Beate Meinl-Reisinger: Das neue Gesicht der österreichischen Außenpolitik

Seit 3. März 2025 ist die gebürtige Wienerin Beate Meinl-Reisinger Österreichs Außenministerin und damit Chefdiplomatin des Landes. In einer Zeit, in der sich die Welt im Umbruch befindet, steht die 46-Jährige damit vor einer herausfordernden Amtsperiode.

„Es gibt keine größere Ehre, als Österreich im Ausland vertreten zu dürfen“, betonte Meinl-Reisinger bei der offiziellen Amtsübergabe im österreichischen Außenministerium Anfang März. Von ihrem Vorgänger Alexander Schallenberg, der das Haus insgesamt knapp sechs Jahre lang leitete, bekam sie zu diesem Anlass einen Koffer, einem, wie Schallenberg betonte, „der wichtigsten Utensilien des Außenministers“.

Diesen packte sie nur wenige Tage später, um ihre erste Auslandsreise nach Brüssel anzutreten, wo sie auf die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Kaja Kallas, und den österreichischen EU-Kommissar Magnus Brunner traf. In der europäischen Hauptstadt unterstrich Meinl-Reisinger die Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit: „Ich habe bewusst Brüssel als Ziel meiner ersten Auslandsreise gewählt. Wir sind mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, die wir nur gemeinsam als Europäische Union bewältigen können – […] Die EU ist für Österreich Garant für Frieden, Sicherheit und Wohlstand. Und nur Kooperation und Solidarität schaffen Sicherheit, in der Nachbarschaft, auf europäischer und auf internationaler Ebene. Österreich wird ein solidarischer und verlässlicher Partner bleiben“. Für ihre Partei, die NEOS, war ein gemeinsames Europa stets ein Kernthema ihres Wahlprogramms, regelmäßig plädierten sie überdies für die Schaffung der „Vereinigten Staaten von Europa“ mit einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Nur knapp eine Woche nach ihrer Brüssel-Reise besuchte Meinl-Reisinger die Ukraine, „um“, so die Außenministerin später im ZIB 2 Interview, „ein unmissverständliches Zeichen der Solidarität zu setzen“. Von der polnischen Grenzstadt Przemyśl aus, die seit Beginn des Krieges Ausgangspunkt für sämtliche Auslandsreisen hochrangiger Spitzenpolitiker in die Ukraine ist, fuhr sie mit einem Nachtzug nach Kyjiw. Begleitet wurde sie von ihrem kürzlich ernannten Kabinettchef Arad Benkö, ein Sozialdemokrat der bisher die österreichische Botschaft im vom Krieg gebeutelten Land leitete. Zufällig war auch Meinl-Reisingers portugiesischer Amtskollege an Bord des gleichen Zuges, mit dem sie eine Flasche Grünen Veltliner gegen eine Schachtel Pasteis de Nata austauschte – Diplomatie im Kleinen also.

In der ukrainischen Hauptstadt angekommen, traf sie zuerst auf ihren ukrainischen Amtskollegen Andrii Sybiha, mit dem sie Blumen an einer Gedenkmauer der unzähligen gefallenen Soldaten niederlegte. Meinl-Reisinger betonte beim Besuch immer wieder, dass Österreich zwar militärisch aber nicht politisch neutral sei.

Später wurde sie sogar von Präsident Wolodymyr Selenskyi empfangen, dem sie abermals die Unterstützung Österreichs versicherte. Selenskyi und Meinl-Reisinger kommen aus derselben liberalen europäischen Parteifamilie, als Klubchefin der NEOS war die nunmehrige Außenministerin schon einmal kurz nach Kriegsbeginn in Kyjiw.

Ihre erste Bewährungsprobe als neue Außenministerin bestand sie laut mitgereisten Journalisten souverän, „sie ging in der neuen Rolle auf“, schrieb etwa die Presse, ihr scheine die große und die kleine Diplomatie Spaß zu machen. Sie selbst, so erklärte sie vor Journalisten, sehe sich aber als Politikerin und nicht als Diplomatin. Das könne ein Nachteil, aber auch ein Vorteil sein.

Viel Zeit, sich an ihre neue Rolle zu gewöhnen, blieb der NEOS-Mitbegründerin ohnehin nicht. Eine neue EU-Sicherheitspolitik hier, eine sich auf dem Prüfstand befindende transatlantische Beziehung dort. 

Um Österreichs Beteiligung an Problemlösungen zu intensivieren, warb Meinl-Reisinger ebenfalls noch im März im UNO-Sicherheitsrat in New York für einen nicht ständigen UNO-Sicherheitsratssitz für die Periode 2027/2028, denn, so Meinl-Reisinger, gerade für Länder von der Größe Österreichs wäre es besonders gefährlich, wenn sich auf internationaler Ebene das Recht des Stärkeren gegenüber der Sicherheit des Rechts durchsetzen würde. Als Außenministerin stelle sie sich die Frage, wo man Verantwortung übernehmen könne, um Frieden, die liberale Demokratie und damit unsere Sicherheit stärken zu können, und weiter: „Als kleineres Land können wir so in der Welt der Supermächte mehr erreichen“. Auch im für sie ersten Rat für Auswärtige Angelegenheiten in Brüssel eine Woche davor setzte sie klare rot-weiß-rote Akzente.

