Für Europa geht ein turbulentes Jahr zu Ende. Für Österreich im Besonderen bedeutet das Jahresende den Abschluss eines ereignisreichen Halbjahres an der Spitze der Europäischen Union.
Von Hermine Schreiberhuber
Am 1. Juli 2018 begann die dritte österreichische EU-Präsidentschaft seit dem Beitritt zur Union. Die Bundesregierung war mit wichtigen Vorgaben angetreten. Budget, Brexit, Sicherheit, Migration lauteten die Schlagworte – schwergewichtige Themen, die sich nicht in einigen Monaten abhandeln lassen. Zeitlich „umrahmt“ wurde Österreich in dieser verantwortungsvollen Aufgabe von zwei osteuropäischen Nachbarn. Bulgarien war im ersten Halbjahr 2018 im Ratsvorsitz unmittelbarer Vorgänger Österreichs, Rumänien wird ab 1. Jänner 2019 die Nachfolge antreten.
Stolpersteine Gibraltar und Irland-Grenze aus dem Weg geräumt
Das geplante Ausscheiden Großbritanniens aus der EU beherrschte gegen Ende der Österreich-Präsidentschaft das Geschehen. In einem Wettlauf gegen die Zeit wurde in der schwierigen Brexit-Materie noch ein Kompromiss erzielt, der auf eine für beide Seiten akzeptable Lösung bis zum vereinbarten Vollzug der „Scheidung“ Ende März hoffen lässt. Gibraltar war der letzte Stolperstein; die Regierungen in Madrid und London einigten sich im letzten Moment, dass künftige Vereinbarungen betreffend Gibraltar vorher zwischen beiden Staaten zu akkordieren sind.
Zuvor war in der Grenzfrage zwischen Nordirland und der Republik Irland eine große Hürde genommen worden. Die britische Premierministerin Theresa May einigte sich mit Brüssel auf einen Backstop, um sicherzustellen, dass an der irisch-nordirischen Grenze nicht wieder Kontrollen eingeführt werden. Der 1998 beigelegte Nordirland-Konflikt weckt auf beiden Seiten böse Erinnerungen. Ganz Großbritannien, nicht nur Nordirland soll demnach für eine Übergangszeit in einem gemeinsamen Zollraum mit der EU verbleiben.
Die reguläre britische Mitgliedschaft bei der EU soll am 29. März enden. Dann tritt eine Übergangsregelung bis 2020 in Kraft, die eventuell bis 2022 verlängert werden könnte. In dieser Übergangsphase verbleibt London im Binnenmarkt und in der Zollunion und muss weiter Zahlungen an die Union leisten, ohne aber selbst in den EU-Gremien vertreten zu sein und ein Mitspracherecht in EU-Institutionen zuhaben. Für die künftige Partnerschaft zwischen EU und London wird ein „Freihandelsgebiet“angepeilt.
Nach dem Brexit-Gipfel entscheiden die Parlamente
Auf dem Brexit-Sondergipfel wurden unterdessen der Austrittsvertrag und eine politische Erklärung zu den künftigen Beziehungen Großbritanniens zur Union unterzeichnet. Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft und die EU-Spitzen zeigten sich erleichtert. EU-Ratspräsident Donald Tusk unterstrich ebenso wie Chefverhandler Michel Barnier die Einheit und Solidarität unter den EU-27. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Parlamentschef Antonio Tajani rechnen mit einer Mehrheit für den Brexit-Deal im Europäischen Parlament. Als Ratsvorsitzender schloss Bundeskanzler Sebastian Kurz Nachverhandlungen aus: „Take it or leave it.“ Lange war befürchtet worden, dass es zu einem harten Brexit ohne Deal kommen könnte.
Doch auf britischer Seite ist das Brexit-Rennen keinesfalls gelaufen. Das Parlament in London muss den Austrittsvertrag demnächst ratifizieren. Ob May hierfür eine Mehrheit erhält, ist fraglich. Groß ist der Widerstand gegen ihren mit Brüssel ausgehandelten Vertrag nicht nur in der Labour-Opposition, sondern auch in den eigenen Reihen der Konservativen. In einem offenen Brief an das Volk warb die Regierungschefin für den Deal; denn die Alternative wäre wohl „no deal“.
