„Es geht um eine globale Perspektive“

SOCIETY sprach mit dem neuen Generalsekretär der Österreichischen UNESCO- Kommission, Martin Fritz, über die vielfältigen Themenbereiche der internationalen Organisation, abseits des Kulturgüterschutzes.

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Sie haben mit 1. September 2022 die Agenden der ÖUK übernommen, welche Schritte möchten Sie in Ihrer neuen Funktion als Erstes setzen?

Das wichtigste ist mir, das bestehende Netzwerk neu zu betreuen. Wir haben drei sehr starke Partner: das BMBWF, das BMKOES und das BMEIA – welches den direkten Draht zur UNESCO in Paris mitherstellt. Wir bemühen uns auch um starke Beziehungen zu den Bundesländern, anderen Ressorts wie Landwirtschaft- Klimaministerium und dem Bundeskanzleramt. Wir bewegen uns frei zwischen verschiedenen Feldern und das hoffentlich sehr produktiv.

Parallel dazu, und das zeichnet UNESCO aus, ist uns immer die Zivil- und Fachgesellschaft sehr wichtig, das bedeutet Veranstaltungen zu besuchen und so sehr vielen Gruppen unser Interesse zu bekunden. Die Bandbreite reicht hier vom aktivistischen Stadtfestival über eine Konferenz über Biosphärenparks in Kärnten oder einem Galadinner in Schönbrunn bis zu Filmvorführungen zum Weltkulturerbe. Hier ist es für mich sehr wichtig, nicht nur in den Kreisen der staatlichen Stellen zu bleiben, sondern auch die Fach- und Zivilgesellschaften miteinzubeziehen – da treffen wir uns dann in durchaus experimentellen Kultursettings genauso wie bei wissenschaftlichen Vorlesungen.

Wir sind eine Organisation, die sich für die Bereiche Bildung, Wissenschaft, Kultur und den weniger bekannten Bereich Kommunikation – hier insbesondere Medienpluralismus und unabhängige Medien sowie freien Zugang zu Informationen – einsetzt. Ich gehe momentan nahezu überall hin wo es der Kalender zulässt, erstaunlich auf wie vielen verschiedenen Ebenen man hier Input bekommt. Der Aufgabenbereich der UNESCO ist vielfältiger, als man es vermuten würde. Im Bereich des immateriellen Kulturerbes z.B. kommen wir mit Traditionsträger*innen in Kontakt, Vertreter*innen von Berufsfeldern, die man sonst nie getroffen hätte.

Ich habe den Großteil meiner beruflichen Tätigkeit im Kunst- und Kulturbereich verbracht. Zeitgenössische Bildende Kunst war sicher eine meiner stärksten Aufgaben, ich bin zusätzlich noch Mitglied im Beirat für Bildende Kunst des BMKOES. Ich glaube gerade deswegen ist es interessant zu sehen, wo die UNESCO-Inhalte zeitgenössische und Zukunftsthemen aufs Tapet bringen. Es ist mir wichtig, dass man die UNESCO als intellektuelle, international agierende „Geistesorganisation“ wahrnimmt und nicht, wie es manchmal verkürzt wird, eine Einrichtung zum Bewahren und Schützen von Denkmälern. Die UNESCO ist viel breiter als das: die berühmten weiß-blauen Plaketten kennen viele Menschen, doch es gibt viel mehr in Österreich, z.B. UNESCO-Schulen, Lehrstühle, UNESCO-Biosphärenparks etc. also Themen, mit denen wir genauso gerne assoziiert werden. Lebenslanges Lernen wird ebenfalls immer wichtiger für unsere Arbeit.

Sie waren auch Mitglied im Sounding Board zur Entwicklung des Managementplans zum UNESCO Weltkulturerbe Historisches Zentrum von Wien, was waren da Ihre Aufgaben?