Neben den Auslandsreisen absolvierte die leidenschaftliche Läuferin in ihrem ersten Monat im Amt gewissermaßen einen Marathon an Terminen, sie empfing den Außenminister von Nordmazedonien Timčo Mucunski, ihre Amtskollegin aus Georgien, Maka Botchorishvili, und den Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher. Zudem traf sie die Generaldirektorin des Wiener UNO-Büros und Exekutivdirektorin des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) Ghada Waly sowie Robert Floyd, Exekutivsekretär der CTBTO, und den Generaldirektor der IAEA, Rafael Grossi. Außerdem wohnte sie dem ersten Ministerrat der neuen Regierung bei. Aber, wie sie in einem Interview mit der Kleinen Zeitung betonte, sei sie ohnehin „gekommen, um zu arbeiten“.

Ein Blick zurück

Meinl-Reisinger war schon immer zielstrebig und ehrgeizig. Als sie zum Beispiel 2012 die NEOS mitbegründete, war sie bereits zweifache Mutter. Die ÖVP hatte ihr zu dieser Zeit gerade einen Posten im Ministerium als Abteilungsleiterin angeboten, doch sie lehnte ab. „Alle haben die Hände über den Kopf zusammengeschlagen, als ich das ausschlug. Auch meine Eltern waren schockiert. Wie willst du mit zwei kleinen Kindern eine neue Partei gründen? Mein Mann war gerade in Ausbildung. Wir mussten in dieser Phase auf unser Erspartes zurückgreifen. Völlig vertrottelt, eigentlich. Aber es gibt eben eine gewisse Renitenz in mir. Wenn mir irgendjemand einen Weg vorgeben will, an den ich nicht glaube, gehe ich. Selbstbestimmtheit ist mein Ding, deshalb bin ich bei den Liberalen gelandet. Ich will weder einen Staat, der sich um mich kümmert, noch eine Gesellschaft, die mir sagt, wie ich mich verhalten soll“, resümierte sie in einem Falter-Interview. Gemeinsam mit Matthias Strolz, Veit Dengler und weiteren Bürgerinnen und Bürgern gründete sie so den Nachfolger des Liberalen Forums, dessen Gründerin Heide Schmidt sie schon in ihrer Jugend beeindruckte. „Ihre Sprache, ihre Stimme, die Art, sich zu artikulieren, ihr Format. Noch heute denke ich mir oft: Wahnsinn, ich bin ihre Nachfolgerin.“ (Falter Interview).

Auch ihre Großmütter prägten die Juristin maßgeblich. Beide waren jeweils die ersten Akademikerinnen in ihren Familien und, so Meinl-Reisinger im Falter-Interview, „ganz sicher keine Töchter aus besserem Haus“. Sie wurden schließlich Lehrerinnen an derselben Schule, die Eine unterrichtete Englisch und Latein, die Andere Geografie und Geschichte. Besonders ihre Disziplin inspirierte Meinl-Reisinger: „Das haben sie mir mitgegeben. Und natürlich, dass Bildung das Um und Auf ist. Wie entscheidend die Zuwendung, das Verhältnis, die Förderung eines Kindes sein kann.“ Und weiter: „Meine Omas schwangen keine feministischen Reden, aber wie sie gelebt haben, diese Selbstverständlichkeit als arbeitende Frauen, prägte“.

Nach der Volksschule besuchte Meinl-Reisinger das Wiener Gymnasium BG9 in der Wasagasse – ihre Schulzeit fiel, wie sie selbst sagt, in eine außerordentlich dynamische Zeit mit großen Öffnungen, dem Fall des Eisernen Vorhangs, dem EU-Beitritt, ect. Als Schlüsselmomente ihrer politischen Sozialisierung nannte sie u.a. einmal den Mauerfall und das Haider’sche Anti-Ausländer Volksbegehren und vor allem das als Reaktion darauf initiierte Lichtermeer.

In ihrer Schule wurde viel politisch diskutiert, dass sie selbst einmal Politikerin werden würde, konnte sie sich zu dieser Zeit aber dennoch nicht vorstellen. „Ich war politisch, aber mich hat es nicht in die Parteipolitik hineingezogen. Als junger Mensch zu einer Partei zu gehen? Das war undenkbar für mich. Ich war weder Klassen- noch Schulsprecherin, habe keine Schülerzeitung gegründet oder mich in der Uni-Politik engagiert. Nur den Schulball habe ich organisiert. Ich wollte nie irgendwo dazugehören. Ich wollte meinen eigenen Weg gehen, selbstbestimmt, ohne Gruppendruck“, so Meinl-Reisinger.

