Die Psychologie des Tradens

Wie kann man an der Börse erfolgreich sein und welche Rolle spielt dabei Psychologie? Der Experte für Finanzpsychologie Roland Ullrich erklärt in seinem Buch „Trading-Psychologie für dummies“, wie man auf dem rutschigen Börsenparkett bestehen kann. SOCIETY hat mit ihm gesprochen.

In Ihrem Buch „Trading-Psychologie für dummies“ schreiben Sie, dass der Mensch eigentlich nicht fürs Traden gemacht ist. Warum nicht?

Im Laufe unseres Evolutions- und Selektionsprozesses haben wir bestimmte Denk-, Verhaltens- und Reaktionsmuster entwickelt, die sich bewährt und durchgesetzt haben. Mit diesen treffen wir dann auf die Börse, die aber nach ihren ganz eigenen Gesetzen funktioniert. Hirnforscher sagen, dass sich unser Gehirn nur etwa ein bis zwei Prozent alle paar Tausend Jahre weiterentwickelt – das mag im Zeitraffer der Evolution schnell erscheinen, aber mit der dynamischen Entwicklung der Wirtschaft, der Finanzmärkte und der Digitalisierung in den letzten ein- bis zweihundert Jahren, konnte unser Gehirn im wahrsten Sinne des Wortes nicht mithalten.

Unsere teils archaischen Denk- und Verhaltensweisen passen also nicht zu den Mechanismen des Börsenmarktes. In der Evolutionsgeschichte hat es sich zum Beispiel über lange Zeit bewährt, „Gewinne“ sofort zu konsumieren – so machen wir das häufig auch an der Börse. Dieses Verhalten lässt sich mit dem Drang nach sofortiger Belohnung, dem „Instant Gratification Prinzip“ (sofortige Bedürfnisbefriedigung, Anm. der Redaktion) erklären. Zum einen werden in unserem Gehirn bei Gewinnen Dopamin und Endorphine freigesetzt, zum anderen verspüren wir den Drang, diese Gewinne schnell mitzunehmen und sicherzustellen. In diesen Fällen verhalten wir uns gleichzeitig auch risikoaverser als bei Verlusten, wo wir Aktien häufiger laufen lassen. Im Falle eines Verlustes werden in unserem Gehirn nämlich Stresshormone, wie etwa Adrenalin, im schlimmsten Fall sogar das Panikhormon Cortisol, freigesetzt  –  wir wollen den Verlust dann oft nicht realisieren und werden plötzlich risikofreudiger, kaufen vielleicht sogar Aktien nach und hoffen dann, dass sich der Kurs dreht und begehen den Fehler, eine Position, die in den Verlust läuft, nicht sofort zu schließen. Wir machen also das Gegenteil davon, was rational gesehen vernünftig wäre. Versuche im Hirnscanner offenbaren den Grund für dieses vollkommen unlogische Verhalten: Gewinne und Verluste werden in unterschiedliche Gehirnarealen in unterschiedlicher Intensität verarbeitet.

Wir tendieren dazu, Mehrheitsmeinungen zu folgen – an der Börse ist das aber nicht immer empfehlenswert.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist das klassische Herdentriebverhalten, das tief im Menschen verankert ist. Der Mensch hat im Laufe der Evolution nur überlebt, wenn er sich Gruppen angeschlossen und untergeordnet hat. Wir tendieren dazu, Mehrheitsmeinungen zu folgen – an der Börse ist das aber nicht immer empfehlenswert. Diese Verhaltensart wird vom Bindungshormon Oxytocin gesteuert, welches dafür sorgt, dass wir uns in einer Gruppe wohlfühlen, gleichzeitig aber oftmals ein Stück weit unseren Verstand abgeben.

So lässt sich teilweise das Verhalten der Privatanleger erklären, die häufig nach dem „buy high sell low“ Prinzip agieren, ein typisches massenpsychologisches Phänomen. Sie kaufen, wenn die Kurse hoch sind, springen also auf eine Euphoriewelle auf und verkaufen dann, wenn die Angst und Panik besonders groß ist und die Kurse stark gefallen sind. Rational gesehen sollte es aber genau umgekehrt sein, denn das hat sich bis jetzt in jedem Crash bewährt, auch im letzten Jahr in der Corona-Krise. Da ist der Markt sehr schnell, sehr scharf eingebrochen, es kam zu panikhaften Verkäufen, die Verluste wurden aber in kürzester Zeit mehr als wieder aufgeholt. Wer also damals in dem Crash die Ruhe bewahrt hätte und am Tiefpunkt der Kurse eingekauft hätte, würde heute mit tollen Gewinnen dastehen.

Wie kann man diese „menschliche Schwäche“ umgehen und ein erfolgreicher Trader/eine erfolgreiche Traderin werden?

