Vom Akademiker zum Botschafter

SOCIETY sprach mit dem französischen Botschafter, S.E. Gilles Pécout, über die Schlüsselaspekte seiner Arbeit und den Kampf gegen den Klimawandel.

Bevor Sie Botschafter in Österreich wurden, waren Sie Rektor der Académie de Paris, ein renommierter Historiker in Frankreich. Wie werden diese Qualifikationen Ihre Arbeit als Diplomat beeinflussen?

Ich bin von der Ausbildung und vom Beruf her Akademiker: Professor für die Geschichte des 19. Jahrhunderts. Ich habe an einer Grande École (École normale supérieure de Paris) und an der Sorbonne (EPHE) unterrichtet und ich war Rektor und Universitätskanzler der Académie de Paris mit Sitz an der Sorbonne, d. h. verantwortlich für die gesamte Bildungspolitik im primären, sekundären und tertiären Bereich in Paris und der Ile-de-France, der bedeutendsten Region in puncto Schul- und Universitätsbildung in Frankreich und einer der bedeutendsten in Europa. In dieser Funktion habe ich Präsident Macron am 26. September 2017 an der Sorbonne willkommen geheißen, als er seine große Ansprache an die Jugend in Europa hielt.

Was wird von meiner Erfahrung an der Universität und als Rektor in meine Tätigkeit als Diplomat einfließen?

Zuallererst das Bewusstsein eines Geschichtswissenschaftlers dafür, nach Wien entsandt worden zu sein, in ein Land, dessen Geschichte ich kenne und liebe und das den Reichtum und die Komplexität der Geschichte Europas seit der Neuzeit und insbesondere in der Gegenwart am besten verkörpert: ein Land, das sich seiner Vergangenheit bewusst ist, das sich jedoch eine moderne Zukunft im Dialog mit seiner Umwelt schafft und geschaffen hat.
Dann, die Notwendigkeit, Entwicklungen vor dem Hintergrund der Zeit zu sehen, ihre Genese und Mechanismen zu erfassen, ohne jedoch zu denken, dass es sich nur um eine Wiederholung handelt. Es ist wichtig, zwei widersprüchlich scheinende Aspekte zu wissen: dass unsere Epoche nicht alles erfunden hat, dass wir jedoch in einer Epoche leben, die eine noch nie dagewesene Beschleunigung der Geschichte und der Entwicklungen erfährt.
Als Professor und Rektor bin ich und werde ich ein Botschafter sein, der der Ausbildung, der Bildung und der Kultur einen hohen Stellenwert als Vehikel in den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern beimisst. Die Mobilität der Jungen, der SchülerInnen, der Studierenden, aber auch der Berufseinsteiger (KünstlerInnen, Lehrlinge, Führungskräfte, Manager und Managerinnen) wird einen meiner Schwerpunkte sein. Ich begrüße es, dass französische und francophone Persönlichkeiten in Österreich, in Wien, Schlüsselpositionen innehaben – im Naturhistorischen Museum, an der Oper, in wichtigen Bereichen der Forschung und der Industrie. Ich habe mit Freude festgestellt, dass Französisch noch stets nach Englisch die zweite Fremdsprache ist, und freue mich über die Strahlkraft des Wiener Lycée Français und des Instituts für Romanistik.
Ich möchte diesen Austausch ausbauen und die österreichische Präsenz in Frankreich ausweiten. Diese Gegenseitigkeit ist das Herzstück unserer wirtschaftlichen, intellektuellen und politischen Beziehungen, ist das, was sie so lebendig macht. Sie ist uns und unseren österreichischen Freunden und Gesprächspartnern gemein, zuallererst meinem Kollegen und Freund, dem österreichischen Botschafter in Frankreich. Und der dramatische Anschlag vom 2. November, der Wien und Paris im Unglück verbindet, führt uns vor Augen, dass auch die Ausbildung, die Kultur und die Wissenschaft Mittel im Kampf gegen die Barbarei sind, die uns angreift.

Auf welche Bereiche und Schlüsselaspekte möchten Sie während Ihrer Amtszeit den Schwerpunkt legen?

Neben den Verflechtungen im Bereich der Bildung, der Ausbildung und der kulturellen und künstlerischen Entfaltung möchte ich den Schwerpunkt auf gemeinsame Maßnahmen zum Umweltschutz setzen.
Dieses Engagement muss sich auf drei Gebiete erstrecken: die Wirtschaft und die sozialen Bedürfnisse, die Forschung und die Geisteswissenschaften.
In der heutigen Zeit ist der Kampf für das Klima und die biologische Vielfalt vorrangig. Doch die Frage des Umweltschutzes darf nicht isoliert betrachtet werden. Präsident Emmanuel Macron war diesbezüglich sehr deutlich und macht damit Schule: man muss Fortschritte erzielen und dabei den sozialen Herausforderungen Rechnung tragen. Denn das Engagement für die Umwelt und die Biodiversität als isolierten Kampf zu betrachten, würde sich gegen den Fortschritt wenden und somit gefährlich sein. Man muss die Arbeitswelt, die Wirtschaft und die Bildung ebenso wie den kulturellen und künstlerischen Fortschritt mit einbeziehen. Daher glaube ich auch an die Stichhaltigkeit des von Deborah Bird Rose und Libby Robin geprägten Ausdrucks „Ecological/Environmental Humanities“.

