Im Fokus Kasachstans: Atomkraft und Religion 

von Mag. Hermine Schreiberhuber

Die kasachische Hauptstadt Astana war in den vergangenen Tagen Schauplatz zweier großer Ereignisse. Das Referendum über den Bau eines Atomkraftwerks in dem an Ressourcen reichen zentralasiatischen Staat interessiert in der Zeit des Klimawandels nicht nur die kasachischen Bürger. Eine internationale Konferenz der Religionsführer befasste sich mit der Rolle der Religion in der Politik, ein angesichts aktueller Konflikte im Nahen Osten brennendes Thema. 

Kasachstan erlebe gerade „eine sehr wichtige Zeit“, stellte Vizeaußenminister Roman Vassilenko gegenüber europäischen Journalisten fest, die zur Beobachtung des AKW-Referendums und des Religionsgipfels angereist waren. „Die geopolitische Landschaft verändert sich.“ Der renommierte Politiker hob die wichtige Position des weltweit größten Binnenstaates zwischen Europa und Asien hervor. Dementsprechend pflege Kasachstan gute Beziehungen zu den großen Nachbarn Russland und China. 

Vassilenko verwies auch auf das Faktum, dass 45 Prozent der weltweiten Vorkommen an Uranium aus der ehemaligen Sowjet-Republik Kasachstan stammen. Die Präsenz der in Kasachstan aktiven ausländischen Unternehmen bezifferte er auf rund 3.000 aus über 80 Staaten. Neben Investoren aus den USA und China seien Firmen aus wichtigen europäischen Staaten an Aktivitäten in Kasachstan sehr interessiert. Seit dem Ukraine-Krieg Russlands würden auch alternative Transportrouten geprüft, fügte der stellvertretende Außenminister hinzu. 

Die Europäische Union hat nach den Worten Vassilenkos die Bedeutung Kasachstans erkannt, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. „Die EU und Zentralasien arbeiten zusammen“, zeigte sich der Vizeminister erfreut. Er erinnerte an die offiziellen Besuche der Spitzenpolitiker wichtiger EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich in Astana. Dabei ging es nicht nur um „kritische Rohmaterialen“, sondern auch um eine Kooperation in weltpolitischen Belangen. Für Kasachstan selbst „hat der Frieden im eigenen Land und international Priorität“, so Vassilenko. 

Der kasachische Politiker erinnerte an die ethnische und religiöse Vielfalt in seinem Land. Kasachstan beherberge 130 ethnische Gruppen. In der Vergangenheit habe die Sowjet-Herrschaft dunkle Spuren hinterlassen – siehe Internierung von Minderheiten und Krebsfolgen der Atompolitik. In der jüngeren Zeit gründeten die zentralasiatischen und weitere Staaten der Region eigene Institutionen, die alle ethnischen Gruppen umfassen. Inzwischen wurden sechs zentralasiatische Gipfeltreffen abgehalten. Kasachstan habe – im Gegensatz zu einigen Nachbarn – seine Grenzprobleme gelöst. 

Atomkraftwerk-Referendum ging positiv aus 

Vor kurzem wurde das kasachische Volk zu einem Referendum gebeten, um über den Bau des ersten Atomkraftwerks zu entscheiden. Es war die dritte Volksabstimmung in der Geschichte Kasachstans. Über 70 Prozent votierten für die Errichtung eines AKW. 66 Prozent der 12 Millionen Wahlberechtigten suchten eines der rund 10.000 Wahllokale auf. Interessantes Detail laut Zeitung „Astana Times“: Die historische Stadt Almaty hatte eine geringe Wahlbeteiligung von unter 20 Prozent. 

Mehr als 170 Wahlbeobachter waren vor Ort. Freilich: Die sog. internationalen Beobachter wurden von regionalen Organisationen entsandt, wie der Shanghai-Kooperation SCO, dem Turkstaaten-Verbund OTS und der Konferenz für Vertrauensbildende Maßnahmen in Asien, CICA. In diversen Briefings in Astana stellten sie nach dem Referendum dem Gastgeberland unisono ein exzellentes Zeugnis für Organisation und Ablauf aus. „Offen, transparent, legitim, reibungslos“ – so die Kommentare. Nur eine junge Frau aus dem Süden meinte, auf der Straße befragt, in ihrer Region habe es beim Votum viel Ablehnung gegeben. 