EU-Budget nicht unter Dach und Fach
Auf das nächste EU-Budget konnten sich das Europa-Parlament und die EU-Staaten in diesem Jahr nicht mehr einigen. Dem Mehrjahresbudget 2021-27 kommt große Bedeutung zu, zumal der Brexit-Vollzug in diese Periode fällt. Die Zahlungsausfälle müssen kompensiert werden. Puncto Finanzierung von Ausgabensteigerungen herrscht Uneinigkeit. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hofft auf eine Einigung vor den Europa-Wahlen im nächsten Jahr. In Sachen Budgetdefizit hofft das verschuldete Italien, dass die EU kein Strafverfahren gegen Rom einleiten werde.
Frontex-Aufstockung lässt auf sich warten
Ein sicheres Europa war im Lichte des großen Flüchtlingsansturms von 2015 ein großes Anliegen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft. Doch gelang es nicht, die Grenzschutzagentur Frontex von derzeit 1.600 auf 10.000 Mann bis 2020aufzustocken. Mehrere EU-Mitglieder, die Mittelmeerstaaten Spanien, Italien und Griechenland sowie Ungarn hatten Bedenken wegen ihrer Souveränität. Kommissar Oettinger äußerte sich in der Presse dennoch optimistisch; ungeachtet des noch offenen Budgets erwartet er die Erhöhung der Frontex-Stärke 2019 und 2020.
Die Bereiche Migrations- und Asylpolitik bleiben Knackpunkte der Europa-Politik. Pläne zur Einrichtung von Asyl-Anlandeplattformen ließen sich nicht umsetzen. Es mangelte an Bereitschaft in den entsprechenden Staaten. Kanzler Kurz sprach beim EU-Gipfel im Oktober von verhärteten Fronten. Der Fokus sei daher auf den Schutz der EU-Außengrenzen zu legen. Auf Grund der Uneinigkeit über Flüchtlingsquoten in der Union stockt auch die EU-Asylreform. Ein Reihe von EU-Staaten, unter ihnen Österreich, steht überdies dem UNO-Migrationspakt ablehnend gegenüber.
Neu ist, im Februar 2019 erstmals einen Migrationsgipfel zwischen EU und Arabischer Liga abzuhalten. Sonderaufgaben hatte zuletzt auch der österreichische Ratsvorsitz bewerkstelligt: Bundeskanzler Kurz verwies im Parlament auf das Afrika-Forum und die Antisemitismus-Konferenz in Wien. Die Kooperation mit Afrika soll durcheine europäische Investitionsoffensive und einen EU-Treuhandfonds gefördert werden. In dem hochkarätig besetzten Antisemitismus-Symposium wurden die Anstrengungen Österreichs gewürdigt. Große Aufmerksamkeit widmete Österreich auch der weiteren Heranführung der Balkan-Staaten an die EU. Hingegen hat sich die Beitrittsperspektive der Türkei nicht gebessert.
2019 wird ein wichtiges Europa-Jahr
EU-Haushaltskommissar Oettinger hat eine positive Zwischenbilanz über den österreichischen Ratsvorsitz gezogen. Im Besonderen zollte er in einem Zeitungsinterview der Kompetenz der österreichischen Beamten und der EU-Botschaft Österreichs in Brüssel Anerkennung. Auf dem EU-Gipfel im Dezember schließt Österreich offiziell die Ratspräsidentschaft ab.
Die großen Themen, deren sich Österreich im EU-Vorsitz annahm, müssen dann von Rumänien weiterentwickelt werden. Eine Mega-Aufgabe für ein Land, das erstmals den Vorsitz übernimmt. Trotz Bedenken im eigenen Land hat die Regierung Rumäniens versichert, mit voller Kraft an die Sache herangehen zu wollen. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos stimmte bei Gesprächen in Bukarest mit der rumänischen Seite überein, dass die Stärkung des EU-Außengrenzschutzes und die Arbeit an einem gemeinsamen EU-Asylsystem pioritäre Anliegen sein werden.
Als erster Vertreter der österreichischen Regierung reiste Verteidigungsminister Mario Kunasek nach Bukarest, um eine geordnete Übergabe der EU-Vorsitzthemen vorzubereiten. Nach der EU-Vorsitzpremiere Rumäniens wird Finnland in der zweiten Hälfte 2019 die Geschicke der Union lenken.
Der dichte Europa-Zeitplan lässt den verantwortlichen Kräften keine Atempause. Spätestens im März muss das Europa-Parlament mit einfacher Mehrheit den Brexit-Vertrag beschließen, auch die nationalen Parlamente müssen zustimmen. Ende Mai wird zudem das neue Europa-Parlament gewählt. Dann werden die Rollen in der EU-Kommission unter den 27 neu verteilt.
Foto: Dragan Tatic