht besonders der Maler Hieronymus Löschenkohl hervor. Er fertigt von den wesentlichen Szenen des Besuches Kupferstiche an, die er einzeln und sogar auf einen Fächer gedruckt in einem Geschäft am Kohlmarkt verkauft. Bald ziehen weitere geschäftstüchtige Unternehmer:innen nach und veräußern Portraits des Besuchers oder sogar Gipsmedaillons.

Das Zusammentreffen gipfelt schließlich im Abschluss eines Handels-, Friedens- und Freundschaftsvertrages, der noch einmal die neugeschlossenen Bande bekräftigt.  

Ein Geschenk des Königs

An das diplomatische Großereignis erinnert heute die Marokkanergasse im 3. Wiener Gemeindebezirk. Auch der Marokkanerbrunnen, der sich ebenfalls im dritten Bezirk befindet, geht auf das diplomatische Großereignis zurück: Im Jahr 1998 schenkt ihn der damalige marokkanische König Hassan II. der österreichischen Bevölkerung als Zeichen der langwährenden Freundschaft beider Länder, zurückgehend auf den 1783 unterschriebenen Handels-, Friedens- und Freundschaftsvertrag.

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