Frankreich gilt als Wiege der modernen Küche, SOCIETY sprach mit dem französischen Botschafter, S.E Francois Saint-Paul über die Bedeutung der „kulinarischen Diplomatie“.
Wie würden Sie die Bedeutung der Kulinarik in der französischen Kultur einschätzen und inwiefern kann sie auch als Vermittler zwischen den Kulturen fungieren?
Wenn man von der französischen Kulinarik spricht, so meint man mehrere verschiedene Elemente, was übrigens auch ihren Reichtum ausmacht. Einerseits geht es um regionale Identitäten, denn jede Region hat ihre eigenen Spezialitäten und Traditionen, andererseits um die Gastronomie selbst, die von den bekanntesten Restaurantführern ausgezeichnet wurde (Guide Michelin, Guide Gault et Millau), die aber vor allem bei den Franzosen selbst hoch im Kurs steht. Wir haben nämlich das Glück, über talentierte Küchenchefs zu verfügen, die sich nicht auf Errungenschaften oder ihrem guten Ruf ausruhen, sondern sich tagein tagaus neu erfinden und selbst übertreffen.
Eine weitere Facette der französischen Kulinarik ist unsere Tischkultur. Um sie kommt man nicht herum, wenn man den Stellenwert, den wir der Kochkunst einräumen, verstehen möchte. Denn die Franzosen zu kennen, das beginnt mit dem Genuss ihrer Speisen, bedeutet zugleich auch zu begreifen, dass die Kulinarik über die einzigartige Fähigkeit verfügt, Menschen zusammenzubringen, dazu beizutragen, dass man einander kennenlernt, an etwas Ungreifbarem arbeitet, nämlich einer Vertrauensbasis. Wenn man sich zu einem gemeinsamen Mahl an den Tisch setzt, stellt sich gegenseitiges Vertrauen ein. Das eignet sich großartig als Brücke zwischen den Kulturen und bietet die nicht zu vernachlässigende Möglichkeit, einen Dialog zwischen Partnern aufzunehmen oder weiterzuführen. Das nennt man kulinarische Diplomatie! Die französische Kulinarik ist also gleichzusetzen mit Gastfreundschaft, mit dem gemeinsamen Essen und mit der Öffnung hin zum Mitmenschen.
Wie würden Sie den internationalen Stellenwert der französischen Küche bewerten?
Dass die französische Gastronomie auf der ganzen Welt hohe Bekanntheit genießt, liegt auch an Küchenchefs wie Paul Bocuse, dem „Papst der weltweiten Kochkunst“, wie er auch genannt wird, Alain Ducasse, oder Marc Veyrat, um nur einige Namen anzuführen. Sie haben sich dafür eingesetzt, dass die französische Gastronomie nicht auf das Kochen reduziert wird, sondern eine Strahlkraft darüber hinaus erhält. Und die großen Küchenchefs tun dies immer noch. Man spricht auch von einer kulinarischen Unterschrift, wenn man einen französischen Küchenchef anhand eines seiner Gerichte wiedererkennt. Sie sind fantastische Botschafter der französischen Gastronomie, die sie in die ganze Welt hinaustragen. Im Übrigen ist auch sechs Franzosen die Ehre zuteilgeworden, unter den Top 10 der besten Köche der Welt zu sein.
Nicht zu vergessen ist auch die Erhebung des gastronomischen Mahls der Franzosen zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO am 16. November 2010. Das war ein Zeichen der internationalen Anerkennung nicht nur der Küchenchefs, die man gerne ins Rampenlicht stellt, sondern auch der Konditoren, der Bäcker, der Weinbauern, etc.
Und schließlich ist die französische Küche großzügig, ein Garant für Qualität, für Vielfalt und für Raffinement. Das Event Goût de France, das seit 2015 im Frühjahr auf alle fünf Kontinenten veranstaltet wird, zielt darauf ab, eben diese Kochkunst allen zugänglich zu machen.
Wie funktioniert der französisch-österreichische kulinarische Austausch hier in Wien?
