von Hermine Schreiberhuber
Sämtliche Herausforderer des Amtsinhabers waren chancenlos
Astana – Die vorgezogenen Präsidentenwahlen in Kasachstan endeten am 20. November erwartungsgemaß mit einem überragenden Sieg von Amtsinhaber Kassym-Schomart Tokayew. 2019 hatte Tokayew den langjährigen Staatschef Nursultan Nasarbajew an der Staatsspitze abgelöst. Dennoch übertraf die hohe Zustimmung von 81 Prozent alle Erwartungen. Die fünf Gegenkandidaten, unter ihnen zwei Frauen, erreichten jeweils kaum 3 Prozent. Aus Gesprächen mit Politikern und aus eigener Beobachtung ließ sich ableiten, dass die Bürger Kasachstans nach den blutigen Protesten vom Jänner auf politische Ruhe und wirtschaftliche Fortschritte hoffen.
Rund 640 Wahlbeobachter aus aller Welt und etwa 250 Auslandsjournalisten waren eingeladen, sich an Ort und Stelle ein Bild von den Wahlvorbereitungen und vom Ablauf des Urnengangs zu machen. Wahlbeobachter sprachen von einem ruhigen Wahlverlauf und von einer friedlichen Stimmung. „Society“ war als einziges Medium aus Österreich mit dabei und hatte Gelegenheit, am Wahlsonntag in Astana und in Akmol im Westen der Hauptstadt Wahllokale aufzusuchen. Am Abend schilderten etliche Wahlbeobachter der Presse ihre Erfahrungen. Unregelmäßigkeiten konnten sie nicht feststellen.
Das riesige Kasachstan in Zentralasien ist das fünftgrößte Land der Erde und es verfügt über bedeutende Bodenschätze. Die ehemalige Sowjetrepublik grenzt an wichtige Akteure wie Russland und Chna. Vizeaußenminister Roman Vassilenko sagte bei dem Treffen mit internationalen Journalisten: „Wir müssen die Herausforderung überwinden, dass Kasachstan ein land-gebundener Staat ist“, also keinen direkten Zugang zum Meer besitzt. Man sei an asiatischen Kooperationen und der Abschaffung von Zöllen interessiert. Seine erste Auslandsreise nach der Covid-Pandemie habe Chinas Staatschef Xi Jinping nach Astana geführt.
Vizeaußenminister: Strategische Position gegenüber Russland und China – Neutralität im Ukraine-Krieg
Die Tatsache, dass Kasachstan sich in Regionalalkonflikten sowie im Ukraine-Krieg neutral verhält, wurde immer wieder aufs Tapet gebracht. Vassilenko machte deutlich, dass sein Land „traditionell gute Beziehungen zu Russland und zur Ukraine“ pflege. Präsident Tokayew vertrete die Position: „Wir achten die Integrität der betroffenen Staaten.“ Demnach schloss sich Kasachstan den Sanktionen gegen Moskau nicht an, sei aber zu Vermittlungsaufgaben bereit. Kasachstan sei gleichfalls an guten Beziehungen zum Westen interessiert. „Eine Multi-Vektor-Politik ist unser Ziel.“ Dazu zählen laut Vassilenko auch die Religionskonferenzen. Auf dem Weltkongress im September hatte Papst Franziskus in Astana zum Frieden aufgerufen.
Die Präsidentenwahlen vom Sonntag definierte Vassilenko als „eine wichtige Etappe, einen Meilenstein auf dem Weg der Modernisierung“. In Anspielung auf die Jänner-Proteste fügte er hinzu, die Vorkommnisse gaben einen „Impuls zu Neuerungen“. Die große Zustimmung beim Verfassungsreferendum im Juni habe diesen Kurs bestätigt. Kasachstan optiere für eine stärkere Demokratisierung. So sei nunmehr eine einmalige Amtszeit des Präsidenten in der Verfassung verankert, mit Verlängerung auf sieben Jahre. Nasarbajew war 30 Jahre an der Staatsspitze geblieben. Am Wahltag wurde er im staatlichen Fernsehen beim Urnengang gezeigt.
Vertreter eines hohen Senatsgremiums, das sich aus ehemaligen Spitzenbeamten und -politikern zusammensetzt, sprachen ebenfalls von einem „neuen Kapitel“ in Richtung Reformen. Änderung des Wahlsystems, Notwendigkeit einer dynamischen Entwicklung, mehr Fairness und Gerechtigkeit im Steuersystem, mehr Aufmerksamkeit für die Jugend wurden als wichtige Zielsetzungen genannt. Kasachstan sei „eine große multinationale Gesellschaft“, ein Volk, das sich aus über hundert Nationalitäten zusammensetze, betonte ein Mitglied des Gremiums. „In den letzten Jahren gab es keine Nationalitätenkonflikte. Und wir haben keine Konflikte mit Nachbarn.“
Staatskanzler Erlan Karin, der als Vertreter des Präsidenten und zugleich als Verbindungsmann zur Zivilgesellschaft fungiert, unterstrich die Bedeutung des laufenden Prozesses. Es gehe um den „Übergang zu einer präsidentiellen Republik“. Zwei Etappen seien vollzogen worden, die Verfassungsreform und die Präsidentenwahlen 2022, für die erste Jahreshälfte 2023 sind Parlamentswahlen angesetzt. Nach 30 Jahren der harten Nasarbajew-Ära will Kasachstan neue Wege beschreiten. Auf mögliche Ablehnung im Volk angesprochen, erklärte Erlan Karin: „Kritiker der Reformen haben wenig Rückhalt in der Gesellschaft.“
20 Millionen Wähler waren zu den Urnen gerufen worden. Fast 70 Prozent von ihnen, zwölf Millionen, machten nach vorliegenden Zahlen von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Im ganzen Land waren 10.000 Wahllokale eingerichtet worden. Im Ausland hatte die 12.900 wahlberechtigten Kasachen in 68 Wahlstationen in 53 Staaten Möglichkeit zum Wählen. Exit Polls gab es noch in der Wahlnacht, doch endgültige Ergebnisse werden erst eine Woche nach der Wahl vorliegen. In der Zentralen Wahlkommission wurden der Auslandspresse die intensiven Vorbereitungen, auch für entlegene Regionen des Riesenstaates, erläutert: Trainingsprogramme für Mitarbeiter, Beschwerdestellen für Bürger.
