Anlässlich der EU-Ratspräsidentschaft und der 30-jährigen slowenischen Unabhängigkeit traf SOCIETY Magazin S.E. Aleksander Geržina, den abermals neu akkreditierten Botschafter Sloweniens in Österreich.
Sie sind seit dem 05.07.2021 wieder slowenischer Botschafter in Österreich, davor waren Sie dies bereits von 2009 bis 2013. Was hat sich aus Ihrer Sicht seit Ihrem ersten Mandat als Botschafter in Österreich geändert?
Eigentlich ist Wien so wie es immer war, mit all seinen positiven und manchmal negativen Seiten. Hier zu leben und zu wohnen ist wunderschön. Die Stadt ist aber eine wirkliche Metropole geworden. Nicht alle Bauarbeiten sind vermutlich unbedingt notwendig und logisch, aber man sieht, dass es der Stadt nicht an Geld mangelt.
Besonders aufgefallen ist mir außerdem, dass sich die Gesprächsbereitschaft in manchen Regierungsämtern im Vergleich zu meiner ersten Amtszeit verändert hat. Man wartet jetzt viel länger auf Termine, als das noch vor acht oder zehn Jahren der Fall war. Damals war es ganz normal, ein Treffen mit hohen Regierungsvertretern noch am selben Tag abhalten zu können.
Und ihre Aufgabe selbst hat sich wahrscheinlich auch verändert, nehme ich an.
Die Aufgabe eines Diplomaten bleibt in ihrer Definition eigentlich immer dieselbe. Es geht darum, Kontakte zu pflegen, wichtigen Gesprächspartnern gewisse Nachrichten zu überbringen, die politische Landschaft zu beobachten und in Folge die eigene Regierung zu informieren. Das ist Diplomatie. Es gab Versuche, die diplomatische Tätigkeit zu modernisieren oder zu verändern, aber im Grunde ist das nicht möglich. Gut, man hat jetzt Telefone und es gibt moderne Technik. Das ermöglicht und erleichtert vieles, aber am Ende des Tages läuft es immer auf das Gespräch zwischen Menschen und den menschlichen Kontakt hinaus – es ist immer noch das Menschliche, das in der Diplomatie zählt.
Am 1. Juli 2021 hat Slowenien zusammen mit Deutschland und Portugal den Dreiervorsitz für sechs Monate im Rat der EU übernommen. Worauf wird Slowenien während der Ratspräsidentschaft besonders seinen Fokus legen?
Die Ratspräsidentschaft ist eine von vielen Aufgaben, die noch hinzukommt, sie endet aber nach sechs Monaten. Ich würde nicht sagen, dass sie unsere Hauptaufgabe ist, aber ein großer Teil meiner Tätigkeit ist momentan diesem Aspekt gewidmet. [Anm. der Redaktion: das Interview fand im November 2021 statt, die EU-Ratspräsidentschaft endet mit 31. Dezember 2021].
Das Geschehen in der Europäischen Union ist sehr rege. Seit es den Lissabonner Vertrag gibt, ist aber derjenige Mitgliedstaat, der die Präsidentschaft innehat, etwas weniger im Fokus. Davor war das jeweilige Land wirklich sehr wichtig und es hat auch inhaltlich die Agenda gesetzt. Jetzt machen das die Kommission und der Rat, aber es ist dennoch noch immer genug Spielraum vorhanden, sodass auch das jeweilige Mitgliedsland, das die Präsidentschaft innehat, einige Anstöße für die EU als Gesamtes geben kann.