In Wien sind natürlich französische Restaurants mit engagierten Küchenchefs zu finden, die höchste Qualität bieten, ebenso wie Bäckereien mit ihren Köstlichkeiten oder Feinkostgeschäfte… Zugleich gibt es auch das Lycée Français, dessen Küchenchefs jeden Tag die Schüler bekochen, ob diese nun aus Frankreich sind, aus Österreich oder aus den vielen anderen Nationen, die in dieser Schule vertreten sind. Wir erhalten auch Anfragen für Schüler- und Studentenaustausch von österreichischen Tourismusschulen. Und wo wir schon von Goût de France gesprochen haben: In Wien und in den Bundesländern nehmen daran mehrere Schulen und Restaurants teil, die der österreichischen Bevölkerung im Rahmen dieses Events ein Menü nach französischer Kochkunst anbieten. Dieses Menü kann sich in all seinen Formen über eine ganze Woche erstrecken, die so zu einer französischen Genusswoche wird. Auch in der Residenz der französischen Botschaft organisieren wir einen Goût de France Abend. Dabei wird das Savoir-vivre à la française in den Vordergrund gestellt. Sagt man nicht auch auf Deutsch „wie Gott in Frankreich leben“?
Inwieweit ist Frankreich hier in Österreich außerhalb der Kulinarik kulturell noch vertreten?
Es ist mir eine große Freude, Frankreich in einem Land zu vertreten, wo die französische Sprache und mein Land selbst so wertgeschätzt werden. Diese kulturelle und sprachliche Anziehungskraft ist in erster Linie das Ergebnis unserer langen gemeinsamen Geschichte. Einer Geschichte, die manchmal aus Spannungen und Konflikten besteht, vor allem aber aus einer schrittweisen Annäherung, die seit dem Kriegsende eine aufrichtige Freundschaft entstehen hat lassen.
Seitdem ich meine Funktion aufgenommen habe, mache ich jeden Tag die Erfahrung, dass die Österreicherinnen und Österreicher ein tiefgehendes Interesse an unserer Kultur und all deren Facetten haben – ob es sich nun um die bildende oder die darstellende Kunst handelt oder um Film und natürlich Musik. Französische Künstler, Schauspieler oder Maler sind regelmäßig Teil der Besetzung in Konzertsälen, sind auf den Kinoleinwänden zu sehen, oder Künstler von Werken, die in den Museen oder Galerien ausgestellt werden. Ich denke hierbei auch an französische Künstler und Kulturschaffende, die in Österreich leben und die unsere Kultur in der Wiener Künstlerszene zum Erstrahlen bringen. Das Studio Molière mit seinem auf die Frankophonie ausgerichteten Programm ist ein gutes Beispiel dafür. Diese französische Präsenz ist auch in den Bundesländern spürbar, dank der dynamischen Schaffenskraft zahlreicher Akteure aus dem Kulturbereich, mit denen die Botschaft und das Institut Français immer mit Freude zusammenarbeiten.
Die Strahlkraft unserer Kultur geht natürlich mit der Verbreitung unserer Sprache Hand in Hand, die der bedeutendste Kulturträger ist. Daher nimmt für mich das Erlernen der französischen Sprache in den Schulen einen besonderen Platz ein. Die Rolle der Französischlehrer ist dabei zentral, denn zumeist sind sie der erste Kontaktpunkt der Kinder zu Frankreich und sie sind es, die ihnen die Lust am Erlernen unserer Sprache geben. Französisch zu lernen bedeutet nicht nur, sich der französischen Kultur zu öffnen, sondern auch einer Gemeinschaft von 300 Millionen Frankophonen auf der ganzen Welt!
Gibt es ein französisches Gericht, das Sie besonders empfehlen?
Ich persönlich bevorzuge klassische Gerichte, die in Frankreich bekannt sind, die zur Tradition gehören und für die man gute Produkte und auch eine gewisse Geschicklichkeit braucht. Ich kann beispielsweise das Blanquette de Veau sehr empfehlen. Eine Art Kalbsragout …
Fotos: SOCIETY/Pobaschnig