Wie wichtig ist Nachhaltigkeit in der Diplomatie und welche Rolle spielt die Jugend dabei?

Die Umweltfrage ist zu einem Knotenpunkt und zu einem Schmelztiegel der politischen Mobilisierung geworden. Daher ist sie für die Diplomatie aus zwei Gründen wesentlich: einem generationellen und einem geopolitischen.
Zunächst ist dank ihr die junge Generation erneut an Politik interessiert. Es ist das Verdienst der „grünen Politik“, dass die Jugend, die der Führungsschicht mit viel Misstrauen begegnet „repolitisiert“ wird. Ihr Engagement tritt in Fragen des Klima- und des Umweltschutzes zutage. Die Bildung spielt dabei eine beträchtliche Rolle: Die Wissensvermittlung muss sich auf eine solide, wissenschaftliche Grundlage stützen.
Die andere große Herausforderung ist die internationale Politik: Durch den Umweltschutz findet eine positive Globalisierung statt. Und im Falle Europas sieht man, wie sehr der Umweltschutz eine Frage der Einheit ist. Frankreich und Österreich stehen vor denselben Herausforderungen und machen aus der Biodiversitätsfrage einen Kitt für die Europäische Union, mit dem zusätzlichen Bestreben, den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt im respekt- und verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt zu vereinen, ein Markenzeichen unserer beiden Länder.

Sie haben bei einem Gipfel den erklärten Klimaaktivisten Arnold Schwarzenegger getroffen. Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um die komplexen Probleme rund um den Klimawandel zu bewältigen?

Ich habe Herrn Schwarzenegger bei einer großen Veranstaltung im Frühjahr 2017 an der Sorbonne getroffen, wo unter Beisein von Laurent Fabius und Präsident Macron eine erste Bilanz über die COP21 gezogen wurde. Dabei hat Schwarzenegger – ich war zugegebenermaßen überrascht – unterstrichen, welch wichtigen Stellenwert er der Erziehung beimisst und der Fähigkeit der Jugend, sich bewusst großen Plänen der Regierung zu widersetzen, wenn diese den Interessen des Planeten zuwiderlaufen.
Diese Veranstaltung, so wie das Engagement meines Landes – und des Ihren auf höchster Ebene – lassen immer wieder dasselbe zutage treten: Der Kampf für die Umwelt ist kein isolierter; es gibt einen globalen Ansatz, der die gesamte Gesellschaft auf allen Ebenen betrifft. Ich misstraue dem Konzept der Umwelt als Abstraktum, als jeder Realität entbehrendem Idealismus. Wir müssen uns vor einem Wiederaufflammen des Kampfes gegen den Fortschritt in Acht nehmen, der in einer apokalyptischen Vision der Welt, in der wir leben, mündet. Wir müssen gegen diese Instrumentalisierung der Umweltfrage kämpfen. Die dynamischen wirtschaftlichen, politischen, und intellektuellen Kräfte in unseren Ländern haben das begriffen. Dieser globale Ansatz wird auch bei den großen Umweltgipfeln 2021 zu sehen sein. Das ist das Anliegen Frankreichs, das für 2021 den One Planet Summit und anschließend den Weltkongress der Internationalen Union zur Bewahrung der Umwelt (IUCN), beide in Marseille, ausrichtet. Diese beiden Treffen sind von wesentlicher Bedeutung, wenn wir die COP15 zur biologischen Vielfalt im November 2021 in China gebührend vorbereiten wollen.

Wie würden Sie die derzeitigen Beziehungen zwischen Österreich und Frankreich beschreiben?

Frankreich und Österreich sind durch die Geschichte und die Kultur verbunden. Das ist zugleich viel und wenig und muss verstärkt werden. Zwischen den beiden Ländern bestehen auch enge Verflechtungen in einigen zum Teil weniger sichtbaren Wirtschafts- und Handelssektoren, die jedoch sehr leistungsstark sind. Ein Zeichen dafür ist unsere dynamische Französisch-Österreichische Handelskammer (CCFA). Ich möchte ebenfalls sobald als möglich die Bundesländer besuchen, wo wirtschaftliche Akteure intensiv an der französisch-österreichischen Beziehung arbeiten.
Unsere beiden Länder und Bürger sind es einander schuldig, Probleme gemeinsam anzugehen. Ich sehe hier vor allem einerseits den wichtigen und zuversichtlichen Kampf für die Umwelt und die biologische Vielfalt und andererseits den durch den Ernst unserer Zeit dringlich gewordenen Kampf gegen die Barbarei und alle Formen des Radikalismus, die den Errungenschaften der Aufklärung feindlich gegenüberstehen, beginnend mit dem Kampf gegen den radikalen Islamismus, der unsere gemeinsamen Werte ablehnt.
Dieser einfache jedoch dringliche und sogar lebensnotwendige Fahrplan verleiht meiner bilateralen Arbeit als Diplomat in einer Hauptstadt, wo sich zudem die Diplomatie der Europäischen Union – und ich kann dies persönlich bezeugen – in Form der größten Einigkeit und Solidarität zeigt, Sinn.

Foto: SOCIETY/Pobaschnig