„Wir können viel von Österreich lernen!“

SOCIETY hat mit dem Botschafter S.E. François Saint-Paul über seine bisherigen Erfahrungen im Botschaftsdienst, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und seine Liebe zur deutschen Sprache gesprochen.

Vor ihrem Amtsantritt als Botschafter in Österreich haben Sie das Amt in Rumänien und Kroatien inne gehabt. Welche Erfahrungen haben Sie während dieser Zeit gemacht. Gibt es Erlebnisse in dieser Zeit, die Sie besonders geprägt haben?

Die wichtigste Erfahrung war, dass diese beiden Länder so unterschiedlich und für einen Franzosen so weit weg sind. Als Botschafter weiß man anfangs nicht, welchen Einfluss die Geschichte des eigenen Landes auf diese Länder und ihre Menschen ausgeübt hat. Für mich war das Wichtigste mir die geschichtliche Beziehung dieser Länder zu Frankreich in Erinnerung zu rufen.

Können Sie Beispiele für den französischen Einfluss in Kroatien und Rumänien nennen?

Ein Beispiel wäre Kroatien im 19. Jahrhundert. Während der Zeit Napoleons war Kroatien ein Teil der sogenannten „Provinces Illyriennes“ (dt. Illyrische Provinzen). In den heutigen kroatischen Gebieten gibt es viele Erinnerungen an die Franzosen. Zum Beispiel am Hafen von Split gibt es den „Quai des Français“. Von Rumänien ist Frankreich geographisch weit entfernt, geschichtlich aber eng verbunden. Als das Land 1888 durch den Berliner Kongress die Unabhängigkeit erhalten hat, unterstützten die Franzosen Rumänien auch. Daher ist Französisch in Rumänien immer noch eine gängige Sprache. Man sagt, dass 20 Prozent des Vokabulars aus dem Französischen kommen.

Welche politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Themen haben für Sie, während ihres diplomatischen Dienstes in Österreich Priorität?

Österreich und Frankreich haben sehr gute Beziehungen, aber ich bin davon überzeugt, dass wir besonders im europäischen Bereich die Zusammenarbeit weiter vertiefen sollten. Ein Ziel meiner Botschaftstätigkeit ist es, Frankreich mehr in das Bewusstsein der österreichischen Bevölkerung zu bringen und umgekehrt. Im kulturellen Sektor funktioniert das schon sehr gut, aber im politischen und wirtschaftlichen Gebiet denken die Franzosen immer zuerst an Deutschland. Sie kennen das Potenzial von Österreich nicht genug und müssen dieses erst entdecken. Wir haben viel von Österreich zu lernen, beispielsweise im Hinblick der Reformen im Bereich Bildung, die wir momentan in Frankreich versuchen durchzusetzen. In Österreich funktioniert das System der Hochschulbildung, der Berufsschule und Lehrlingsausbildung um einiges besser als in Frankreich.

Deutschland und Frankreich sind ja sehr eng zusammengewachsen in letzter Zeit. Inkludiert das in Ihrem Denken auch Österreich, vor allem hinsichtlich der EU?

Ja, davon bin ich überzeugt. Europa braucht Österreich aus mehreren Gründen. Das geschichtliche Erbe Österreichs ist auch das geschichtliche Erbe Europas. Weiter ist Österreich einer der Hauptinvestoren in Osteuropa und führt starke wirtschaftliche Beziehungen mit Tschechien, der Slowakei und den restlichen osteuropäischen Ländern. Österreich ist es auch gewohnt Brücken zu bauen und genau das braucht Europa heute. Ich würde gerne ein Beispiel für den internationalen Beitrag Österreichs nennen: Präsident Macron ist am 23. August nach Salzburg gekommen um im Zuge der Salzburger Festspiele die Regierungschefs von Österreich, Tschechien und der Slowakei zu treffen. Es war ein produktives Gespräch unter vier Regierungschefs. Danach hat Präsident Macron gesagt, dass er Gespräche in diesem Format weiterführen will. Warum? Weil diese Art des Dialogs mit unterschiedlichen Ländern mit verschiedenem Status gut funktioniert. Solche Gespräche sollen Einigungen für zukünftige Probleme in Europa bringen. Denn die Lösung für unsere Zukunft in Europa werden wir nur gemeinsam finden, wenn wir uns von Grenzen die wir aus der Vergangenheit übernommen haben befreien.

Welche Bedeutung haben Fremdsprachen für ihre diplomatische Tätigkeit?

