Die Welt im Jahre 2100

SOCIETY-Gastautor Kurt Seinitz beleuchtet in seinem Kommentar das ungleiche Bevölkerungswachstum im „globalen Norden“ und dem „globalen Süden“ und dessen mögliche Folgen.

Dass die Welt im Jahre 2100 ein anderes Gesicht haben wird, könnte eigentlich als Binsenweisheit gelten. Dazu werden schon Klimawandel und Kriege beitragen. Auch die reale Möglichkeit des ultimativen Kriegs mit Atomwaffen hängt seit 70 Jahren über unseren Köpfen.

Neu ist allerdings die wachsende Kluft, die sich in der Bevölkerungszu- beziehungsweise abnahme zwischen dem sogenannten „globalen Süden“ und dem „entwickelten Norden“ auftut. Die daraus entstehenden Wanderbewegungen – verstärkt durch Klimawandel, Hunger, Kriege – stellen für die nächsten Jahrzehnte eine akute Bedrohung der globalen Stabilität in nicht gekanntem Ausmaß dar.

„Die Geschichte zeigt, dass auf Dauer keine Mauern einen Migrationsdruck aufhalten können.“

Alle Prognosen zu Eckpunkten in der Welt im Jahre 2100 fußen auf Trendberechnungen der letzten Jahre. Auf die Vereinten Nationen käme die wichtige Aufgabe zu, Bevölkerungsströme zu lenken, wenn die Erderwärmung Ende des Jahrhunderts unerträglich wird. Beispiele: Evakuierung der Pazifikinseln, Besiedlung Sibiriens.

Die Geschichte zeigt, dass auf Dauer keine Mauern einen Migrationsdruck aufhalten können. Die aktuelle Statistik lässt den Schluss zu, dass die Geburtenraten sinken, wenn der (relative) Wohlstand steigt. Das lässt den Schluss zu, dass die Entwicklung in den Problemstaaten gefördert werden müsste – nicht nur durch Finanzmittel, sondern auch durch Bildung. Dazu notwendig wäre mindestens das Hundertfache des jetzigen Aufwands für Entwicklungshilfe. Diese Anstrengungen sehe ich leider nicht.

Bevölkerungsschwund

Ein Blick in die Statistiken: Die Industriestaaten des Nordens verzeichnen allesamt einen beschleunigten Rückgang der Einwohnerzahl. Beispiele: Japan von 124 Millionen im Jahre 2022 auf 73 Millionen im Jahre 2100, Russland von 144 Mio. auf 121 Mio., Deutschland von 83 Mio. auf 69 Mio. oder Italien von 60 Mio. auf 37 Mio. Österreich von 9 Mio. auf 8 Mio.

Besonders hervorstechend ist der prognostizierte Rückgang der Einwohnerzahl Chinas von 1400 Mio. auf 800 Mio. durch die niedrige bzw. negative Geburtenrate. Das kann auch als untrügliches Zeichen gewertet werden, dass China im entwickelten globalen Norden angekommen ist. China gegenüber steht Indien, dessen prognostiziertes, anhaltendes Bevölkerungswachstum den Subkontinent im Jahre 2100 mit dann 1500 Mio. Einwohnern mit Abstand an die Spitze des globalen Südens setzen wird.

Das Bevölkerungswachstum mit Schwerpunkt Afrika ist trotz leichtem Rückgang der Geburtenrate ein atemberaubender Albtraum. Beispiele: Nigeria von 218 Mio. auf 546 Mio., Ägypten von 116 Mio. auf 205 Mio., Dem. Rep. Kongo von 100 Mio. auf 430 Mio., Tansania von 66 Mio. auf 244 Mio., Uganda von 47 Mio. auf 132 Mio. oder Sudan von 46 Mio. auf 142 Mio.

Hohe Bevölkerungszahlen sind a priori keine Belastung, wenn die staatlichen und gesellschaftspolitischen Strukturen das Management des Lebensraums gewährleisten. Dies ist aber in den meisten Staaten des globalen Südens nicht der Fall.

Daraus und aus dem Klimawandel entwickelt sich die vielleicht gefährlichste Krise des Planeten: unkontrollierbare Migration, die Kriege auslösen kann. Nicht nur Europa ist mit wachsendem Migrationsdruck konfrontiert, auch die USA an der Südgrenze und sogar Südafrika an der Nordgrenze.

Unerwünschte Migration, der „Clash of Civilisations“, belastet die demokratischen Strukturen der Aufnahmestaaten, kann sie zerstören. Abwehrkriege gegen eine „Übernahme“ sind aus der Geschichte bekannt.

Dabei würde der globale Norden dringend Migration benötigen; allerdings qualifizierte Zuwanderung. Sinkende Bevölkerungszahlen bedeuten schrumpfende Wirtschaftsmärkte und sinkende Produktion – eine Abwärtsspirale.

Schwellenländer, die ihre hohe Einwohnerzahl in den Griff bekommen, können davon profitieren: mehr Konsumenten, mehr Wirtschaftswachstum. Sie werden die Gewinner von morgen sein.

In diesem Augenblick werden von den nächsten 1000 Kindern, die das Licht der Welt erblicken zum Beispiel 172 in Indien geboren, 103 in China, 57 in Nigeria, 32 in Kongo, 30 in USA aber nur 6 in Deutschland und Frankreich, 5 in Großbritannien, 3 in Italien – und 1 in Österreich.

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