Die Leiterin von Schwarze Frauen Community, Mag. Esther Kürmayr, hat mit SOCIETY über die Arbeit des Vereins, tägliche Herausforderungen und Zukunftswünsche gesprochen.
Sie leiten die Schwarze Frauen Community in Wien. Was ist das zentrale Anliegen des Vereins? Wen soll er ansprechen?
Unser zentrales Anliegen ist das Empowerment schwarzer Frauen und ihrer Kinder. Dafür bieten wir Frauen-, und Mädchenberatung, psychologische Beratung, sowie eine Vielzahl an stärkenden Aktivitäten für unsere Zielgruppe an.
Auch mit weißen Müttern schwarzer Kinder arbeiten wir, weil sie oftmals Hilfe brauchen, um ihre Kinder, die mit völlig anderen Herausforderungen in der Gesellschaft konfrontiert werden als sie selbst, besser unterstützen zu können. Seit 2008 leisten wir neben Frauen- und Mädchenarbeit auch Bubenarbeit. Die Hälfte unseres Teams besteht heute aus männlichen Pädagogen, Sozialarbeitern und anderen Professionisten, die genderspezifische Bubenarbeit leisten. Manchmal werden auch Väter mitbetreut, wenn es um das Thema Besuchskontakte geht. Für beide Elternteile sind wir oftmals der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sie sich verständigen können und auf dieser Basis können Regelungen, die für beide funktionieren, erarbeitet werden. Wir haben auch einen Kollegen der Mediator ist und seine vermittelnde Position ist in diesem Bereich oft sehr wesentlich.
Welche Projekte und Veranstaltungen organisiert der Verein?
Da wir eine sehr breite Zielgruppe haben, gibt es sehr viele unterschiedliche Angebote. Einige unserer Frauenprojekte zielen darauf ab, die Teilnehmerinnen untereinander besser zu vernetzen , andere sind gezielte Fortbildungsangebote– im Rahmen der interkulturellen Frauencafés gibt es zum Beispiel Elternbildungsvorträge und Diskussionen rund um Erziehungsfragen.
Für Kinder und Jugendliche bieten wir prinzipiell eine Gesprächs-, Austausch- und Diskussionsebene an, darüber hinaus aber auch verschiedenste stärkende kreative Projekte, gemeinsame Ausflüge, eine Kindertheatergruppe, Ausstellungen etc. Wir fragen unsere Mitglieder auch nach ihren ganz persönlichen Anliegen und bauen darauf basierend unser Angebot auf.
Wichtig ist auch unser Workshopangebot für die Mehrheitsgesellschaft. Mittlerweile reicht das Spektrum der bei uns gebuchten Workshops vom Kindergartenalter bis zu Schulen und universitären Ausbildungen, und umfasst Angebote für unterschiedliche NGOs, Firmen und privat organisierte Gruppen.
Wie haben Sie das Angebot trotz Corona weiterführen können?
Die Beratungsangebote konnten wir relativ einfach online und per Telefon durchführen, bei den Gruppenangeboten war das natürlich schwieriger, sie sind online einfach nicht das gleiche und viele Bedürfnisse blieben dadurch offen. Aber wir haben sogar unsere Theateraufführung online gemacht und eigentlich ist es unglaublich, was alles schon möglich ist. In der Zeit, wo keine Lockdowns waren, haben wir unser Angebot vermehrt ins Freie verlagert, das wurde auch gut angenommen und jetzt freuen wir uns schon wieder sehr darauf, nach dem Lockdown zumindest draußen wieder zusammenkommen zu können.
Wie kam es eigentlich zur Gründung des Vereins?
Wir waren eine Handvoll schwarzer Frauen, die gemerkt haben, dass wir uns in unserer Position als Minderheit immer wieder in ganz speziellen Situationen wiederfinden. Wir wollten deshalb eine Plattform für uns und andere Frauen gründen. 2006 sind dann einige Mütter schwarzer Mädchen auf uns zugekommen und haben gesagt, dass die Mädchen ein starkes Bedürfnis nach Unterstützung hätten. Das waren damals weiße Mütter von schwarzen Mädchen, die in der österreichischen Schullandschaf bzw. Gesellschaft keine Vorbilder, die sie als stärkend erleben können, finden konnten. Sie sind mit stereotypen Bildern konfrontiert und vielfach diskriminiert und brauchen eine Anlaufstelle. So haben wir uns entschlossen, 2006 das erste Mädchenprojekt zu entwickeln. 2008 standen dann quasi die Buben vor unserer Tür und haben gesagt, dass sie ja ähnliche Herausforderungen hätten, wie die Mädchen, aber keine Anlaufstelle. Daraufhin haben wir ein Team von Männern gesucht – und wirklich tolle Kollegen gefunden – und seither arbeiten wir auch mit Buben.
