In seinem im Oktober erschienen Buch „Unsere neue beste Freundin, die Zukunft“ arbeitet der Bildungsexperte und Bestsellerautor Andreas Salcher heraus, was Erwachsene von hochbegabten jungen Menschen lernen können, um den ständigen Wandel für das persönliche Wachstum zu nutzen. SOCIETY hat mit ihm über sein neuestes Werk gesprochen.
Wie sind Sie auf die Idee für ihr neues Buch gekommen? Was hat Sie inspiriert?
Ich habe mich ja jahrelang mit der Frage auseinandergesetzt, was die Jugend lernen soll, um fit für die Zukunft zu sein. Dann bin ich auf die Idee gekommen, diese Fragestellung einmal umzudrehen. Wenn man sich mit Zukunft auseinandersetzt, dann muss man akzeptieren, dass diese eigentlich ja schon in den jungen Menschen veranlagt ist – teilweise ohne, dass sie es selbst merken.
Mich hat interessiert, welche Fähigkeiten und Denkweisen besonders begabter junger Menschen auch für uns Erwachsene relevant sein können. Ich habe also ein Buch geschrieben, das sich primär an Erwachsene richtet.
Aus Tiefeninterviews, die ich mit Schüler:innen der Sir Karl Popper Schule in Wien, die ich mitbegründet habe, und des Sächsischen Landesgymnasiums Sankt Afra in Meißen geführt habe, habe ich 21 Haltungen, Einstellungen und Fähigkeiten extrahiert. Diese Thesen wurden dann mit den Lebenserfahrungen vieler der großartigen Persönlichkeiten abgeglichen, die ich im Laufe meines Lebens kennenlernen durfte – auch mit meinen eigenen, um diese Thesen für unsere Lebensrealitäten überhaupt umsetzbar bzw. anwendbar zu machen.
Warum haben Sie für die Tiefeninterviews nur hochbegabte Schüler:innen herangezogen?
Das ist natürlich eine sehr berechtigte Frage, die aber einfach zu beantworten ist. Hätte ich ein Buch geschrieben, in dem es darum gehen würde, was Jüngere von Älteren lernen können, hätte ich auch nur die intelligentesten und begabtesten Erwachsenen befragt. Wenn man wissen will, wo die Zukunft veranlagt ist, schaut man natürlich auf die, die viel Talent haben und die besonders schlau sind, also bei jenen, die (hoch-)begabt sind.
Können Sie noch einmal die Kernthemen, die Grundessenz des Buches für uns zusammenfassen?
Was mir während des Schreibens den Schlaf geraubt hat, war die Frage, ob es bei den 21 Thesen ein gemeinsames Muster gibt, das all diese jungen Menschen verbindet. Die Grundessenz, die sich schließlich herauskristallisiert hat: meine Interviewpartner:innen blicken zwar durchaus besorgt auf die Zukunft der Welt, hinsichtlich ihres eigenen Lebens ist aber kein Pessimismus spürbar. Das, was sie also alle verbindet, ist ein hohes Grundvertrauen in ihr eigenes Leben. Das ist wiederum ein Muster, das auch vielen erfolgreichen Erwachsenen innewohnt. Das Grundvertrauen bildet sich entwicklungspsychologisch in den ersten sechs Lebensmonaten aus, natürlich haben nicht alle Menschen die Möglichkeit, dieses in ihrer Kindheit zu entwickeln. Die gute Nachricht ist aber, dass man sich dieses Grundvertrauen in das Leben selber auch später noch aneignen kann. Je mehr man über seine Fähigkeiten weiß und sie anwendet, umso mehr Vertrauen bildet sich insgesamt in das eigene Leben. So traut man sich auch neue Dinge zu und daraus entwickeln sich wiederum neue Fähigkeiten. Solange man das Gefühl hat, mit seinen eigenen Handlungen sein Leben beeinflussen zu können, kann man auch mit Krisen gut umgehen.
In einem Kapitel behandle ich zum Beispiel das Thema Ambivalenz bzw. Widerspruch und wie man damit umgehen kann. Dieser Herausforderung stehen wir ja täglich gegenüber. Kriege und Krisen beherrschen unsere Nachrichten – wie kann man das alles aushalten und gleichzeitig noch den Alltag bewältigen, für Freunde und Familie da sein? Das ist ein Widerspruch, den man lernen muss, auszuhalten. Der Mensch ist ohnehin dafür konstruiert, mit Widersprüchen umgehen zu können, das ist schon einmal eine zentrale Erkenntnis. Wichtig ist auch, mit anderen Menschen darüber zu reden und sich auszutauschen und nicht alles in sich hineinzufressen.
