Chris Lohner. Die Stimme Österreichs

Chris Lohner war erfolgreiches Model, Schauspielerin sowie als Moderatorin das Gesicht des ORF. Heute wirkt sie weiter im Theater, engagiert sich karitativ und spricht als Stimme der ÖBB zu 1,4 Millionen Menschen täglich.

Ein Kind der Stadt

Wien der zweiten Nachkriegszeit: Chris Lohner streckt ihren Kopf aus dem Fenster der Dampflok, obwohl das eigentlich verboten ist. Schon als Kind war sie fasziniert vom Straßen- und Eisenbahnfahren. Damals hat sie wohl kaum geahnt, dass es eines Tages ihre Stimme sein wird, die Reisenden am Bahnhof den Weg weist.

Die Stadt, in der sie 1943 als Christin Edith –­ später Christine – Keprda geboren wird, ist eine zerstörte und zerrüttete, geprägt von Bombenangriffen und Fliegeralarmen. Noch heute kann Chris Lohner „das Geheul von Fabriksirenen nicht ertragen“. Nach der Kriegsrückkehr ihres Vaters Franz und der Geburt ihrer Schwester Elfi hatte die kleine Familie gerade genug, damit niemand verhungerte. Aus selbstgepflückten Brennnesseln und Sauerampfer wurden Spinat und Suppe, ein zuvor in den Ofen gelegter Ziegelstein diente eingewickelt in Zeitungspapier als Wärmequelle. In ihrem neuen Buch „Ich bin ein Kind der Stadt“ beschreibt Chris Lohner diese turbulenten Jahre ihrer Kindheit mit einer gehörigen Prise Humor.

Als neugieriges und unternehmungslustiges Mädchen rennt sie gern mit den Buben rum, entwickelt ein vielfältiges Streiche-Repertoire und muss sich mehrfach anhören, ein sehr anstrengendes Kind zu sein. Ein kleiner Freigeist eben. Ein hilfsbereiter, menschenliebender Vater und eine fröhliche Mutter unterstützen den Freiheitsdrang ihrer Tochter – und widerwillig schließlich auch deren Kindergarten-Boykott. Mit fünf Jahren stand Chris Lohner in der Volkshochschule ihres Vaters das erste Mal auf einer Theaterbühne, später bekam sie Unterricht  bei der Schauspielerin Friederika Hackel. Von Anfang an war sie fasziniert davon, in neue Rollen zu schlüpfen – eine Passion, die sie bis heute nicht mehr loslassen sollte.

Startschuss für eine steile Karriere

Ein Sprung ins Jahr 1961: Chris Lohner maturiert am Gymnasium und erhält kurz darauf  ein AFS-Stipendium für einen High-School-Aufenthalt in den Vereinigten Staaten. Während dieser Zeit beginnt sie ein Schauspielstudium, das sie auch in Österreich fortsetzt und 1965 mit dem Staatsexamen abschließt. Finanziert hat sie sich das Studium selbst, durch die erfolgreiche Arbeit als Model in der Schweiz, Frankreich, Italien und Deutschland; ein Job, der sie Disziplin gelehrt hat. In der bewegten Zeit um ‘68 war Chris Lohner gerade in Paris: „Ich bin nur streckenweise mitmarschiert, weil wir schon öfter eins an den Schädel gekriegt haben und ich mir das als Model nicht wirklich leisten konnte“, erzählt sie im Interview mit SOCIETY Magazin.

1973 geht sie als Sprecherin und Moderatorin zum ORF und setzt damit den Startschuss für eine beeindruckende Karriere: Im Laufe der Jahre macht Chris Lohner Fernsehen, Film und Radio, schreibt Bestseller und wirkt in zahlreichen Theaterproduktionen mit. 1,4 Millionen Menschen hören täglich ihre Stimme an den Bahnhöfen der ÖBB – und das übrigens für die Ewigkeit: in digitaler Form bleibt die vertraute Stimme der Nachwelt erhalten, bis Chris Lohner selbst – nach eigener Angabe – „ein Radieschen ist“.

Heute, wo Künstler*innen weltweit vor leeren Auditorien sitzen, fehlt auch Chris Lohner ihr Publikum. Doch trotz abgesagter Buchungen konnte sie durch selbstgedrehte Youtube-Videos für ihre Fans das Beste aus der Situation machen: „Wenn man irgendwie kann muss man ja auch während Corona weitermachen, man darf sich nur nicht in die Enge treiben lassen!“.

Die Stimme erheben

Eines bleibt klar: Chris Lohner zögert nicht, wenn es darum geht, ihre Stimme zu erheben. Vor zwanzig Jahren willigt sie auf Nachfrage des ehemaligen Pressesprechers Gabriel Müller ein, Schirmherrin für Licht für die Welt zu werden. Allerdings unter einer Bedingung: Sie will etwas bewegen und nicht nur auf einem Plakat abgedruckt werden. Bewegt hat sie mit ihrem karitativen Engagement vieles; nicht nur für Licht für die Welt, sondern auch als Ehrenmitglied für CARE und mit ihrer eigenen Organisation caftan – it fits. „Wenn man ein öffentlicher Mensch ist und durch seine Arbeit ein gutes Leben hat, ist es eine Verpflichtung, auch etwas zurückzugeben. Ich bin in der glücklichen Position, helfen und auch wirklich etwas bewegen zu können. Man muss mich nicht beim Buffet vorlassen, aber zu karitativen Zwecken will ich meinen Bekanntheitsgrad schon nutzen“, meint Chris Lohner im Interview mit SOCIETY Magazin.

Auch hinter den Kulissen kam Chris Lohner nicht darum herum, ihre Stimme zu erheben. Während ihrer Partnerschaft mit dem aus Jamaika stammenden Tennisspieler und Verleger Lance Lumsden wurde sie verbal attackiert und musste sich im Alltag und am Arbeitsplatz gegen Rassismus wehren. Unreflektierte, rassistische Aussagen duldet sie auch heute nicht: „Für so etwas habe ich sehr wenig Verständnis, nämlich gar keins!“. Im Interview mit ooom erzählt Chris Lohner von ihren #metoo Erlebnissen und sexueller Belästigung während der Zeit beim ORF. „Man darf nicht immer alles hinnehmen, sondern muss sich auch mal einmischen!“, meint sie entschlossen.

Im Flow und gegen den Strom

Mit diesem kritischen Blick hält Chris Lohner ihren Geist wach. Sie beobachtet sehr genau, ist neugierig und hakt gerne mal nach; denn hinter allem steht schließlich die Meinung von jemand anderem. Man kommt nicht darum herum, alles auch selbst zu hinterfragen und sich umfassend zu informieren. Das gilt auch für Nachrichten aus dem Medien: Das Stück „Network“ (nach dem gleichnamigen Film von Paddy Chayefsky), in dem sie gerade spielt, ist übrigens ein Klassiker zu diesem Thema.

Als Jetztmensch macht Chris Lohner keine Zukunftspläne. Am Ende muss man sich sowieso überraschen lassen von dem was kommt. Auch ihre steile Karriere hat sie eigentlich nie geplant, sondern lediglich versucht, mit ihren Talenten Geld zu verdienen. „Go with the flow, würde ich sagen, wobei man natürlich immer wieder auch gegen den Strom schwimmen muss, um an die Quelle zu kommen“.

Fotos: SOCIETY/Karakan