Kandidaten auf Reformen fokussiert – Mäßige Kritik an „Blitzwahl“
Einige der sechs Kandidaten stellten sich den Journalisten. Unisono sprachen sie von einer wichtigen Etappe im Demokratisierungsprizess und betonten die Notwendigkeit von Reformen. Das aus drei Parteien geformte Tokayew-Wahlbündnis wählte nach den Worten eines Repräsentanten das patriotische Motto „Ein Staat, eine Heimat, eine Nation“. Im Büro des Kandidaten Zhiguly Dairabayew, der im Agrarsektor seine Anhänger hat, wurde Kritik an der kurzfristig angesetzten „Blitzwahl“ geäußert, die wenig Spielraum zuließ. Der Kandidat Meiram Kazhyken, der vor allem Gewerkschaften hinter sich hat, kritisierte: „Eineinhalb Monate Vorbereitung waren zu kurz.“ Er pochte auf gerechtere Verteilung der Mittel.
Selbstsicher und beeindruckend wirkte die Juristin Saltanat Tursynbekova, eine der beiden weiblichen Kandidaten. Mit ihrer Kandidatur habe sie „das Stereotyp durchbrochen“, wonach Frauen ihren Platz im Haus hätten, sagte sie zu „Society“. Als Juristin hatte sie höchste Posten innegehabt, am Obersten Gerichtshof und in der Staatsanwaltschaft. Jetzt widmet sie sich als Menschenrechtsaktivistin vor allem den Frauen und Kindern. Ihr Engagement will sie fortsetzen – für die Stärkung der Familie, Mindestlöhne, Behinderte und Korruptionsbekämpfung. Die Anerkennung läßt auf sich warten: Bei der Wahl kam Tursynbekova nur auf Rang sechs.
Lokalaugenschein in Astana und Umgebung – Durchwegs positives Echo bei Beobachtern
Am Wahltag war Lokalaugenschein in Wahllokalen angesagt. Zwei große Wahllokale waren im hochmodernen Nationalmuseum, einem Aushängeschild Astanas, eingerichtet worden, mit großem Aufwand an Mitarbeitern und Digitaltechnik. Überall das gleiche Schema: auf einer Seite Registrierung, auf der anderen lokale Beobachter, in der Mitte Wahlzellen und im Zentrum des Raumes die Wahlurne. Nächste Station: Akmol im Westen Astanas, Wahllokal im Veranstaltungszentrum der Gemeinde. Sanfte Musik ertönte im Vorraum. Der Ort blickt auf stalinistische Gräuel zurück. Im Camp Alzhir waren vor und im Zweiten Weltkrieg tausende Frauen inhaftiert, unter der Beschuldigung, Angehörige von „Verrätern“ zu sein. Viele verloren ihr Leben. Eine Gedenkstätte am Dorfrand zeugt von ihrem Leid.
In der Wahlzentrale in Astana erwarteten uns am Wahlabend Non-Stopp-Auftritte von Wahlbeobachtern. Der Doyen des Diplomatischen Corps, der palästinensische Botschafter Montasyr Abuzeid, war in Schulen, in Spitälern, die als Wahllokale dienten. „Keine Unfairness, keine Klagen“, so der Tenor des Diplomaten. Italienische Experten lobten die Bemühungen des multiethnischen Kasachstan, mit seinen langen Grenzen zu Russland und China, im Gegensatz zu diesen Nachbarn, ein früher hartes Regime abzumildern. Kasachstan gehe anderen Ex-sowjetischen Staaten mit gutem Beispiel voran, befand ein georgischer Beobachter. Von einem „geordneten und ruhigen Ablauf“ sprach ein Vertreter der Islamischen Konferenz-Organisation ICO.
Kritische Töne kamen lediglich später vom OSZE-Büro ODIHR, das über demokratische Institutionen und Menschenrechte wacht. Es gab Vorbehalte gegen Einschränkungen bei der Kandidatur, vor allem die Erfordernis eines zehnjährigen Staatsdienstes. Zudem hatten die Herausforderer Tokayews, der als Amtsinhaber in den Medien allzeit präsent war, in der kurzen Zeit keine Chance, ungeachtet positiver Ideen bekannt zu werden. Das Ergebnis spricht Bände: Nur 2,67 Prozent Stimmen für Dairabayew, nur 2,43 Prozent für Kazhyken. Die kämpferische Aktivistin Tursynbekova belegte mit 1,44 Prozent den letzten Platz. Offenbar ist die Zeit für Frauen noch nicht reif. Interessant, dass man in einer eigenen Rubrik auch alle Kandidaten ablehnen konnte. Immerhin kreuzten 5,8 Prozent der Wähler das Feld „Gegen alle“ an.
Photos: SOCIETY/Schreiberhuber