Sophie Scholl: Porträt einer Märtyrerin wider Willen

Das Widerstandsmitglied der „Weißen Rose“, Sophie Scholl, wäre am 09. Mai 100 Jahre alt geworden. In Robert M. Zoskes Buch „Sophie Scholl: Es reut mich nichts. Das Porträt einer Widerständigen“ werden bisher unbekannte Facetten der Regimekritikerin gezeigt.

Sophie Scholl liebte klare Trennungen und Kategorien. Sie befürwortete das gewaltsame Vorgehen der Nazis gegen die jüdische Bevölkerung in Amsterdam, mit dem Hintergrund, dass die Gesellschaft nun endlich einsehen müsste, wie brutal und mörderisch der Faschismus eigentlich sei, wie sie in einem Brief an ihren Freund Fritz Hartnagel schrieb. Ihre Persönlichkeit hingegen widersprach diesem Schubladen-Denken: Sie wandelte zwischen Schwarz und Weiß, blieb zeitweilig ein Grauton und funkelte am Ende in den Strahlen der, als zutiefst gläubigen Protestantin, erhofften Erlösung Gottes. Sie war eine Märtyrerin mit zahlreichen Facetten, Heldin und gleichzeitig Mensch mit Fehlern, Tugenden, Mut und ganz viel Empathie.

Sophie Scholl wurde am 22. Februar 1943 in München hingerichtet. Pünktlich mit dem Glockenschlag um 17.00, 17.02 und 17.05 verloren sie, ihr Bruder Hans Scholl und Christoph Probst ihr Leben. Hingegeben für die Freiheit. Die Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ verbreiteten zwischen 1942 und 1943 insgesamt sechs regimekritische Flugblätter in den Städten München, Linz, Salzburg und Wien. Am 18.02.1943, dem gleichen Tag der Sportpalastrede von Goebbels, wurden die Geschwister Scholl gefasst. Der Hausmeister Jakob Schmid hatte sie dabei beobachtet, wie sie einen Stoß der 1500 Exemplare des sechsten Flugblattes vom ersten Stock der Ludwig-Maximilian-Universität in München stießen.

Die Widerstandsgruppe forderte zu passivem und bald auch aktivem Widerstand gegen den Nationalsozialismus in ihren Flugblättern auf. Sie erklärten den Krieg schon längst für verloren und machten auf die systematische Ermordung von Juden aufmerksam.

Doch die Geschwister Scholl waren nicht schon immer Regimekritiker gewesen: Ausflüge mit dem Bund Deutscher Mädel oder Sport bei der Hitlerjugend waren willkommene Chancen dem Großfamilien-Alltag zu entfliehen. Sophie war ein übermütiges Kind, das kein Problem mit dem Alleinsein hatte, solange Natur, Kunst und Literatur für sie zugänglich waren. Eine Charaktereigenschaft, die ihr bis in das Erwachsenenleben erhalten blieb. Sophie drückte ihre eigenen Gefühle oft durch ihre Bezüge auf andere Künstler*innen, wie Rainer Maria Rilke oder Renée Sintenis, aus. Dies sieht man in ihren zahlreichen Briefwechseln mit Lisa Remppis, ihrer besten Freundin, zu der sie eine innige Liebe hegte und Fritz Hartnagel, Offizier und langjähriger Freund.

Fotos: ©Stadtarchiv Crailsheim/Slg. Hartnagel

Nach ihrer Schulzeit, die ihr relativ gleichgültig war, machte sie eine Ausbildung zur Kindergärtnerin, in der Hoffnung deshalb keinen Reichsarbeitsdienst (RAD) machen zu müssen, eine Strategie, die letzten Endes nicht aufging. Der Reichsarbeitsdienst war eine Qual: Unter den anderen Frauen fand sie keinen Anschluss und wurde dadurch schnell zur Außenseiterin.

Scholl wehrte sich anfangs politisch zu denken, zu fühlen und zu handeln, da sie in der schieren Komplexität der Wirklichkeit zu ersticken drohte. Für die gläubige Protestantin wurde die Sehnsucht nach Gott und seiner allumfassenden Führung, was ihr Handeln anbelangte, immer größer. Sie vermutete die Erlösung ihrer inneren Unruhe in seiner spirituellen Wegweisung, die ihr jedoch versagt blieb.

Die größte Zerreißprobe für Sophies Glauben war jedoch die teils steinige, langjährige Liebesbeziehung zum Offizier Fritz Hartnagel. In ihrem Glaubensverständnis, das sie von ihrer Mutter vorgelebt bekommen hatte, stellten Sexualität und Lethargie die größten Sünden dar. In vielen verzweifelten Briefen an den vier Jahre älteren Fritz kämpfte sie um die Vorherrschaft des Geistes über den schwachen, fleischlichen Körper. Die beiden begegneten sich mit ihren Ängsten, Unsicherheiten und auch Liebe, soweit Sophie diese zulassen konnte. In ihren Briefen an Lisa Remppis spielte sie die Beziehung zu Fritz jedoch bis zum Schluss bewusst herunter. Fritz liebe Sophie auf eine Art und Weise, die sie nicht erwidern könne, so schrieb sie in ihrem Tagebuch. Der junge Mann suchte in seinen Schreiben Liebe und Geborgenheit von seiner Angebeteten, Bitten, die sie harsch und fast schon grausam zurückwies, mit der Aufforderung das Immaterielle nicht im Materiellem zu suchen, denn nur so bleibe der Geist unabhängig. Die junge Frau wollte nicht sein Fixstern, sondern nur Sophie, nur sie selbst sein.

Im Mai 1942 begann ihre kurze Zeit als Studentin der Naturwissenschaften und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, an der auch Hans Scholl Medizin studierte. Sie versank immer öfter in einsamen und lethargischen Phasen und suchte voller Selbstzweifel nach einem Beweis, dass sie wirklich lebte und nicht bloß existierte, was einer der Gründe für ihre Beteiligung bei der Flugblatt-Aktion war. Ein weiterer Grund für ihren Widerstand war ihre starke Empathie: Sophie konnte das Leid anderer nicht tatenlos mitansehen. Wenn sie ihnen nicht aus ihrer Misere helfen konnte, wollte sie zumindest die Last mit ihnen teilen und ihnen im Schmerz nahe sein.

Sophies Abkehr vom Nationalsozialismus war ein schleichender Prozess, getrieben von ihrem starken Mitgefühl und einer unerschütterlichen religiösen Überzeugung. Ein genauer Bruchpunkt mit dem nationalsozialistischen Regime ist undefinierbar, doch als Grund kann die ideologische Grundeinstellung genannt werden: Sie glaubte tief an die menschliche Freiheit, die durch den Nationalsozialismus eingeschränkt wurde. Die junge Frau war keine Pazifistin, sondern eine radikale, gewaltbereite Kämpferin, die Hitler bei der kleinsten Chance bereitwillig getötet hätte. Sophie folgte der Überzeugung, dass die eigenen moralischen Werte bis zum letzten Atemzug verteidigt werden müssten.

In ihrer Ekstase und Suche nach Halt verlor sie sich in Selbstzweifel und einem gequälten Gedankengewirr, das potentiell depressive Züge aufwies, ausgelöst durch den Stress der Untätigkeit. Sie begehrte spirituelle Ketten und göttliche Führung, während sie für die menschliche Freiheit kämpfte und schließlich ihr Leben für sie opferte.

Buchtipp:

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