„Die größten Herausforderungen ergeben sich aus dem, was die Mehrheitsgesellschaft über schwarze Menschen unreflektiert in ihren Köpfen hat.„
Mit welchen Herausforderungen sehen sich Schwarze Menschen als Minderheit tagtäglich konfrontiert?
Die größten Herausforderungen ergeben sich aus dem, was die Mehrheitsgesellschaft über schwarze Menschen unreflektiert in ihren Köpfen hat. Das sind jahrhundertelang gewachsene und genährte Stereotypen die letztlich dafür kreiert wurden, schwarze Menschen auszubeuten. Die Herausforderungen ziehen sich durch sämtliche Lebensbereiche.
Inwieweit hat hier die Black Lives Matter Bewegung einen positive Anstoß gegeben?
Ich denke, dass die Black Lives Matter Bewegung einen sehr wertvollen Beitrag geleistet hat. Im vergangenen Jahr haben sich so viele Menschen wie nie zuvor dafür interessiert, was wir tun und was sie dazu beitragen können, um strukturelle Gegebenheiten zu verändern. Das ist in meinen Augen eine Entwicklung in die richtige Richtung.
Wie kann man eine Gesellschaft offener und toleranter gestalten? Welche Problembereiche sehen Sie dahingehend in Österreich?
Ich glaube, dass es für eine Gesellschaft prinzipiell sehr wichtig ist, ihr historisches gedankliches Erbe und die dahinterliegenden Strukturen mutig zu hinterfragen, um so strukturelle Unterdrückungsmechanismen aufspüren zu können – das ist der erste und wichtigste Schritt. Wenn der getan ist, wird meiner Ansicht nach so viel angeregt, dass es sich nur mehr in die richtige Richtung bewegen kann. Man muss hier auch schon in den Schulen ansetzen, Lernmaterial muss kritisch durchforstet und mit Unterstützung der Menschen über die es unterrichtet, erstellt werden und Lehrer und Lehrerinnen im Bereich der Antidiskriminierung fortgebildet werden. Für die Exekutive gibt es bereits seit ca. 20 Jahren ein verpflichtendes Antidiskriminierungstraining – ein solches ist auch in allen sozialen Bereichen längst überfällig. Vor kurzem habe ich ein Gespräch mit einem Jugendlichen geführt, der mir erzählt halt, dass ein Lehrer ganz selbstverständlich das N-Wort verwendet und das auch ganz vehement gegenüber der Klasse vertreten hat. Der Schüler hat ihn alleine darauf hingewiesen und musste Aufklärungsarbeit leisten, die schlichtweg anderswo passieren müsste. Wir können nicht permanent junge Menschen in solche Situationen bringen, in denen sie sich unglaublich exponieren müssen, denn das führt oft zu emotionaler Überforderung.
Wie kann eine jede/ein jeder Diskriminierung entgegenwirken bzw. wie soll oder kann man mit Menschen umgehen, die sich diskriminierend verhalten?
Die wichtigsten Eigenschaften hierbei sind Zivilcourage und Solidarität: sich zu Wort zu melden und die Betroffenen nicht immer alleine im Regen stehen zu lassen bei alledem, was da auf sie projiziert wird. Ich erinnere mich da an eine für mich sehr berührende Begebenheit, die sicher schon mehr als 30 Jahre zurückliegt. Ich war mit FreundInnen in einem Lokal und wieder einmal kam ein wildfremder Mensch auf mich zu und fragte: „Woher kommen Sie denn?“ – damit stellt man mit einem Satz meinen Zugehörigkeitsanspruch zu Österreich in Frage. Solche Situationen werfen unglaubliche Identitätskonflikte auf – wohin gehören die Menschen denn sonst? Sie sind von hier, und es ist notwendig zu erkennen, dass es auch schwarze ÖsterreicherInnen gibt. Damals, in diesem Lokal, stand neben mir ein junger Mann und sagte: „Ich bin der Otto und ich komm aus Traiskirchen“. Die Aufmerksamkeit war sofort von mir weg und mein Gegenüber hat gespürt, dass irgendetwas komisch und falsch ist. Ich war Otto sehr dankbar und bin es noch immer. Es braucht mehr Menschen, die den Mut haben, Grenzüberschreitungen zu erkennen und vor allem dagegen Stellung zu beziehen.
Wie sehen Ihre Zukunftswünsche für den Verein, vor allem aber auch für die Schwarze Community in Wien, aus?
Mein kurz- und mittelfristiger Zukunftswunsch ist die finanzielle Absicherung des Vereins für die anstehende Arbeit. Längerfristig wäre es schön, wenn Sensibilisierungs- und Bewusstseinsarbeit ein selbstverständlicher Teil aller Bildungsinstitutionen und sozialen Einrichtungen wäre, sodass wir in einigen Jahren oder Jahrzehnten von einer ganz anderen Realität ausgehen können. Das wäre für die österreichische Gesellschaft insgesamt ein großer Schritt nach vorne.