Anna Netrebko – Ein Leben für die Bühne

Stillstand ist für die international gefeierte Opernsängerin Anna Netrebko trotz Pandemie ein Fremdwort. Im Oktober 2021 hat sie ihr erstes Kochbuch veröffentlicht, kurz danach kam ihr neues Soloalbum „Amata dalle tenebre“ heraus.

Titelbild: Tim Osipov

In „Der Geschmack meines Lebens“, erschienen im Molden Verlag, zeichnet sie anhand von persönlichen Lieblingsrezepten ihre Lebensgeschichte nach – die verschiedenen Gerichte illustrieren die zahlreichen Stationen ihres Werdegangs und lassen gleichzeitig den Menschen hinter dem gefeierten Opernstar erkennen.  

Vor gut 40 Jahren stand die im vormals sowjetischen Krasnodar am 18. September 1971 geborene Ausnahmesängerin zum ersten Mal alleine auf der Bühne des Konzertsaals ihrer Heimatstadt. „Ich sang russische Lieder, hatte ein hübsches Kleid an und das Publikum klatschte begeistert Beifall. Es war ein Riesenspaß – und seither ist mir die Bühne vertraut“, erinnert sie sich im Buch. Von da an tourte sie mit dem Chor der Jugendpioniere, bei dem sie seit ihrem siebten Lebensjahr Mitglied war, durch die ehemalige Sowjetunion. Ihr Vater, ein Geologe und ihre Mutter, eine Ingenieurin unterstützten sie stets und auch mit ihrer großen Schwester Natascha verbindet sie seit jeher ein enges geschwisterliches Band. Ihre Mutter beschreibt sie in ihrem Kochbuch als „fantastische Köchin im sowjetischen Sinn […]“, die sie und ihre Schwester „mit all ihrer Liebe umsorgte.“ Erst in den letzten Jahren entwickelte Anna Netrebko auch selbst eine Leidenschaft für das Kochen. „Als junge Frau hatte ich nie wirklich den Kopf dafür, darum habe ich von meiner Mutter leider keine Küchengeheimnisse gelernt“, bedauert sie. Heute ist das Kochen für sie ein kreativer Akt, ein Ausgleich und vor allem das anschließende Zusammenkommen und gemeinsame Essen mit Menschen dienen der Starsopranistin als Kraftquelle.

Hinaus in die weite Welt

Mit nur 16 Jahren ging Netrebko nach St. Petersburg, um dort am renommierten Rimski-Korsakow-Konservatorium Gesang zu studieren. Für ihren Traum auf der Bühne zu stehen, absolvierte sie das herausfordernde Trainingsprogramm der Musikhochschule: neben dem täglichen Üben, Trainieren und Rollen-Einstudieren wurden Fremdsprachen, Fechten, Tanz und Choreografie gelehrt. Kurz nach ihrer Ankunft in der russischen Metropole besuchte sie zum ersten Mal eine Oper – Verdis „Otello“ – und war sogleich verzaubert: „An diesem Abend setzte sich in mir der Wunsch fest, auch selbst einmal in dieser Welt zu arbeiten“, erinnert sie sich im Buch. Das erste Engagement ließ dann nicht lange auf sich warten. 1993 gewann sie den Glinka-Gesangswettbewerb in Moskau und nur ein Jahr später debütierte sie am Mariinski-Theater als „Susanna“ in Mozarts „Le nozze di Figaro“.

1995 führte sie ihre außergewöhnliche Stimme zum ersten Mal in die USA, an die San Francisco Opera, wo sie in die Rolle der „Ljudmila“ in Glinkas „Ruslan und Ljudmila“ schlüpfte. Die Freiheit und Offenheit der Menschen dort begeisterten sie von Beginn an: „Da war diese magische Leichtigkeit des Seins: Alle waren schön und bunt angezogen und zelebrierten ihre Freude an der Sinnlichkeit – das gefiel mir auch“, blickt sie zurück.

Bald sang sie auf den wichtigsten (Opern-)bühnen dieser Welt, so etwa auf jener der Salzburger Festspiele, wo sie 1997 im Rahmen eines Gastspiels des Mariinskij-Theaters als Blumenmädchen in Klingsors Zaubergarten (Richard Wagner, „Parsifal“) debütierte. Als sie dann 2002 eben dort als „Donna Anna“ in Mozarts „Don Giovanni“ auftrat, besiegelte sie endgültig ihren Status als Weltstar. „Salzburg war von Anfang an umwerfend; so viel Kultur, so viel Musik. Aufregend, verrückt!“, schwärmt sie in „Der Geschmack meines Lebens“ über die Mozartstadt.