Ich stamme aus einer Familie, in der die Sprachbeherrschung und vor allem die deutsche Sprache Tradition hat. Meine Mutter stammt aus der Schweiz und mein Vater kann die Werke von Goethe auf Deutsch lesen. Wenn ich als Botschafter in ein Land entsandt werde, hat die Kenntnis der Sprache für mich Priorität. Englisch und Deutsch habe ich in der Schule gelernt. Fähigkeiten in Spanisch, Kroatisch und Rumänisch habe ich mir durch meine diplomatischen Tätigkeiten angeeignet. Es gibt viele Wege um ein Diplomat zu sein oder zu werden. In irgendeiner Weise sind wir alle Diplomaten. Alles was die Zusammenarbeit mit anderen, das Erklären und das Besser-Verstehen von anderen beinhaltet, ist Diplomatie.

Hat sich Emmanuel Macron seit der Wahl zum Präsidenten bewährt? Was ist seit der Wahl anders? Hat sich aus Ihrer Sicht viel verändert?

In Frankreich beginnt eine sehr interessante Zeit. Das ist eine neue Periode, die sich für Europa öffnet. Es gibt neue Herausforderungen und neue Themen für die es wichtige Entscheidungen zu treffen gilt. Mit Präsident Macron etabliert sich eine neue Art und Weise Politik zu machen. Die ersten Ergebnisse dieser Maßnahmen sehen für Frankreich und Europa sehr positiv aus. Und auch Österreich verändert sich. Ich bin mit der Perspektive einer neuen Regierung nach Österreich gekommen. In solchen Zeiten ist es wichtig die eigene Geschichte und die Vergangenheit nicht zu vergessen um die Gegenwart verstehen zu können. Der Fokus sollte aber auf der Gegenwart liegen. E. Macron ist eine Chance für uns und ich stelle fest, dass es in Österreich viel Interesse an Frankreich gibt. Frankreich mehr als ein Markt, sondern auch ein politischer Faktor. Ein Land, von dem Europa Erfolg erwartet und verlangt.

Präsident Macron hat ziemliche Widerstände von den Gewerkschaften. Glauben Sie, dass er sich trotzdem durchsetzen wird?

Es gibt zwei Arten Politik zu machen: die alte und die neue Methode. Bei der alten Methode hat der Präsident eine Meinung, entscheidet und führt die Reform durch. Die neue Art Politik zu machen, verlangt mehr nach Erklärungen. Das ist die neue Art des aktuellen französischen Präsidenten: mehr Erklärung, mehr Diskussion, mehr Verhandlungen. Beispielsweise das neue Arbeitsgesetz. Man hat immer proklamiert, dass eine Änderung nicht funktionieren wird. Wir haben viel diskutiert und auch Auseinandersetzungen gehabt. Aber am Ende wurde die Reform umgesetzt. Die nächste Etappe betrifft den Bildungssektor. In der Vergangenheit hat man oftmals versucht Veränderungen einzuleiten, ist aber gescheitert. E. Macron arbeitet aktiv gegen solche Entwicklungen. Wie er selber gerne unterstreicht: er macht was er sagt und er sagt was er macht. Nach sechs Monate Amtszeit müssen die kritischsten Beobachter anerkennen: Es stimmt! Das ist eine andere Methode, die wesentlich für die Bekämpfung des Populismus ist. Die Glaubwürdigkeit der Politiker muss wieder gestärkt werden, indem sie ihre Versprechen halten.

 

CV von S.E. François Saint-Paul

S.E. François Saint-Paul wurde am 3. März 1958 geboren. Er absolvierte die École Nationale d’Administration (ENA), das Institut d’études politiques (IEP) und schloss die Licence in Rechtswissenschaften ab. Zwischen 1985 und 1989 arbeitete er als Erster und Zweiter Botschaftssekretär in Mexiko. Von 1985 bis 1989 war er im Außenministerium und Staatsamt von Frankreich tätig. Von 1990 bis 2004 hatte er verschiedene Ämter auf europäischer Ebene inne, beispielsweise als Erster und Zweiter Botschaftsrat der Ständigen Vertretung Frankreichs bei der UNO in Genf (1998-2002) und anschließend als Kabinettsdirektor der Ministerin für europäische Angelegenheiten (2002-2004). Von 2004 bis 2009 wurde er als Botschafter nach Kroatien entsandt. Von 2014 bis 2017 war er Botschafter in Rumänien. Seit 2017 ist er in Österreich als Botschafter tätig.

 

Fotos: SOCIETY/Pobaschnig