Das Sounding Board war ein Gremium der Stadt Wien, das die Entwicklung eines Managementplans für das Weltkulturerbe Historisches Zentrum von Wien begleitet hat. Zum ordentlichen Management einer Welterbestätte gehört ein Managementplan, der z.B. festlegt, wie man mit baulichen Eingriffen in das Welterbe umgehen soll. Den hat die Stadt Wien entwickelt und um fachliches Feedback für dieses Dokument zu bekommen, hat man in- und ausländische Expert*innen aus den verschiedensten Bereichen versammelt. Ich wurde ursprünglich nominiert, als ich noch Rektor der Merz Akademie war, ich habe mich aber auch immer mit dem Städtebau beschäftigt. Man hat mich eingeladen, um einen zeitgenössischen Blickwinkel auf diese Managementplanentwicklung zu bringen.

Wie hilft Ihnen Ihre Ausbildung als Rechtswissenschaftler bei der Arbeit im Kulturbereich?

Das hat mir in meinem Leben sehr geholfen, weil es die Basis dafür war, dass ich im Kunst- und Kulturbereich immer die pragmatischen Aspekte bearbeiten konnte, z.B. bei der Entwicklung von Verträgen, Budgets und rechtlichen Rahmenbedingungen. Ich habe ein Semester Völkerrecht in Paris studiert, auch der UNESCO Raum besteht aus Konventionen und internationalen Übereinkommen, das darf man nicht vergessen. Die Tätigkeiten der UNESCO sind ja kein internationales Hobby, sondern wurden in völkerrechtlich verbindliche Konventionen und Übereinkommen gegossen, mit denen Österreich auch konkrete Verpflichtungen übernimmt. Deswegen haben die UNESCO Programme auch juristische Komponenten, ganz abgesehen davon, dass man sich als Rechtswissenschaftler generell in der Welt der Bürokratie und Verwaltung lockerer bewegt. Für mich war das immer die Basis von der es dann umso mehr Spaß gemacht hat, sich mit den intellektuellen, künstlerischen und kulturellen Inhalten zu verbinden. Ich brauche offensichtlich diese Balance zwischen den pragmatischen und intellektuellen Themen. Meine Expertise war immer, die Kunst als Teil der Gesellschaft zu sehen, denn auch sie ist nicht frei von finanziellen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen.

Welche UNESCO-Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?

Eigentlich darf man das den Generalsekretär gar nicht fragen, der ja für alles zuständig ist. Wir möchten jedoch aufzeigen, dass sich UNESCO auf breiter Front für Freiheiten in Kunst, Wissenschaft und den barrierefreien Zugang zu Bildung sowie vielfältige Medien einsetzt. Das ganz zentrale Motto im Bildungsbereich „Leave no one behind“ möchte ich ebenfalls vermitteln. Die Freiheit der Wissenschaft ist gerade jetzt in Zeiten von Fake-News und Fake-Science wichtig. Was mir besonders am Herzen liegt ist, dass es immer um eine globale Perspektive geht. Für ein so kleines Land wie Österreich beinhaltet die UNESCO mit ihren knapp zweihundert Mitgliedern ein unglaublich großes, globales Beziehungsnetz. Das Welterbe heißt nicht umsonst so, denn wir bewahren es für die ganze Welt auf. Ich war das erste Mal in Paris beim Treffen der Nationalkommissionen im Rahmen des Executive Boards der UNESCO und es ist toll, wie selbstverständlich die Perspektiven des globalen Südens, europäischer und

„Es ist mir wichtig, dass man die UNESCO als intellektuelle, international agierende ,Geistesorganisation‘ wahrnimmt“

außereuropäischer Länder ineinandergreifen. Auch wenn es manchmal kontroversiell ist, ist es doch notwendig, denn ohne globale Blickwinkel und Verständnis der außereuropäischen Perspektiven kommen wir nicht mehr weiter. Wir müssen unser koloniales Erbe überwinden, für Vielfalt in unseren eigenen Arbeitsumgebungen sorgen und einiges verlernen, wie etwa unsere Rassismen und da hilft eine Umgebung wie UNESCO auch sehr. Hier ist es klar, dass es keinen Raum für die Überheblichkeit gibt, in der man glaubt, man wäre das Zentrum der Welt, weil das einfach nicht stimmt. Der Bewusstseinsprozess findet ja im Moment auf vielen Ebenen statt und ist notwendig.

(c) eSeL Lorenz Seidler