Ursprünglich wollte Meinl-Reisinger einmal Schauspielerin werden, aber auch Medizin – ihre Eltern waren beide Ärzte – wäre für sie eine Option gewesen. Schließlich fiel ihre Wahl aber auf Jus. „Ich hab das ganz spontan in der Schlange vor der Inskriptionsstelle der Universität Wien entschieden. Ich hatte eigentlich nie den Masterplan für mein Leben, sondern habe Entscheidungen immer ganz stark aus dem Bauch getroffen“.

Später wollte sie in Brügge Europarecht studieren, ihre Eltern, die sie einmal als „bürgerliche Grüne“ bezeichnete, konnten das aber nicht finanzieren. So absolvierte sie schließlich den Master in European Studies an der Donau-Universität in Krems.

Über ein Trainee-Programm kam sie letztendlich nach Brüssel, war Assistentin des EU-Abgeordneten Othmar Karas (ÖVP). Danach kehrte sie nach Wien zurück, arbeitete im Kabinett von ÖVP-Familienstaatssekretärin Christine Marek. Dort musste sie sich nach eigenen Angaben „einen Panzer anlegen im Geist und den Herren der Industrie und Wirtschaft oder Bürgermeistern aller Couleur erklären, warum sie das jetzt gut finden müssen.“ (Falter, 06.08.2025).

Dann kam der Anruf eines ÖVP-Politikers, der sie fragte, ob sie Abteilungsleiterin im Ministerium werden wolle, denn er hätte gerne „eine von uns“ dort sitzen. Für Meinl-Reisinger war diese Anfrage ausschlaggebend dafür, sich für die Gründung einer neuen politischen Kraft einzusetzen. „Da wurde mir klar, dass ich nicht in einem Land leben will, in dem die erste Frage bei der Besetzung eines Postens lautet: ,Ist das eine von uns?‘.“

Schon 2013 – beim ersten Antritt der NEOS – schaffte sie bei den Wahlen den Sprung in den Nationalrat, fungierte als Vorsitzende des Kulturausschusses sowie als Mitglied des Justizausschusses, des Konsumentenschutz- sowie des Familienausschusses. 2015 wurde sie Spitzenkandidatin bei den Landtags- und Gemeinderatswahl in Wien, wofür sie ein halbes Jahr vor der Wahl ihr Nationalratsmandat niederlegte. Ihr Wahlspruch damals: „G’scheite Kinder statt G’stopfte Politiker“, ihr definiertes Ziel: Korruption und Freunderlwirtschaft in Wien zu bekämpfen. Mit 6,16 Prozent zogen die NEOS schließlich in den Landtag ein.

Dann der Schritt an die Parteispitze: Mit der Ankündigung seines Rückzuges 2018 ebnete NEOS-Klubobmann Matthias Strolz für Meinl-Reisinger den Weg an die Spitze der Partei, und in späterer Folge, in die österreichische Regierung.

Im Oktober des gleichen Jahres übernahm sie außerdem das Nationalratsmandat von Strolz. 2019 wurde sie mit 96,1 Prozent der Stimmen bei einer NEOS-Mitgliederversammlung zur Spitzenkandidatin für die Nationalratswahl in Österreich 2019 gewählt, bei der die NEOS 8,1 Prozent der Stimmen erhielten. Bis 2025 bekleidete sie das Amt der Nationalratsabgeordneten, für die Wahl 2024 fungierte sie abermals als Spitzenkandidatin der NEOS. Im gleichen Jahr veröffentlichte die dreifache Mutter ihr Buch „Wendepunkt“.

Der Rest ist Geschichte: nach der längsten Regierungsbildung in der Zweiten Republik einigten sich ÖVP, SPÖ und die NEOS nach 137 Tagen auf eine Koalition. Meinl-Reisinger wird Außenministerin. Ursprünglich war sie für diverse Ministerposten gehandelt worden, doch „heimlich in mir drinnen habe ich das immer als meinen Wunsch gehabt“.

Meinl-Reisinger ist übrigens nicht die erste Politikerin in ihrer Familie. Einer ihrer Vorfahren väterlicherseits, Casimir Reisinger, war Gemeinderat in der Monarchie für die Mittelpartei und zudem Gründer der ersten Wiener Kinderbewahranstalt, k.u.k Hoflieferant, Realitätenbesitzer und Weingroßhändler. Eine Gasse in Favoriten trägt noch heute seinen Namen.

Wie stark seine Nachfahrin Beate Meinl-Reisinger die österreichische (Außen-)politik prägen kann, wird sich in den nächsten fünf Jahren zeigen. Den Willen und das Rüstzeug hat die 46-Jährige jedenfalls.