Hier gilt das Motto „Erkenntnis ist der erste Weg zur Besserung“. Man muss verstehen, wie das Gehirn funktioniert und wie unsere unbewussten Reiz-Reaktionsmuster und Fluchtmechanismen ablaufen. Außerdem ist es wichtig, die eigenen, persönlichen Denk- und Verhaltensmuster zu kennen. Hier kommen wir in den Bereich der Persönlichkeitsmerkmale und Kompetenzen: Jeder Mensch hat eine andere Risikotoleranz und unterschiedliche Eigenschaften, was das Verhalten an der Börse angeht. Diese gilt es zu erkennen und zu identifizieren. In meiner Praxis mache ich das mit Hilfe von Persönlichkeitstests und Kompetenzdiagnoseverfahren – aus den Ergebnissen leitet sich dann ein passender Trading-Stil ab. Denn nur wenn ich den zu meiner Persönlichkeit passenden Handelsansatz gefunden habe, kommen meine Fähigkeiten und Stärken zur Geltung. Das heißt, ich muss herausfinden, in welchen Märkten mit welchen Finanzinstrumenten und auf welcher Zeitebene ich mich wohl fühle. Bin ich ein kurzfristiger Trader oder eher ein langfristiger Anleger? Investiere ich in Aktien oder traue ich mir gehebelte Produkte wie zum Beispiel Optionsscheine zu?

Emotionen, evolutionär bedingten Verhaltensweisen und unbewusste Reiz-Reaktionsmuster kann ich durch regelbasiertes Trading in den Griff bekommen. Dazu gehören eine definierte Strategie, klare Ziele ein striktes Regelwerk, an das ich mich auch halte. Und nicht zu vergessen ist ein striktes Risikomanagement. Um es klar zu formulieren: Verlustbegrenzung durch Stop-Loss Orders für jede einzelne Position, die ich eingehe, ist unverzichtbar. Ebenso wichtig ist eine breite Streuung der Investments, um Klumpenrisiken zu vermeiden. Das Beispiel der Wirecard-Pleite zeigt, wie wichtig es ist, einzelne Wertpapiere nicht zu stark überzugewichten. Merke: Depotschutz hat oberste Priorität.

Wie wesentlich ist es bei alldem aber auch, den Markt zu kennen?   

Wissen ist natürlich wichtig, es bedarf neben einer Persönlichkeitsanalyse auch einer fundierten Marktanalyse, man muss aber definitiv kein Topexperte sein, um an der Börse erfolgreich zu sein, denn dort gilt: eine erfolgreiche Anlage ergibt sich zu 80 Prozent aus Psychologie und 20 Prozent aus Methodik und Risikomanagement.

Haben Sie durch Corona ein gesteigertes Interesse am Trading feststellen können?

Das Interesse hat sich massiv gesteigert. Bekannt geworden sind vor allem die sogenannten Robin Hooder, (abgeleitet von der Trading-App Robinhood, Anm. der Redaktion) – da sind Millionen Trader zusätzlich an den Markt gekommen und haben diesen mittlerweile auch beeinflusst. Vor allem die Reddit/Gamestop Geschichte in den USA war spektakulär: private Investoren haben die Gamestop-Aktie in ungeahnte Höhen getrieben und einen Milliarden-Verlust für Hedge Fonds verursacht, die auf fallende Kurse spekuliert hatten.

Die Jugend entwickelt sich langsam zu einer Generation Börse

Roland Ullrich im SOCIETY Interview

Die Begeisterung für das Traden schwappte dann auch nach Europa über. Laut Statistiken wurden im letzten Jahr bei den Online-Brokern 1,5 Millionen zusätzliche Depots eröffnet. Mittlerweile liegen wir bei über zwei Millionen, die Tendenz weiter steigend. Die Jugend entwickelt sich langsam zu einer „Generation Börse“. Das wurde einerseits durch den Lockdown und die daraus resultierende Langeweile vorangetrieben, andererseits auch durch die zahlreichen Trading-Apps, die zur Demokratisierung der Börse beitragen und durch die es extrem einfach und kostengünstig geworden ist, an der Börse zu spekulieren. Beim Boom der Technologieaktien sprangen dann viele auf diesen Zug auf und haben auch gutes Geld verdient.

