Seit 20 Jahren leitet Ingried Brugger als Direktorin das Kunstforum Wien. Wir haben mit ihr über aktuelle Ausstellungen, Digitalisierung im Kunstbereich und den Stellenwert von Kunst in herausfordernden Zeiten gesprochen.
Seit 2000 sind Sie geschäftsführende Direktorin des Kunstforums Wien, was waren bis dato Ihre persönlichen Höhepunkte?
Ich konnte zwei Drittel der Geschichte von Österreichs erfolgreichstem Ausstellungshaus gestalten. In 20 Jahren gibt es viele Ausstellungen, die ein besonderes Highlight sind und weit über die Grenzen des Kontinents hinaus Beachtung finden. Kürzlich erst Gerhard Richter, aber auch Ausstellungen starker Künstlerinnen wie Tamara de Lempicka, Frida Kahlo, Georgia O’Keeffe oder Cindy Sherman. Unter meiner Direktion haben wir ein starkes Partnernetzwerk zu weltweit führenden Institutionen wie Tate Gallery und Royal Academy im Vereinigten Königreich, Guggenheim Museum in den Vereinigten Staaten oder dem Staatlichen Russischen Museum in St. Petersburg aufgebaut. Nur durch diese engen internationalen Beziehungen können wir Ausstellungen realisieren, die weltweit von sich reden machen. Besonders stolz bin ich darauf, ein junges, überwiegend weibliches Team in allen Bereichen des Hauses aufgebaut zu haben, das mit Pioniergeist und Innovationskraft auch in dieser herausfordernden Situation herausragende Arbeit leistet.
Welchen positiven Beitrag können Kunst und Kultur in gesellschaftlich herausfordernden Zeiten wie diesen leisten?
Es gibt nicht nur tägliche Konsum-Grundbedürfnisse. Geöffnete Museen sind genauso wichtig wie geöffnete Supermärkte. Die Menschen haben ein Anrecht auf geistige Nahrung, die ebenfalls ein Grundbedürfnis ist. In dieser Ausnahmesituation ist die Bedeutung der Kunst noch viel größer: Sie spendet Hoffnung, Eskapismus aus dem grauen Alltag, befruchtet positiv und fördert den Diskurs abseits des dominanten Covid-19-Themas.
Seit 24. März kann man die Daniel Spoerri und Borjana Ventzislavova Ausstellungen im Kunstforum Wien sehen – was zeichnet diese beiden Künstler aus und was erwartet die BesucherInnen?
Daniel Spoerris Fallenbilder sind gerade aktueller denn je. Sie erinnern uns an die schönen Momente mit lieben Menschen in der Gastronomie. Er ist einer der letzten Universalkünstler und großen Avantgardisten. Spoerri ist ein durch und durch europäischer Künstler, der in vielen Ländern gelebt und mit wesentlichen Künstlern der Nachkriegszeit gearbeitet hat. Damit ist er die Gegenthese zu dem, was wir gerade erleben: Isolation und geschlossenen Grenzbalken. Spoerris Freundschaften zu Meret Oppenheim, Niki de Saint Phalle, Man Ray oder Andy Warhol zeigen, dass Kunst grenzenlos ist.
Borjana Ventzislavova greift in ihrer Ausstellung „We/re nature“ ein nicht minder aktuelles Thema auf und widmet sich dem Umgang mit natürlichen Ressourcen und der Suche nach dem „echten“ Moment in einer Zeit der digitalen Reizüberflutung.
Das Kunstforum steht für innovative Kunstvermittlung und bietet auch ein umfangreiches Digitalangebot. Welchen Einfluss hat die immer weitreichendere Digitalisierung auf Kunst und Kultur, aber auch auf den Museumsbetrieb? Welche Vor- und Nachteile bringt sie in diesen Bereichen Ihrer Meinung nach mit sich?
Das Bank Austria Kunstforum Wien hat sich auch vor der Pandemie schon intensiv mit der digitalen Kunstvermittlung auseinandergesetzt. Mit Video-Podcasts, Digitalevents, Spotify-Playlists zu Ausstellungen etc. nehmen wir in diesem Bereich eine Pionierrolle ein, um neue Zielgruppen für Kultur zu begeistern. Gerade haben wir die Ausstellung „Daniel Spoerri“ erstmals in unserer Geschichte und mit durchschlagendem Erfolg rein digital eröffnet. Durch die Pandemie haben wir einige Projekte wie Live-Führungen beschleunigt, auf ein neues Qualitätsniveau gehoben und – ganz wichtig – monetisiert. Die Gratiskultur im Web ist nicht der Weisheit letzter Schluss! Wir setzen vermehrt auf qualitativ hochwertige, einzigartige Angebote, für die Menschen auch gerne bezahlen. Die Online-Live-Führungen durch die Gerhard-Richter-Ausstellung waren gewinnbringend. Bei „Daniel Spoerri“ haben wir das Angebot nochmal massiv ausgebaut. Die digitalen Angebote machen unsere Ausstellungen global zugänglich und sprechen damit noch viel mehr Menschen an. Trotzdem wird das reale, stationäre Angebot durch die Digitalisierung nicht abgelöst werden. Attraktiver Online-Content ist für viele Menschen der Impuls, die Ausstellung tatsächlich zu besuchen. Im Idealfall steigern wir die Wertschöpfung mehrfach, weil unser Paid-Content gleichzeitig eine Marketingaufgabe erfüllt. Die „Generation Netflix“ sind unsere Besucher der Zukunft. Die sprechen wir nicht mehr über klassische Plakate an. Sehr wohl aber über sich selbst refinanzierenden Content!
Titelbild: Künstler Daniel Spoerri und Direktorin Dr. Ingried Brugger (c) leisure/Christian Jobst
Öffnungszeiten:
täglich 10:00 – 19:00 Uhr
Adresse:
Bank Austria Kunstforum Wien
Freyung 8
1010 Wien
Fotocredit: Portrait Daniel Spoerri (c) Rita Newman,oben rechts: Palette pour Grégoire Müller, 1992, Assemblage (Farbtuben, leere Terpentinflaschen, Pinsel, Putzlappen auf Holz), ZKM/Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (c) Daniel Spoerri und Bildrecht, Wien 2021 Foto: (c) Tilman Daiber / Bild mit blauem Hintergrund: Tableau piége, 25.02.1972, Assemblage, Stiftung MUSEION. Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Bozen, Samlung Archivio di Nuova Scrittura (c) Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021, Foto: Augustin Ochsenreiter / Bild unten: Chambre No 13, 1998, Bronze, Fondazione Il Giardino di Daniel Spoerri (c) Daniel Spoerri und Bildrecht, Wien 2021 Foto: (c) Susanne Neumann
Ausstellungsansichten Daniel Spoerri (c) Rita Newman