Es gibt keine gute Zukunft aneinander vorbei

SOCIETY sprach mit Michael Landau, dem Präsidenten von Caritas Österreich, über die aktuellen Herausforderungen und Projekte in der Krisenzeit und die Bedeutung von internationaler Solidarität.

Die aktuelle Covid-19 Krise ist nicht nur für Österreich eine extreme Herausforderung. Wie bewerten Sie die internationale und europäische Zusammenarbeit beziehungsweise Solidarität dahingehend?

Ich denke wir erleben in diesen Zeiten etwas, was es zuvor in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben hat. Noch nie zuvor wurden so viele Menschen rund um den Globus fast gleichzeitig in Quarantäne geschickt. Es steht außer Zweifel, dass diese Pandemie eine absolute Bewährungsprobe für unser Solidaritätsverständnis darstellt, im lokalen, nationalen und internationalen Kontext. Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die WHO waren bis vor kurzem noch von Populisten verschmähte globale Organisationen. In der Krise erweisen sie sich als zentrale Instrumente, um Leben wirksam zu retten. Gäbe es Organisationen wie die WHO nicht, dann müsste man sie jetzt neu erfinden. Mein Eindruck ist, dass langsam aber doch das Verständnis durchsickert, dass die Pandemie entweder weltweit und gemeinsam oder letztlich gar nicht bekämpft werden kann. Diese Erkenntnis könnte langfristig dabei helfen internationale und europäische Zusammenarbeit zu vertiefen, ich bin da durchaus zuversichtlich. Meiner Ansicht nach hat die Union im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Zuständigkeiten durchaus rasch reagiert hat. Die ersten Reaktionen gab es schon Anfang Jänner, die Angebote zur gemeinsamen Koordination waren durchaus da. Es war eher das anfängliche Zögern der Mitgliedsländer, welches verhindert hat, dass der gemeinsame Einsatz an Fahrt aufnimmt, aber ich bin froh, dass dies nun zunehmend der Fall ist.

Welche Problematiken – vor allem im sozialen Sinn – werden durch die aktuelle Situation besonders verstärkt? Welche positiven Erfahrungen konnte die Caritas in dieser Krise bis dato machen?

In Österreich erleben wir die größte Arbeitslosigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Gesundheitskrise beginnt nun auch soziale Dimensionen anzunehmen, das sehen wir bei den Lebensmittelausgabestellen und unseren Beratungsstellen. Wir begegnen Menschen, die schon vorher in der Krise waren, wir stoßen aber auch zunehmend auf Menschen, die durch das Coronavirus unverschuldet in Not geraten sind. Männer und Frauen, die noch nie auf die Hilfe einer Organisation wie der Caritas angewiesen waren. Wir müssen jetzt alles unternehmen, um einen sozialen Lockdown unseres Landes zu verhindern. Bildung ist ein besonders heikles Thema, wir haben unsere vierundfünfzig Lerncafés auf Ferncafés umgestellt. Dort versuchen wir mit telefonischer oder digitaler Begleitung die Kinder beim Lernen zu unterstützen. Eine solche Krise ist immer auch ein Brennglas auf die Wirklichkeit, wir lernen derzeit viel darüber wie die Welt heute funktioniert, im Guten wie im Schlechten. Es gibt eine große Hilfsbereitschaft, es sind viele Spenden da, ich bin überzeugt, dass es uns miteinander gut gelungen ist, das Gesundheitssystem stabil zu halten. Ich habe den Eindruck, dass sich die Regierung und die EU bemühen wirksam zu helfen, sowohl im Blick auf Wirtschaft, wie auf das Soziale, und das wird entscheidend sein.

Welche Projekte umfasst die Corona-Nothilfe und wie herausfordernd ist es momentan, die Kampagnen abseits von Corona aufrechtzuerhalten?