Das scheint auch ein recht nachhaltiger Trend zu sein. Man darf nämlich nicht vergessen, dass sich die Jugend in einer durchaus schwierigen Situation befindet – wir leben in einer Welt von Nullzinsen, das heißt, den Zinseszinseffekt, mit dem man früher sein Vermögen noch relativ einfach vermehren konnte, gibt es nicht mehr. Hinzu kommt, dass die staatliche Altersvorsorge nicht mehr gesichert ist, die Jugend ist also beinahe gezwungen, anderweitig für das Alter vorzusorgen. Man spricht hier auch vom TINA-Effekt: „There is no alternative“ – wenn sie noch Rendite erwirtschaften und ein Vermögen aufbauen wollen, gibt es kaum eine Alternative zum Aktienmarkt. Das ist natürlich ein Gamechanger. Generell ist sehr viel mehr Interesse da, sich aktiver an den Märkten zu engagieren und sein finanzielles Schicksal selber in die Hand zu nehmen. Was aber teils fehlt, ist ein konkreter Plan, ein Regelwerk, eine Strategie. Es ist deshalb wichtig, die junge Generation ein Stück weit an die Hand zu nehmen, denn sie muss lernen, mit den großen Schwankungen der Börse umzugehen.

Die Aktienmärkte verlaufen aktuell ja sehr asynchron zur Realwirtschaft.

Ja, das ist es auch, was ein wenig verunsichert. Die Bewertung der Märkte hat sich von der Realwirtschaft völlig abgekoppelt. Das ist ungewöhnlich, auch wenn es das für kürzere Zeitperioden auch davor immer wieder einmal gab. Die Märkte sind dann völlig überteuert und fundamental nicht mehr rechtfertigbar, oder umgekehrt. Irgendwann setzen sich aber dann die Fundamentaldaten durch. Die Aktienkurse spiegeln ja grundsätzlich erwartete Gewinne bzw. die erwartete Entwicklung eines Unternehmens in der Zukunft wider. Die Zentralbanken und Regierungen haben nun aber durch die Nullzinspolitik bzw. die Billionenbeträge, die in die Wirtschaft gepumpt wurden, die Marktmechanismen ein Stück weit ausgehebelt. Dieses Geld fließt nun vorrangig in die Kapitalmärkte – durch so eine Liquiditätsflut schwappen dann auch schnell die Märkte über und bewegen sich dann auf einem sehr hohen Bewertungsniveau – das erhöht wiederum die Absturzgefahr.

Sie waren einige Jahre an der Wall Street in New York. Wie hat Sie diese Zeit geprägt?

Was ich mich immer gefragt habe – auch während meiner Zeit in New York, London oder Frankfurt – ist, wie  trotz der unglaublichen Infrastruktur, die es an diesen Börsen gibt, Misserfolge zustande kommen. Dort gibt es hochintelligente Menschen, technologisch ist man an der Spitze, man hat Zugang zu sämtlichen Newskanälen und erhält Informationen aus aller Welt sozusagen in Echtzeit – warum gibt es dann irrationale Exzesse an den Börsen und warum verlieren selbst Profis regelmäßig Geld? Das bestimmende Thema ist auch hier die Psychologie. Menschliche Verhaltens-, Reiz- und Reaktionsmuster treffen auf Märkte, die zwar von Menschenhand aber nicht für die menschliche Psyche gemacht wurden. Oft ist es tatsächlich so, dass die Dinge, die sich absolut falsch anfühlen, an der Börse oftmals genau die richtige Vorgehensweise sind. Eine der spannendsten Erfahrungen dahingehend war für mich die Zusammenarbeit mit Hirnforschern an der Universitätsklinik Bonn. Durch die Neurofinanzforschung kann man verstehen und erkennen, warum wir so stark von unseren Emotionen getrieben sind. Hirnforscher und Ökonomen arbeiten hierbei zusammen und unternehmen Versuche mit Hirnscannern, mit welchen man sieht, welche Gehirnareale wann und warum aktiviert werden und welche biochemischen Prozesse dabei eine Rolle spielen. Hirnströme statt Börsenkurse zu analysieren würde einen Beitrag leisten, Marktbewegungen besser zu verstehen und auch vorherzusagen.

Welchen Stellenwert hat dieses Forschungsfeld der Finanzpsychologie heute im Trading-Bereich?

Im angelsächsischen Raum ist dieses Forschungsgebiet sehr populär, in Europa und im deutschsprachigen Raum im Vergleich noch weniger, wobei auch hier immer mehr dazu geforscht bzw. publiziert wird. An der Wall Street in New York gibt es sehr viele Trading-Psychologen, von denen sich professionelle Trader, Fondmanager und Investoren beraten lassen. Dort hat man verstanden, dass Trading-Erfolg sehr viel mit Psychologie zu tun hat.

CV

Roland Ullrich, Diplom Volkswirt und Chartered Financial Analyst (CFA), hat 20 Jahre bei Investment Banken in Frankfurt, London und New York gearbeitet. Er war fünf Jahre an der Wall Street tätig. Seit 2010 trainiert er private wie professionelle Anleger und Trader, schreibt Fachbeiträge und Bücher, produziert Lehrvideos, hält Vorträge und Seminare über Trading-Psychologie und Börsenstrategien. Ein über viele Jahre angeeignetes Wissen in Psychologie und Neurowissenschaften hat er mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung an den internationalen Finanzmärkten verbunden.

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