Mit der Veröffentlichung ihres Soloalbums „The Woman: The Voice“ 2004, wurde sie außerdem zu einem wahren Popstar der Opernszene. Im gleichen Jahr verbrachte sie zwei Monate im „Big Apple“, wo sie an der Metropolitan Opera die „Musetta“ in Puccinis „La Bohème“ sang. Heute ist New York eine ihrer Heimatstädte, mit der sie, wie sie selbst sagt, einiges gemeinsam hat: „Auch ich mag nicht stillstehen, muss mich vorwärtsbewegen. Ich mag es nicht, immer wieder das Gleiche zu machen – ich muss Neues, Unbekanntes erforschen.“ Dieser unbändige Tatendrang, gepaart mit außergewöhnlicher Disziplin und einer unverwechselbaren Stimme brachten ihr bereits zahlreiche Ehrungen, Auszeichnungen und Preise ein. 2005 erhielt sie etwa den russischen Staatspreis, 2007 wurde sie sogar als erste Klassikkünstlerin überhaupt in die TIME Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt aufgenommen. In die beeindruckende Liste reihen sich außerdem vier Grammy-Nominierungen, Classic Brit Awards als „Singer of the Year” sowie als “Female Artist of the Year”, der deutsche Bambi in der Kategorie Klassik und seit kurzem auch der als „Nobelpreis für Musik“ bekannte Polar Music Prize for Classical Music. „Wenn Anna Netrebko auftritt, ist es unmöglich wegzuschauen“, so begründete die Jury ihre Entscheidung. Seit 2017 trägt sie außerdem den illustren Titel „Kammersängerin“, der ihr im Rahmen einer Feier in der Wiener Staatsoper verliehen wurde.

Familienverbundener Weltstar

Fulminante Auftritte, auch außerhalb internationaler Opernhäuser, trugen und tragen weiter zu ihrem Starstatus bei: So zum Beispiel ihre Show auf der Berliner Waldbühne gemeinsam mit den Operngranden Rolando Villazón und Plácido Domingo anlässlich der Fußball-WM 2006 oder ihre Performance im Zuge der Eröffnung der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi.

„Singen hat auch sehr viel mit dem Kopf zu tun, mit absoluter Konzentration auf die künstlerische Aufgabe. Und: Singen kostet Kraft. Als Sängerin muss man daher gut essen.“

Anna Netrebko, Der Geschmack meines Lebens, Molden Verlag

Um Kraft für die vielen Engagements und Darbietungen zu tanken, verbringt die Sopranistin gerne Zeit mit ihrem Mann, dem aserbaidschanischen Tenor Yusif Eyvazov und ihrem Sohn Tiago: „Meine Batterien lade ich auf, indem ich zu Hause bin, Zeit mit meiner Familie und mit meinen Freunden verbringe.“ Vor allem gutes Essen spielt hier ebenfalls eine wesentliche Rolle für sie: „Singen hat auch sehr viel mit dem Kopf zu tun, mit absoluter Konzentration auf die künstlerische Aufgabe. Und: Singen kostet Kraft. Als Sängerin muss man daher gut essen.“

Die Intensität, mit der sie ihre Rollen interpretiert, ist jedenfalls unvergleichlich, ihre kraftvolle, vielseitige Stimme spektakulär. Die Neue Zürcher Zeitung bezeichnete Netrebko nach einem Auftritt bei den Salzburger Festspielen als die „wohl einzig verbliebene Primadonna assoluta unserer Zeit“,  Anthony Tommasini von der New York Times schrieb einmal über Netrebko, dass sie eine „absolute Star-Sopranistin im besten Sinne“ sei, „mit einer charismatischen Ausdrucksstärke, die in jedem Moment ihres Auftritts erkennbar wird.“

Und auch der Tagesspiegel (Berlin) sparte im März 2020 nicht mit Lob: „Wie sie mühelos weiteste Melodiebögen spannt, wie virtuos sie Töne anschwellen und dann wieder zurücknehmen kann, mit welcher Selbstsicherheit sie im feinsten Pianissimo einsetzt, das ist derzeit unerreicht.“

Netrebko ist eine Kosmopolitin, sie hat Wohnungen in Sankt Petersburg, New York und Wien, pendelt zwischen den Bühnen der Welt, zwischen großen Werken und gefeierten Rollen. Die meiste Zeit verbringt die Sängerin, die seit 2006 die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, aber momentan in Wien. „Wien liebe ich! Ich glaube, die Stadt ist auf dieser Welt einer der besten Plätze zum Leben – wenn nicht der beste“, schwärmt sie. Neben all ihren Engagements setzt sie sich auch für benachteiligte Kinder ein und unterstützt unter anderem die SOS-Kinderdörfer und die Russian Children’s Welfare Society.

Nach fünf Jahren Pause und am Höhepunkt ihres Könnens, veröffentlichte Netrebko im November 2021 erstmals wieder ein klassisches Soloalbum – „Amata dalle tenebre“ heißt es und beinhaltet nicht nur ikonische Sopran-Arien sondern auch einige ihrer persönlichen Lieblingslieder. Das Album ist abermals ein Beweis dafür, dass Anna Netrebko eine der maßgeblichen Opernsängerinnen unserer Zeit ist, deren Stimme die Opernwelt und darüber hinaus noch lange begeistern wird. 

Buch:

Der Geschmack meines Lebens

Anna Netrebko

Molden Verlag