Zukunftsmarkt Zentralasien

Lisa Kronreif ist stellvertretende Wirtschaftsdelegierte im AußenwirtschaftsCenter Almaty. SOCIETY hat sie einen Einblick in den Wirtschaftsraum Zentralasien und in die wirtschaftlichen Verbindungen der Region mit Österreich gegeben.

Als Wirtschaftsdelegierte-Stellvertreterin im AußenwirtschaftsCenter Almaty sind Sie Expertin für den Wirtschaftsraum Zentralasien. Wie bewerten Sie diesen aktuell?

Zentralasien ist ein riesiger Markt mit großem Geschäftspotenzial für österreichische Unternehmen. Kasachstan ist nicht nur flächenmäßig das größte Land der Region (weltweit sogar das neuntgrößte!), sondern auch DER Wirtschaftsmotor und Österreichs wichtigster Handelspartner in Zentralasien. Gute Geschäftschancen ergeben sich vor allem in den Bereichen der Industriemodernisierung, im Infrastrukturausbau (Stichwort Seidenstraße!), im Bereich Umwelttechnologien und im Landwirtschaftssektor. Rund 400 österreichische Firmen sind in Kasachstan aktiv, viele davon sind auch mit Niederlassungen und Handelsvertretern lokal präsent. Usbekistan gilt als attraktiver Wachstumsmarkt und „Rising Star“ Zentralasiens. Mit 34 Millionen Einwohnern ist es das bevölkerungsreichste Land der Region und eines der Länder mit der jüngsten Bevölkerung weltweit (60 Prozent der Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt). Usbekistan hat die wohl diversifizierteste Wirtschaft in Zentralasien und Chancen gibt es in beinahe allen Branchen, vor allem im Maschinenbau, der Chemieindustrie, bei der Nahrungsmittelverarbeitung, im Gesundheitsbereich und auch im Tourismus. Turkmenistan ist – trotz einiger großer Erfolgsprojekte – eines der am wenigsten bekannten Länder auf der österreichischen Exportlandkarte. Das Land bietet aber vor allem im Energiesektor großes Geschäftspotenzial. Es verfügt über die viertgrößten Erdgasvorkommen der Welt, welche derzeit zu einem Großteil nach China exportiert werden. Kirgisistan und Tadschikistan sind vor allem aufgrund ihrer reichen Wasservorkommen und ihres Tourismuspotenzials interessant.

Wie hat die Region aus wirtschaftlicher Sicht COVID-19 „erlebt“?

Die Pandemie hat – ebenso wie weltweit – erhebliche Auswirkungen auf Zentralasien. Vor allem Tadschikistan und Kirgisistan sind von Rücküberweisungen von Gastarbeitern aus dem Ausland abhängig, die während der letzten knapp anderthalb Jahre großteils ausgeblieben sind. Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan haben ihre Grenzen geschlossen und Lockdowns verhängt. Die Auswirkungen der Pandemie betrafen vor allem die Industrie, den Bausektor, den Bergbau, den Tourismus und das Ingenieurswesen. Vergleichsweise weniger betroffen waren der Handel, der Finanz- und Versicherungssektor und Transportdienstleistungen. Niedrige Ölpreise haben zusätzlich vor allem Kasachstan geschwächt. Usbekistan war jedoch sogar eines der wenigen Länder weltweit, dessen Wirtschaft – trotz Coronakrise – im Jahr 2020 um 1,6 Prozent gewachsen ist. Bis Ende des Jahres 2021 erwartet man auch im Rest Zentralasiens wieder einen deutlichen Aufschwung und eine Erholung der Wirtschaft. Auch die Massenimpfungen haben seit dem Frühjahr 2021 hier in der Region an Fahrt aufgenommen. Zu den zugelassenen Impfstoffen gehören – abhängig vom Land – der russische Impfstoff Sputnik V, Impfstoffe verschiedener chinesischer Anbieter, aber auch der in Kasachstan hergestellte Impfstoff QazVac. Der Impfstoff von Astra Zeneca ist derzeit nur in Usbekistan und Tadschikistan, Pfizer/BioNTech bislang noch in keinem einzigen Land Zentralasiens zugelassen.

In Ihren Zuständigkeitsbereich fallen die Länder Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan, die alle dieses Jahr ihren 30. Unabhängigkeitstag feiern – wie sehen die wirtschaftlichen Verbindungen dieser Länder zu Österreich aus? Warum lohnt es sich, in diese Region zu exportieren, bzw. aus diesen Ländern zu importieren? 

Obwohl alle zentralasiatischen Länder Binnenstaaten sind, bilden sie zusammen eine wichtige Straßen- und Schienenverkehrsader, die Europa, China und Russland miteinander verbindet. Dies hat bereits zu erheblichen Verkehrsinfrastrukturinvestitionen aus dem Ausland geführt, denn Zentralasien und der Südkaukasus sind seit Jahren ein wichtiger Bestandteil von Chinas Seidenstraßeninitiative. Neben der Zusammenarbeit mit ausländischen Investoren bei Transport- und Infrastrukturprojekten arbeitet Zentralasien auf den Aufbau eines integrierten regionalen Energiemarkts hin, laut Expertenschätzungen ein Markt von rund USD 400 Milliarden, der für viele ausländische Investoren attraktiv ist. Weitere, aktuelle Top-Themen in der Region sind unter anderem Mobilität, Nachhaltigkeit und Digitalisierung – alles Bereiche, in denen österreichische Firmen erhebliches Know-how und qualitativ hochwertige Produkte liefern können.

Eine etwas persönlichere Frage: Wie ist Ihr Interesse an Zentralasien entstanden? Was ist das Besondere an dieser Region?

Ich habe mich immer schon für andere Kulturen, Sprachen und Menschen interessiert und habe während meiner Ausbildung und auch beruflich unter anderem in den USA, Mexiko, Italien, Russland und China gelebt. Trotz meiner vielen Reisen war Zentralasien für mich – ebenso wie für viele andere Menschen – ein weißer Fleck auf der Landkarte. Das wollte ich ändern! Zum ersten Mal intensiver auseinandergesetzt habe ich mich mit der Region während meines dreijährigen Aufenthaltes in Shanghai, als ich mich näher mit der Seidenstraßen-Initiative beschäftigt habe. Deren Entwicklung wollte ich vor Ort hautnah miterleben und bei der Erschließung von Geschäftschancen für österreichische Unternehmen unterstützen. Es gibt viele, herausragende Erfolgsgeschichten österreichischer Unternehmen in Zentralasien zu erzählen. Um diese Geschichten vor den Vorhang und ins mediale Rampenlicht zu bringen, prämieren wir als AußenwirtschaftsCenter Almaty jährlich Erfolgsgeschichten österreichischer Unternehmen in Zentralasien mit dem Silk Road Biz Award. Es ist ein Preis, der das Potenzial der Region aufzeigen und auch weitere österreichische Exporteure anspornen soll, sich mit Zentralasien und den vorhandenen Geschäftschancen auseinanderzusetzen.

Fotos: Stephan Huber/Studio Huber/Advantage Austria