Portugal lenkte die EU durch die Pandemie

Die Union in Zeiten von Corona: Große Reformvorhaben wurden eingeleitet, doch das Corona-Krisenmanagement forderte vom Ratsvorsitz oft ganz andere Prioritäten.

Text von Hermine Schreiberhuber

Portugal hatte sich für seinen EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2021 ein ambitioniertes, in die Zukunft weisendes Programm vorgenommen. Die Aktionsfelder, die Lissabon vor Augen hatte, spiegelten die Vision einer selbstbewussten Europäischen Union, die sich großen Herausforderungen stellt: ein grünes, ein widerstandsfähiges, ein digitales, ein soziales, ein globales Europa zu schaffen. Doch die Bekämpfung der sich immer weiter ausbreitenden Covid-19-Pandemie stellte Portugal vor die enorme Aufgabe, das Europa-Schiff durch diese ungeahnte globale Krise zu lotsen.

Es galt vor allem, die aus gut zwei Dutzend Staaten zusammengesetzte Mannschaft an Bord zu halten. Corona führte zu nationalen Alleingängen, die in geschlossene Grenzen mündeten. Die Verteidigung von Wertesystem und Rechtstaatlichkeit erwies sich im Angesicht von Corona für die EU-Mitgliedsstaaten oft als schwierig.

Die Pandemie forderte inneren Zusammenhalt der Union und gleichzeitig nationale Regelungen. Ihre Handlungs- fähigkeit im Umgang mit Migration, Außengrenzschutz und Kampf gegen den Terrorismus ließ immer wieder zu wünschen übrig. Die großen Vorhaben, wie Kampf gegen den Klimawandel und Einleitung der großen EU-Reform, mussten zurückstehen. Innerhalb der Union war Hauptpriorität, die großen Budgetprobleme in den Griff zu bekommen. Es galt, dem EU-Recht vor nationalen Ansprüchen – siehe Ungarn und Polen – zu seinem Recht zu verhelfen.

Auch die EU-Partner in Sachen Westbalkan-Erweiterung – siehe Nordmazedonien und Albanien – mussten bei der Stange gehalten werden. Der Abschied von Großbritannien ist ökonomisch und politisch mühsam zu bewältigen, nicht nur wegen des verbreiteten Brexit-Widerstands in Irland und Schottland. Die Gestaltung der zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien stand im Zentrum von Gesprächen, die Österreichs Außen- minister Alexander Schallenberg in London mit seinem Amtskollegen Dominic Raab führte. Ausdrücklich plädierte Schallenberg für eine enge Zusammenarbeit, denn Großbritannien bleibe ein wesentlicher Teil der westlichen Wertegemeinschaft. London zeigte sich im Besonderen an Kooperation in den Bereichen Klimaschutz, Westbalkan und Medienfreiheit interessiert. Als globaler Akteur wurde die Europäische Union seit dem Vorjahr vor harte Proben gestellt. Das Verhältnis zu Russland und seinem mächtigen Präsidenten Wladimir Putin ist angespannt und führte zu neuen EU-Sanktionen, nachdem der Kreml-Chef der Forderung Brüssels nach Freilassung des Aktivisten Alexej Nawalny kein Gehör geschenkt hatte. Die russische Führung stellte die Beziehungen zur EU in Frage. Doch schon 2014 wusste sich Moskau zu helfen und wandte sich anderen Handels- und Technologiepartern zu, wie China. Das Verhältnis Europas zu China hat sich aus mehreren Gründen zuletzt sehr diffizil entwickelt und verhärtet. Chinas Machtanspruch als Triebfeder der Weltwirtschaft, der sich in der Seidenstraßen-Initiative manifestiert, hat in Europa spät, aber doch Alarm ausgelöst. Die EU will künftig die Übernahme europäischer Hochtechnologie-Unternehmen durch chine- sische Staatskonzerne erschweren.

In Griechenland war Peking nach der Euro-Krise fündig geworden. In Südosteuropa sind die Chinesen erfolgreich auf Einkaufstour. Auch gegen die Volksrepublik China verhängte die EU aus Menschenrechtsgründen Sanktionen, die sich wie im Falle Russlands in Grenzen halten, aber doch eine kritische Haltung demonstrieren sollen. Anlass ist die Unterdrückung der Uiguren.

Brüssel stimmte sich bei diesen Maßnahmen, den ersten Sanktionen seit 1989, mit Washington, Ottawa und London ab. Wegen des Uiguren-Problems besteht auch keine Chance, dass das seit Jahren ausgehandelte Investitionsabkommen zwischen der EU und China das Europa-Parlament passiert. Auch die Peking-kritischen Geschehnisse in Hongkong werden in der EU mit Sorge verfolgt. Einen Lichtblick am europäischen Horizont bieten der EU die transatlantischen Beziehungen.

Der Machtwechsel in den Vereinigten Staaten nach dem Abgang von Donald Trump und der Amtsübernahme durch Joe Biden hat die transatlantische Achse wieder belebt.