Ausländische Beobachter mögen erstaunt sein über die Hinwendung zur Atomkraft in diesen Zeiten. Vizeminister Vassilenko begründete die Abhaltung des entsprechenden Referendums gerade jetzt mit der Tatsache, dass Kasachstan seine Energiepolitik neu orientieren wolle. Man bemühe sich, wegzukommen von den Kohlekraftwerken und auf den Uranium-Reichtum des eigenen Landes zurückzugreifen. Zugleich müsse aber „über Nachhaltigkeit nachgedacht und viel getan werden“, räumte er ein. 

Staatspräsident Kassym-Schomart Tokajew, der das Referendum initiiert hatte, zeigte sich begeistert über den positiven Ausgang des Votums. Laut staatlichen Medien sprach er von einem „Meilenstein für die direkte Demokratie“. Aus der Sicht der kasachischen Regierung ist die Abhaltung des Referendums auch ein Ausdruck der in jüngerer Zeit eingeleiteten Reformen. Demnach ist auch nur mehr eine (siebenjährige) Amtszeit des Präsidenten (ohne Wiederwahl) legitim. 

Religionsführer sehen sich als Brückenbauer zur Politik 

Die kurz nach dem Referendum in Astana versammelten Führer der großen Religionen sehen sich angesichts von Ukraine- und Nahost-Krieg vor enorme Herausforderungen gestellt. Maulen Ashimbayew, Mitorganisator der Astana-Konferenz, die nun zum 22. Mal stattfand, warnte vor Phänomenen wie Aktivismus, auch in der Klimakrise, und vor Auswüchsen der Künstlichen Intelligenz. Religionsführer sollten „eine größere Rolle spielen“ und in Kooperation „neue Mechanismen erarbeiten“. Ein anderer kasachischer Repräsentant nannte den interreligiösen Dialog „einen Pfeiler für das Zusammenleben von Menschen“. 

Leider werde die Religion zu oft „mit Konflikten assoziiert“, beklagte die anglikanische Bischöfin Jo Balley Wells als Repräsentantin des Bischofs von Canterbury. Es gehe darum, als „Brückenbauer“ zu fungieren. Religiöse Fürher sollten politischen Führern „den Weg weisen“. Auch der orthodoxe Erzbischof Nektarios aus Jerusalem, „der Wiege der Weltreligionen“, plädierte angesichte der aktuellen Konflikte dafür, dass sich religiöse Führer „aktiv in Friedensbemühungen einbringen“. Er fügte hinzu, politische Entwicklungen hätten oft einen religiösen Hintergrund.

Für Frieden und Freiheit brauchen die Menschen ein gemeinsames Projekt zwischen den Religionen, führte ein hoher schiitischer Geistlicher aus Saudi-Arabien aus. Es gelte, junge Menschen vor extremistischen Ambitionen zu bewahren. Auf der Konferenz in Astana trafen auch junge Religionsführer (young religious leaders) zusammen, um sich zu beraten. Ferner wurde ein „Institute of good-will ambassadors“ gegründet. Ein Vertreter des Heiligen Stuhls äußerte Lob für die Verfassung Kasachstans, die religiöse und ethnische Gruppen respektiere. Zwei Drittel der Kasachen sind Muslime, ein Viertel Christen (meist orthodox). 

Bei der Gründung der traditionellen Religionsführer-Konferenz in Astana hatte der Vatikan eine wichtige Rolle gespielt. Etliche Redner erinnerten an die Visite von Papst Franziskus 2022 beim Kongress in Astana. Neben den Strömungen der monotheistischen Religionen sind in dem Religionsforum u.a. auch Hindus, Buddhisten, Taoisten und Baha’i präsent. Die „Astana Times“ hob als wichtige Zielsetzung des Forums die Entwicklung einer spirituellen Diplomatie hervor. Die jungen Religionsführer befassten sich konkret mit der Gefahr extremistischer Ideologien.