Wir haben unseren Fokus jedenfalls auf die Zukunft Europas gerichtet. Das ist wichtig, weil wir uns gerade in einer Krise befinden, außerdem besteht weiterhin die Frage der EU-Osterweiterung. Zusätzlich haben wir noch an Aufgaben im Bereich des Umweltschutzes gearbeitet, auch in Zusammenhang mit der Klimakonferenz in Glasgow. Hier hatten wir die Rolle eines Koordinators der EU Standpunkte inne und mussten zudem als Vermittler zwischen der EU und den Mitgliedsländern fungieren. Abgesehen davon, handelt es sich mehr oder weniger um eine vererbte Agenda von früheren Präsidentschaften, was aber dennoch mit viel Arbeit verbunden ist. Man ist der erste Ansprechpartner für viele Fragen und muss eine Vielzahl von Besuchen koordinieren. Außerdem haben wir zum Beispiel monatlich Mittagessen für Botschafter und Mitglieder der Bundesregierung und den Bundespräsidenten organisiert.
Am 18. Juni 2021 feierte Slowenien 30 Jahre Unabhängigkeit. Was sind für Sie die größten Errungenschaften der letzten drei Dekaden?
Wir waren das erste der Ex-Jugoslawischen Länder, welches in die EU aufgenommen wurde. Wir hatten 2008 als erstes Land aus Osteuropa die Ratspräsidentschaft inne. Slowenien war auch das erste neue EU-Mitgliedsland, das den Euro angenommen hat und im Zuge dessen sind wir auch dem Schengen-Raum beigetreten. Wir waren also ein totaler Vorzeigeschüler, aber dann ist alles etwas anders verlaufen – wie auch in anderen EU Ländern.
Wir haben uns teilweise in heiklen Situationen wiedergefunden, die uns beeinträchtigt haben. Die finanzielle Krise, die Migrationsproblematik, die COVID-19 Pandemie – diese Ereignisse haben uns alle gefordert. Auf manche waren wir nicht so gut vorbereitet, wie wir gedacht hatten, und das ist eben ein Punkt, wo ich meine, dass wir wahrscheinlich nicht alles so gut gemeistert haben, wie wir das eigentlich hätten sollen. Es war definitiv nicht leicht für die EU.
Durch die Pandemie und auch dadurch, wie die Länder gehandelt haben während der Krise, ist schon ein Riss in der EU entstanden, oder?
Ja, ich denke, diese Krise geht tiefer als die Pandemie. Ich glaube, dass einer der Hauptgründe dafür die Kluft zwischen Osten und Westen ist. Der Osten der EU hat Erfahrung mit dem Kommunismus gemacht, der Westen nicht. Und wahrscheinlich sind auf Grund der verschiedenen geschichtlichen Erfahrungen – zum Beispiel was die Frage der Menschenrechte anbelangt – die Ansichten oftmals unterschiedlich. Ich glaube, wir sollten uns vielmehr darüber unterhalten, wie wir diese Krise bewältigen, denn ich denke, dass diese Kluft wahrscheinlich die größte Gefahr für die Zukunft der Europäischen Union darstellt. COVID-19 – das müssen und werden wir meistern, aber dieser Spalt zwischen Osten und Westen macht mich nachdenklich, weil es schon etwas ist, was längerfristig doch viel Schaden anrichten kann.
Wie sehen Sie dann die Osterweiterung der EU?
Die Osterweiterung der EU war natürlich notwendig, weil Europa sofort nach dem Fall der Berliner Mauer und nach dem Zerfall des Kommunismus weitergehen wollte. Der Westen wollte helfen, auch weil er im Kalten Krieg einfach zugesehen hat, was im Osten passiert. Slowenien wollte sofort Teil der EU werden und das war auch richtig so. Aber rückblickend haben wir uns in Sachen geschichtlicher Aufarbeitung auf der Linie West – Ost nicht sehr viel miteinander beschäftigt. Es sind hier innerhalb eines Gebildes, das auf einer liberalen, westlichen Ordnung basierte, zwei verschiedene Welten aufeinandergetroffen. Wir im Osten hatten eine komplett andere Erfahrung, die der Westen nicht hatte und das ist, so glaube ich, ein längerfristiger Aspekt der viel intensiver ausdebattiert werden muss, als wir das dachten und das bisher der Fall war.
Fotos: SOCIETY/Karakan