Wesentlich ist jedenfalls auch ein stabiles Wertegerüst, das viel mit Grundvertrauen zu tun hat. Es geht darum, auf der einen Seite mitfühlend und empathisch und auf der anderen Seite handlungsfähig zu bleiben, vor allem, wenn schwierige Entscheidungen zu treffen sind. Es macht wenig Sinn, sich das Leid der Welt auf die eigenen Schultern zu laden, vielmehr muss ich mich fragen, was ich in meinem Umfeld machen bzw. wie ich mich engagieren kann. Am Ende meines Buches zitiere ich den Gründer der SOS-Kinderdörfer, Hermann Gmeiner, dazu: „Alles Gute auf der Welt geschieht nur, wenn einer mehr tut, als er tun muss.“
Oft hört man, dass die Jugend faul ist und nicht arbeiten will. Stimmt das? Wie ist da Ihre Erfahrung?
Diesem Thema habe ich ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Vorurteile stimmen überhaupt nicht – im Gegenteil, zumindest im Hinblick auf meine Interviewpartner:innen. Die haben nach wie vor eine hohe Leistungsmotivation und sind bereit ihr Bestes zu geben, allerdings unter ganz bestimmten Voraussetzungen: Autonomie bzw. Selbstbestimmung, flexible Arbeitsstunden und der Sinn der Arbeit. Macht das, was ich tue, Sinn für mich selbst, für die Kollleg:innen, für die Welt? Das sind die drei wesentlichen Kriterien für die junge Generation.
Natürlich gibt es aber auch einen Teil der Jungen, der sehr chancenlos scheint, wenn sie zum Beispiel nach neun Jahren Pflichtschule nicht sinnerfassend lesen können und die Grundrechnungsarten nicht beherrschen. Die machen in Wien sicher ein Viertel bis ein Fünftel der Jugendlichen aus. Das ist die tragische Seite. Die besonders Begabten leiden ja quasi unter den vielen Möglichkeiten, die sie haben. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch viele Jugendliche, die überhaupt keine Chancen haben und so driften auch die Jungen diesbezüglich immer weiter auseinander.
Wie kann man diesen Jugendlichen helfen?
Es gibt eine simple Maßnahme, die Expert:innen seit Jahren fordern: man kann dieses Problem nur im Kindergarten lösen. Wir brauchen hochwertigste Kindergärten und bestausgebildete Elementarpädagoginnen und kleine Gruppen. So kann man mit einem sehr geringen Aufwand sehr viele soziale Nachteile bzw. Sprachnachteile kompensieren. Jeder Euro, den wir in unsere Kindergärten investieren, multipliziert sich in seiner Wirkung.
Wie geht die Jugend mit Künstlicher Intelligenz um?
Tendenziell sind die Jungen natürlich viel technologieaffiner als wir Erwachsenen. Die Schüler, die ich interviewt habe, nützen künstliche Intelligenz intensiv aber transparent. Der gute Lehrer fürchtet sich auch nicht vor der KI, sondern erklärt, wie Aufgaben mit Nutzung eben dieser besser und schneller zu lösen sind.
Gibt es noch etwas, was Sie unseren Leser:innen unbedingt sagen möchten?
Mir ist wichtig, noch einmal zu betonen, dass dieses Buch für Erwachsene geschrieben wurde um sich besser auf die Zukunft vorbereiten, von Jungen lernen und sie verstehen zu können.
Das letzte Kapitel „Keiner von uns ist so klug wie wir alle zusammen“ ist ein Appell und meine Vision, dass sich die ältere Generation mit den begabten und kreativen Jungen zusammentut und man gemeinsam das positive Potential von Technologie nutzt.
Meine Idee ist es, den riesigen Problemen, die auf die Welt zukommen, mit dem – wie ich es nenne – „dynamischen Dreieck“ zu entgegnen. Wenn man die Lebenserfahrung der Älteren mit der Kreativität und Innovationskraft der Jugend verbindet und zusätzlich die Technologie nutzt, die uns zur Verfügung steht, dann wohnen dem Ganzen große Chancen inne: Dass die Zukunft zur Freundin wird, und nicht zur Feindin.
Foto: Lukas Beck