Interview: „Stefan Zweig. Weltautor“

Am 23. Februar jährt sich der Todestag des Ausnahmeschriftstellers Stefan Zweig zum 80. Mal. Dr. Arnhilt Inguglia-Höfle, stellvertretende Leiterin des Literaturmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek, gibt im SOCIETY-Interview Einblicke in die Schau „Stefan Zweig. Weltautor“, die noch bis zum 4. September im Literaturmuseum zu sehen ist.

Titelbild: (c) Atrium Press


Dr. Arnhilt Inguglia-Höfle, Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek

Seit 11. Juni 2021 hält die Ausstellung „Stefan Zweig. Weltautor“ Einzug im Literaturmuseum. Wie ist diese entstanden? Was war Ihnen bei der Gestaltung der Schau besonders wichtig und auf welche Aspekte seines Lebens bzw. seines Werkes haben Sie besonderes Augenmerk gelegt?

Mit unserer Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Stefan Zweig Zentrum Salzburg und dem Literaturarchiv Salzburg entstand, wollten wir eine Dimension im Leben und Werk Stefan Zweigs beleuchten, die bisher nur wenig Aufmerksamkeit erhalten hatte: das Weltumspannende. Stefan Zweig (1881–1942) zählt bis heute zu den meistgelesenen deutschsprachigen AutorInnen. Thomas Mann notierte 1952, zum zehnten Todestag des berühmten Schriftstellerkollegen: „Sein literarischer Ruhm reichte bis in den letzten Winkel der Erde.“ Neben der internationalen Rezeption erkundet die Schau sein von Reisen geprägtes Leben und Schreiben wie auch seine Beschäftigung mit den großen Weltideen wie Humanismus und Pazifismus. Die Sonderausstellung fällt in die Gedenkjahre Zweigs: Im November 2021 jährte sich Stefan Zweigs Geburtstag zum 140. Mal, im Februar 2022 ist sein 80. Todestag.

Bei der Gestaltung war uns besonders wichtig, die BesucherInnen zum Mitmachen und Nachdenken anzuregen. Jedes Kapitel ist mit Originalmanuskripten, Briefen, Fotografien, Filmausschnitten und Tonaufnahmen, aber auch partizipativen Elementen bestückt, die die BesucherInnen auf teilweise sehr spielerische Art einladen, ihre persönlichen Leseerfahrungen zu teilen oder zu den behandelten Themen Stellung zu beziehen (z. B. zum Kanon der Weltliteratur oder zur Idee und Zukunft eines vereinten Europas). Viele haben vor ihrem Besuch bereits Bücher von Zweig gelesen oder zumindest von ihm gehört und sich bereits eine Meinung gebildet. Die Ausstellung will unbekannte Perspektiven auf ein Ausnahmephänomen der österreichischen Literaturgeschichte eröffnen, aber auch mögliche Vorurteile gegen den von ZeitgenossInnen abschätzig als „Erwerbszweig“ bezeichneten Bestsellerautor hinterfragen. Gleichzeitig war es uns wichtig, auch problematische Aspekte nicht auszusparen. So gibt es Stellen in Zweigs Erzählliteratur, in denen er die koloniale Ausbeutung oder die Machtstrukturen zwischen den Geschlechtern beschreibt, diese aber nicht explizit kritisiert. Damit beschäftigen sich mehrere Abschnitte in der Ausstellung wie auch im umfangreichen Begleitbuch.

Die Ausstellung will unbekannte Perspektiven auf ein Ausnahmephänomen der österreichischen Literaturgeschichte eröffnen, aber auch mögliche Vorurteile gegen den von ZeitgenossInnen abschätzig als „Erwerbszweig“ bezeichneten Bestsellerautor hinterfragen.

Was macht Stefan Zweig zu einem Weltautor, was machte ihn besonders?

Die Ausstellung bietet in ihren fünf Kapiteln fünf mögliche Antworten auf diese Frage:

Das erste Kapitel zeigt den Weltautor als Erfolgsautor, dessen Werk schon früh auch international wahrgenommen wurde. Viele ZeitgenossInnen reagierten auf Zweigs Weltruhm mit Anerkennung, aber ebenso mit heftiger Kritik. Er selbst stand seinem Erfolg mit Ironie und Skepsis gegenüber.

Heute wird Stefan Zweig rund um den Globus gelesen, aber mehr noch: Wie das zweite Kapitel der Schau belegt, sind sein Leben und Werk zur Inspiration für KünstlerInnen aus aller Welt geworden. Es gibt eine große Bandbreite an literarischen Bearbeitungen, Gedichtvertonungen, Graphic Novels, Mangas, Theateraufführungen und Verfilmungen.

Das dritte Kapitel widmet sich der Thematik „Reisen und Schreiben“. Stefan Zweig unternahm bereits als junger Mann ausgedehnte Reisen quer durch Europa bis nach Algerien, Indien, Ceylon (heute Sri Lanka) und Burma (heute Myanmar) sowie in die Sowjetunion, die USA, nach Kanada, Kuba, Puerto Rico, Haiti, Jamaica und Panama. Zweigs Reiseerfahrungen bilden den Nährboden für einen großen Teil des literarischen Werks. Die Reiserouten der letzten Lebensjahre waren von Vertreibung und Flucht vor den Nationalsozialisten geprägt.