Wir sind als Caritas derzeit mit dem massiven Ausbau unserer Nothilfe beschäftigt. Zum Beispiel im Einsatz für wohnungslose Menschen, Versorgung mit Lebensmittelpaketen, Beratung und finanziellen Überbrückungshilfen. Es gibt viele Initiativen, unter anderem das Plaudernetz, wofür sich viele Freiwillige gemeldet haben. Insgesamt gab es eine große Hilfsbereitschaft unter den Menschen, das zeigt, dass ein guter Grundwasserspiegel an Nächstenliebe und Solidarität in unserem Land da ist. Wir sehen das bei den Notwärmestuben und den Lebensmittelausgaben, wo wir sehr rasch mit jungen Freiwilligen helfen konnten. Alleine in Wien haben sich viertausend gemeldet, zum Teil sind es Studierende oder Menschen in Kurzarbeit, die einen Beitrag leisten möchten, da sie jetzt mehr Zeit haben. Ich hoffe auch, dass gesellschaftlich wichtige Themen wie Einsamkeit jetzt mehr in den Fokus rücken und thematisiert werden, denn das war auch schon vor Corona für viele Menschen eine verborgene Not. Wenn wir jetzt lernen, dass kein Land allein die Krise erfolgreich bekämpfen kann, dann sehen wir auch auf der individuellen Ebene, dass niemand auf sich gestellt eine solche Krise bekämpfen kann. Wir brauchen einander wesentlich, als Menschen und auch als Staaten – es kann nur eine gute Zukunft geben, wenn wir diese gemeinsam haben. Es gibt keine gute Zukunft aneinander vorbei.

Wie kann man sich die Einbindung der Caritas Österreich in das internationale Netzwerk der Caritas vorstellen? Welchen Einfluss hat die politische Infrastruktur eines Landes auf die internationale Kooperation der einzelnen nationalen Caritas Hilfsorganisationen?  

Wir sind als Caritas Österreich aktiv in die verschiedenen Koordinations- und Entscheidungsgremien, sowohl auf der europäischen Ebene über die Caritas Europa als auch international über die Caritas Internationalis eingebunden. Die Caritas ist weltweit tätig, wir sind verhältnismäßig gut in der Lage unser Grundprinzip „Not sehen und handeln“ in die Tat umzusetzen. Hier hilft in vielen Ländern die respektvolle Äquidistanz zur Politik und das klare Mandat zur Hilfe für die Schwächsten. Es geht uns um Hilfe zur Selbsthilfe und zwar möglichst nahe bei den betroffenen Menschen. In der Regel wird einzelnen Mitgliedern des Netzwerks auch kaum vorgeworfen, dass sie eine politische Agenda jenseits des Einsatzes für die Schwächsten verfolgen würden. Dieser gute internationale Ruf hilft in vielen Fällen in der Umsetzung der Hilfe, vor allem auch in Krisenregionen, weil wir über die Caritas-Strukturen stark lokal verankert sind. Als Caritas sagen wir: Wir handeln heute wirtschaftlich global, politisch multilateral und moralisch und ethisch erstaunlich provinziell. Wenn zunehmend mehr Menschen auf der Welt ein Gefühl dafür bekommen, dass unser Tun und Lassen Wirkung zeigt, dann wird uns das bei den anstehenden Aufgaben helfen. Auch dort, wo es um die wirksame Bekämpfung der Armut oder um den Schutz der Umwelt geht. Wir haben als Menschen immer Verantwortung für uns selbst, aber wir haben auch Verantwortung füreinander. Als Caritas-Verantwortlicher würde ich sagen, dass wir sind als Menschen in eine Schicksalsgemeinschaft hineinverwoben sind, aus der sich keiner davonstehlen kann und aus der auch niemand ausgeschlossen werden darf. Die Chance, die ich damit verbunden sehe, ist, dass wir zu so etwas wie einer Globalisierung des Verantwortungsbewusstseins kommen, Verantwortung im Weltmaßstab und nicht nur für den Hausgebrauch.

Foto: Ingo Petramer/Brandstätterverlag