Freilich, Europa hat inzwischen gelernt, dass es ungeachtet der Bindung einiger EU-Mitglieder an das NATO-Militärbündnis für seine Verteidigung selbst verantwortlich ist. Die USA haben andere Prioritäten, und ihr Militärbudget beträgt das Vierfache der EU. Ein schwieriger Partner für die EU ist und bleibt die Türkei. Der langjährige EU-Beitrittskandidat setzt immer wieder Maßnahmen, die keinen Spielraum für Fortschritte lassen. Die türkischen Erdgaserkundigungen vor den griechischen Inseln und Zypern konnten nur mit Sanktionsandrohungen Brüssels gestoppt werden. Der Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt war für die EU ein Affront. Innenpolitisch lieferte Ankara durch Angriffe auf Parteien und Politiker der Opposition sowie auf Journalisten Zündstoff. In der Zeit der Corona-Pandemie, welche nun schon das zweite Jahr die ganze Welt in ihrem Bann hält, sind zahlreiche Konflikte auf dem Globus eskaliert, neue Konflikte kamen hinzu. Jemen, Syrien, Irak, Afghanistan, Myanmar, Kolumbien, zuletzt die Israel-Palästinenser-Konfrontation. Die internationalen Akteure, zu denen auch die Europäische Union zählt, leisten oft humanitäre Hilfe, ohne aber politisch Präsenz zu zeigen.

PORTUGIESISCHE AGENDA: SOZIALES, ZUKUNFT UND CORONA

Zurück zur EU-Agenda des Ratsvorsitzlandes Portugal. Im April erörterte Österreichs Europaministerin Karoline Edtstadler in Lissabon und Madrid die Zentralthemen EU-Erweiterung und EU-Zukunftskonferenz. Dazu kamen das aktuelle Thema Stand der Pandemiebekämpfung und das europa-weit angestrebte Covid-Zertifikat „Grüner Pass“. Auch der Sozialgipfel in Porto Anfang Mai, ein Höhepunkt des Vorsitz-Halbjahrs Portugals, wurde zu einer Art Corona-Gipfel. Die EU-Regierungschefs verabschiedeten einen Aktionsplan zu Beschäftigung, Weiterbildung und Kampf gegen die Armut. Sie besprachen ferner Schritte zur Normalität nach der Pandemie. 750 Milliarden Euro Corona-Aufbauhilfen wurden beschlossen.

Am Europatag folgte die EU-Zukunftskonferenz, die samt Bürgerdialog zur EU-Reform bis 2022 erste Ergebnisse liefern soll. Das Ringen um die Aufnahme der Westbalkan-Staaten bleibt ein heißes Eisen. Bundeskanzler Sebastian Kurz betonte, es gehe um die Positionierung der EU im globalen Wettbewerb mit den USA, Russland und China. EU-Budgetkommissar Jo- hannes Hahn nannte als Ziel der EU- Kommission ein gemeinsames Hochfahren der europäischen Wirtschaft nach der Kontrolle über die Pandemie. Die Zukunftskonferenz hätte ein Paukenschlag für die Erneuerung der EU sein sollen, doch für Zukunftsvisionen blieb wenig Raum. Corona zeigte, wie rasch EU-Staaten ohne Abstimmung mit den Partnern Grenzen schlossen und eigene Regeln aufstellten. Uneinig hatten sich die EU-Staaten bereits in der Frage der Impfstoffbeschaffung gezeigt. Schwächen der EU-Kommission in dieser Frage hatten dazu geführt, dass einzelne Mitgliedsstaaten eigenständig Verträge mit Pharmafirmen abschlossen. Für die Lösung künftiger Probleme in Sachen Klima oder Welthandel ist dies kein gutes Zeichen. Gerade im Welthandel hat sich das Schwergewicht bereits zunehmend nach Asien, namentlich nach China verlagert. Die Covid-Krise verstärkt die Entwicklung, dass die Volkswirtschaften Asiens jene Europas längst überflügelt haben. Zweifellos hat die Pandemie die westlichen Volkswirtschaften im Vergleich mit China geschwächt.

Portugals Nachfolger in der EU-Ratspräsidentschaft ist Slowenien. Dieser übernimmt ein schweres Erbe – Corona ist noch lange nicht vorbei. Die Trio-Präsidentschaft, bestehend aus Deutschland, Portugal und Slowenien, ist auf langfristige Schwerpunkte fokussiert. Einer davon ist die Bewältigung der sozio-ökonomischen Folgen der Pandemie, verbunden mit Bemühungen um eine Verbesserung des europäischen Krisenmanagements. Ferner obliegen dem Trio die Verhandlungen über einen mehrjährigen Finanzrahmen 2021-27 und die strategische Agenda 2019-24. Es geht um politische Ziele wie Klima, Wettbewerbsfähigkeit, Digitales, Soziales, die Rolle Europas in der Welt. Auch im Zeichen von Corona.

Foto: European Union