Auch die Figuren und Schauplätze von Zweigs Erzählliteratur führen einmal um die Welt, wie das vierte Kapitel der Ausstellung zeigt. Als anschauliches Beispiel haben wir unter anderem die literarische Biografie „Magellan. Der Mann und seine Tat“ (1938) gewählt. Die Suche des portugiesischen Seefahrers nach einer Passage in den Pazifischen Ozean gestaltet sich wie in vielen Entdecker- und Abenteurererzählungen Zweigs als welthistorisches Drama.

Das fünfte Kapitel beleuchtet Zweigs intensive Auseinandersetzung mit den Ideologien und Weltanschauungen seiner Zeit. Nach einer patriotischen Phase zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde er zum überzeugten Pazifisten, der sich von jeglicher Politik fernhalten wollte und seine Hoffnungen in eine Weltliteratur als universal wirksames Medium der Völkerverständigung setzte.

Wie aktuell sind Stefan Zweigs Werke heute noch? Und welchen Stellenwert haben sie?

Die zahlreichen Übersetzungen, Bearbeitungen und Verfilmungen von Europa bis Asien belegen die seit über einhundert Jahren anhaltende Strahlkraft der Werke Zweigs. Bemerkenswert ist, dass seine Werke besonders in politischen und sozialen Umbruch- bzw. Krisenzeiten herangezogen werden. Die Ausstellung zeigt mehrere konkrete Beispiele dafür.

In seiner Autobiografie „Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers“ (1942) beschwor Stefan Zweig die Idee eines vereinten und friedlichen Europas. Bis heute gilt Zweig nicht nur deutschsprachigen SchriftstellerInnen und Intellektuellen als Vordenker und Repräsentant des europäischen Friedensprojekts. Seine Vision ist mit Gründung der EU Wirklichkeit geworden. In den Debatten um das gegenwärtige Europa mit seinen Herausforderungen wie Migration, Armut und Nationalismus, aber auch seinen Errungenschaften wie offenen Grenzen und langanhaltendem Frieden wird Zweig vielfach zitiert. In der Ausstellung haben wir diesem Thema einen Schwerpunkt gewidmet.

Auch außerhalb Europas steht der Stellenwert des Zweig’schen Werkes außer Frage. In China beispielsweise zählt Stefan Zweig seit den 1920er Jahren neben Goethe und Schiller zu den meistgelesenen deutschsprachigen AutorInnen. Auffallend ist, dass sich die Novellen mit weiblichen Hauptfiguren großer und anhaltender Beliebtheit erfreuten und vor allem in der Post-Mao-Ära ab 1976 intensiv diskutiert wurden. Die Auseinandersetzung mit den oft selbstaufopfernden, bedingungslos liebenden Frauenfiguren bei Zweig stellten für die Literaturkritik dieser Zeit eine mutige Abkehr, ja sogar einen Befreiungsschlag von maoistischen Idealen dar, denen zufolge über Jahrzehnte lediglich die Liebe zu und Aufopferung für die kommunistische Revolution erlaubt waren. Seit 2005 sorgten unter anderem drei Neuinterpretationen der Novelle „Brief einer Unbekannten“ für Furore. In der Ausstellung sind Fotos und Ausschnitte dieser einzigartigen Film- und Theaterproduktionen zu sehen.

Mit seiner Fähigkeit, spannende Geschichten zu erzählen, mit seinem psychologischen Einfühlungsvermögen und dem Spürsinn für die Abgründe menschlicher Leidenschaften hat Zweig Werke geschaffen, die zum Kanon der Weltliteratur gehören.

Was sind für Sie persönlich die spannendsten Aspekte seines Lebens/seines Werkes?

Besonders spannend war die Erkenntnis, dass es nicht den „einen“ Stefan Zweig gibt. Zweig wird auf der ganzen Welt in unterschiedlichen Zeiten und politischen wie kulturellen Kontexten jeweils unterschiedlich gelesen und interpretiert. Mit seiner Fähigkeit, spannende Geschichten zu erzählen, mit seinem psychologischen Einfühlungsvermögen und dem Spürsinn für die Abgründe menschlicher Leidenschaften hat Zweig Werke geschaffen, die zum Kanon der Weltliteratur gehören. Seine Werke fesselten und fesseln nach wie vor Millionen von LeserInnen rund um den Globus. Sie bieten eine so große Fülle an literarischen Stoffen, Themen, Motiven und Figuren, die überall auf der Welt aufgegriffen und zu ganz spezifischen Projektionsflächen und Diskussionsräumen werden können.

Die Corona-Pandemie holte uns bereits während der Vorbereitungen für die Ausstellung ein und ermutigte uns unter anderem, neue digitale Formate, wie die Online-Führung „Frühstück mit Stefan Zweig“ zu entwickeln. Vor allem aber scheinen viele Aspekte im Wirken Zweigs, wie sein Einsatz für einen Zusammenhalt, der Grenzen überwindet und Völker verbindet, in Zeiten der Krise und gesellschaftlichen Spaltung relevanter denn je.

Die Ausstellung „Stefan Zweig. Weltautor“ ist noch bis 4. September 2022 im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien zu sehen.

Begleitbuch:

Bernhard Fetz, Arnhilt Inguglia-Höfle und Arturo Larcati: Stefan Zweig. Weltautor. Wien: Zsolnay 2021.

Online-Führung:

„Frühstück mit Stefan Zweig“