Albertina: Faces – Die Macht des Gesichts

Noch bis 24. Mai 2021 können Kunstinteressierte in den Tietze Galleries des Albertina Museums eine ausdrucksstarke Ausstellung bewundern: Faces – Die Macht des Gesichts widmet sich der radikalen Erneuerung der Poträtfotografie im Deutschland und Österreich der Zwischenkriegszeit.

In den 1920er- und 1930er-Jahren beschäftigte sich eine Vielzahl von Künstlerinnen und Künstlern obsessiv mit dem Gesicht, das klassische Porträt kam aus der Mode: Fotografinnen und Fotografen stellten nicht mehr die Persönlichkeit eines Menschen dar, sondern fassten das Gesicht nun als nach ihren Vorstellungen formbares Material auf.

Die Porträts der Zeit spiegeln die gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Umbrüche der Epoche wider. Das zeigt sich etwa an der Hinterfragung der Geschlechterverhältnisse, die Künstlerinnen und Künstler mithilfe elaborierter Rollenspiele ausloten. Im sozial aufgeheizten Umfeld der Weimarer Republik, im österreichischen Ständestaat und im Nationalsozialismus diente das Gesicht nicht zuletzt als Projektionsfläche für politische Ideologien, denen durch Stilmittel der Moderne visuell Ausdruck gegeben wurde.

Künstlerinnen und Künstler (Auszug):

Helmar Lerski

Im Zentrum der Ausstellung steht das Werk des Fotografen, Kameramanns und Filmemachers Helmar Lerski, der 1871 in Strasbourg als Israel Schmuklerski geboren wurde. In seinen Porträts schuf er eine außergewöhnliche Inszenierung des Gesichts durch Licht. In seinen drei umfassendsten Porträtserien perfektionierte er seine Praxis: Köpfe des Alltags, welche er in Berlin aufnahm, Araber und Juden und Verwandlungen durch Licht, die beide in Palästina entstanden, wohin Lerski 1932 aufgrund des in Deutschland grassierenden Antisemitismus emigrierte, sind Zeugnis seines außergewöhnlichen Stils und Könnens.  

Marta Astfalck-Vietz und Gertrud Arndt

Im Kontext feministischer Zugänge eröffneten Verkleidungen ein Spiel mit weiblichen Geschlechterklischees bis hin zur Parodie. Die Berliner Fotografin Marta Astfalck-Vietz nahm zwischen 1926 und 1932 Selbstporträts auf, die von Tanz und Kino inspiriert waren. Die am Bauhaus als Weberin ausgebildete Künstlerin Gertrud Arndt zum Beispiel, verwandelte sich für ihre Maskenselbstbildnisse in unterschiedlichste Frauentypen, die sie u.a. der Populärkultur entnommen hatte.

August Sander

In seinem Langzeitprojekt Menschen des 20. Jahrhunderts versuchte Sander ab 1925 einen gesellschaftlichen Querschnitt der Weimarer Republik zu dokumentieren. In natürlichem Licht und zumeist ganzfigurig bildete er seine Modelle in ihrem Lebensumfeld ab. Hierarchisch nach Berufen – beginnend mit Bauern über Handwerker bis hin zu Künstlern und Intellektuellen ordnete er seine Serie von 540 Bildern in sieben Gruppen.

Willy Zielke

Der Fotograf und Regisseur Willy Zielke drehte 1932 den Film Arbeitslos. Ein Schicksal von Millionen, der von erwerbslosen Fabrikarbeitern handelt. Um das Werk abseits der Leinwand zu dokumentieren, arbeitete Zielke Kader aus dem Film als Fotos aus, die in der Ausstellung erstmals zu sehen sind.

Das Volksgesicht

Das Interesse an Physiognomie und „Typen“ manifestierte sich in den 1930er-Jahren zunächst in einer kulturkonservativen Heimatfotografie und in der Folge einer im Dienste des Nationalsozialismus stehenden Porträtfotografie. Erna Lendvai-Dircksen, Erich Retzlaff und Rudolf Koppitz nivellierten die Vielfältigkeit der Gesellschaft zu homogenen Gruppen, die sie vorwiegend in der ländlichen Bevölkerung fanden (bzw. konstruierten). Unterstützt von der Ideologie des austrofaschistischen Ständestaates legte Koppitz 1936 monumentale Close-ups des Bauernstandes vor, die sich nahtlos in die Ideologie des Nationalsozialismus einfügten. Retzlaff und Lendvai-Dircksen publizierten auflagenstarke Fotobücher mit propagandistischen Begleittexten, um den Porträtfotos so eine explizit rassisch-völkische Konnotation zu verleihen.  

Das Gesicht als inszenierbares Material, über das ästhetische Überlegungen der Avantgarde als auch gesellschaftliche Entwicklungen der Zwischenkriegszeit dargestellt werden, wird in der Ausstellung noch bis 24. Mai eindrucksvoll thematisiert und dargestellt.

Info:

www.albertina.at

täglich von 10 bis 18 Uhr

Albertinaplatz 1

Bildercredits:

August Sander
Jungbauern, 1914
Silbergelatinepapier
© Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln; BILDRECHT, Wien, 2021

Erich Retzlaff
Brauttracht aus dem Kleinen Walsertal, aus: Deutsche Trachten, vor 1936
Silbergelatinepapier auf Karton
ALBERTINA, Wien – Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft
© Volker Graf Bethusy-Huc

Helmar Lerski
Verwandlungen durch Licht, 588, 1935–1936
Silbergelatinepapier
ALBERTINA, Wien © Nachlass Helmar Lerski – Museum Folkwang, Essen

Marta Astfalck-Vietz
Ohne Titel (Marta Vietz, Akt mit Spitze), um 1927
Silbergelatinepapier
Dietmar Katz/Berlinische Galerie © VG Bild-Kunst, Bonn

Helmar Lerski
Verwandlungen durch Licht, 536, 1935-1936
Silbergelatinepapier
© Nachlass Helmar Lerski – Museum Folkwang, Essen

Oskar Nerlinger
Kopf mit Taschenlampe, ca. 1928
Silbergelatinepapier
Galerie Berinson, Berlin © Sigrid Nerlinger

Titelbild: Max Burchartz
Lotte (Auge), 1928
Silbergelatinepapier
Museum Folkwang, Essen © Bildrecht, Wien 2021

Text Quelle: Albertina Presse