Warum auf Impfcontainern oft Flaggen zu sehen sind

In der internationalen Politik geht in den letzten Monaten ein Gespenst um. Es trägt den Namen „Impfdiplomatie“ und scheint geeignet, die Innen- und Außenpolitik gar mancher Staaten durcheinanderzubringen.

Text von Emil Brix

Es werden ihm sogar geopolitische Ambitionen unterstellt. Sein etwas älterer Bruder hieß „Maskendiplomatie“, aber von ihm hört man seit längerer Zeit nichts mehr. Welcher Staat besitzt ausreichend COVID19-Impfstoffe und welche Staaten nutzen Exporte, um politischen Einfluss oder zumindest öffentliches Ansehen zu gewinnen? Oder geht es im kapitalistischen Westen gar um die Impfdiplomatie großer Pharmakonzerne? Im Osten sind diese Fragen relativ eindeutig zu beantworten. Für China und Russland ist jede Impfdosis, die sie mit Stolz auf ihre medizinwissenschaftlichen Erfolge mit oder ohne Rechnung nach Brasilien, Serbien, Ungarn, in die Slowakei und vielleicht sogar nach Österreich schicken, ein Stück geopolitischer Einfluss. Wenn ein in Russland entwickelter Impfstoff den Namen „Sputnik V“ trägt, dann ist die Botschaft klar.

Aber auch die Europäische Union, die erst nach einem nicht immer rational abgelaufenen impfdiploma- tischen Basar einen Ausgleich in der Impfstoffverteilung zwischen seinen Mitgliedsstaaten und zwischen den Pharmaunternehmen gefunden hat und aktuell nach gemeinsamen Regeln für Reisefreiheiten nach der COVID19-Impfung sucht, sendet wohl nicht nur aus humanitären Gründen kostenlos Impfstoffe in die sechs Westbalkanstaaten.

Es lässt sich nicht bestreiten, dass manche Staaten mit dem Export von COVID19-Impfstoffen auch geopolitische Interessen verfolgen. Sie können dies tun, weil es in den meisten Staaten der Welt auch zur „Impfdip- lomatie“ gehört, zunächst die eigene Bevölkerung, ich hätte fast gesagt „Wähler“, mit Impfstoff zu versorgen. Ist das wirklich „Impfnationalismus“? Aber auch die Vereinten Nationen verfolgen mit ihrem COVAX-Programm der Zurverfügungstellung von Impfstoffen für die ärmeren Staaten der Welt ein geopolitisches Ziel.

Die Weltgemeinschaft möchte damit dazu beitragen, dass knappe Impfstoffe zwischen den Staaten der Welt gerechter verteilt werden. Das ist ein hehres Ziel multilateralen Handelns. Es geht in Zeiten einer Pandemie bei „Impfdiplomatie“ offenbar unvermeidlicher Weise um die öffentliche Gesundheit und um Weltpolitik. Aber war der Ausgleich zwischen „nationalen Interessen“ und gemeinsamen Interessen der Menschheit nicht immer schon die Kernaufgabe von Diplomatie? Selbst der bekennende Realpolitiker Henry Kissinger schreibt über Außenpolitik als Diplomatie, dass „nationale Interessen“ auch die Wahrung globaler öffentlicher „Güter“ wie Gesundheit, Klima und Sicherheit umfassen sollen.

Im konkreten Fall einer globalen Bedrohung der öffentlichen Gesundheit wäre es fahrlässig, den Import und die Zulassung von Impfstoffen abzu- lehnen, weil der Verdacht besteht, dass der exportierende Staat daraus geopolitischen Nutzen ziehen möchte. Politisch redliches Verhalten importierender Staaten kann sich nur an der Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen orientieren. Das sind alle Staaten ihrer Bevölkerung schuldig.

Und übrigens: Zu einer vernünftigen „Impfdiplomatie“ zählt für mich auch, dass nicht nur Ärzte und Polizisten möglichst rasch geimpft werden. Diplomaten sind nicht ganz unwichtig für die Arbeit an einer künftigen stabilen und gerechten Weltordnung, von der wir alle nicht wissen, welche neuen diplomatischen Aufgaben noch auftauchen werden. Wir sollten sie als globale „Systemerhalter“ gut behandeln.

Foto: Diplomatische Akademie/Peter Lechner