Auf leisen Sohlen nach Brüssel

Fast unbemerkt avancierte der gebürtige Vorarlberger Magnus Brunner zum EU-Kommissar. Zumindest bis zur nächsten Europawahl in fünf Jahren wird er nun für die Agenden Migration und Inneres zuständig sein – er steht damit vor einer historischen Herausforderung und gleichzeitig vor seinem vorläufigen Karrierehöhepunkt. 

„Ich bin kein Showman, sondern ich bin Jurist“, stellte sich der 52-jährige, nunmehr ehemalige österreichische Finanzminister, den EU-Abgeordneten bei seiner Anhörung im Europaparlament Anfang November 2024 vor. Nur wenige Stunden später wurde er vom zuständigen Ausschuss als EU-Kommissar bestätigt, Ende November stimmte schließlich auch das Parlament seiner zukünftigen Rolle zu.

Der ihm zugeteilte Themenbereich – Migration und Inneres – kam für Viele überraschend, war Brunner doch eigentlich für eines der Wirtschaftsressorts gehandelt worden. Er selbst betonte in einer Aussendung, dass es ihm eine Ehre sei, von Präsidentin Ursula von der Leyen das Portfolio für innere Angelegenheiten und Migration in der EU-Kommission übertragen bekommen zu haben. Dieser Bereich sei zentral für die Zukunft und das Funktionieren der Europäischen Union.

Brunner war am 31. Juli 2024 durch die österreichische Bundesregierung – nach langem Widerstand der Grünen, die sich für den ehemaligen Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Othmar Karas, ausgesprochen hatten – als Kandidat für den Posten des EU-Kommissars nominiert worden. Überreden musste man ihn selbst laut eigenen Aussagen nicht: „Ich habe sofort mit ganzer Überzeugung ,Ja‘ gesagt“. Er sei schließlich schon immer ein glühender Europäer gewesen.

Während seiner Amtszeit als Staatssekretär und auch als Finanzminister war Brunner über weite Strecken für Viele unter dem Radar geblieben – sein Aufstieg zum EU-Kommissar kommt angesichts seines tadellosen Lebenslaufes aber dennoch nicht gänzlich überraschend.

Frühe Jahre und privates Leben

Davor begann Brunner aber noch ein Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Innsbruck und Wien, 1996 promovierte er – Thema seiner Dissertation: „Die Reichweite der ärztlichen Schweigepflicht“. Zwischen 1997-1998 durchlief er ein Postgraduate Studium am renommierten King’s College London, von 2004 bis 2005 war er außerdem an der Fernuniversität Hagen (Betriebswirtschaft) eingeschrieben.

 

Seit 1990 ist Brunner Mitglied der Akademischen Verbindung Austria Innsbruck, einer konservativen katholische Studentenverbindung im ÖVP-nahen Österreichischen Cartellverband – ihre Prinzipien: Religio, Patria, Scientia und Amicitia. Brunner wählte als Verbindungsname „Hamlet“, in Erinnerung an sein Auslandsjahr am angesehenen Eton College in England, wo er das Shakespeare-Drama auswendig lernte.

Privat ist der ÖVP-Politiker mit Eva Brunner, Leiterin der Abteilung Soziales und Integration der Regionalplanungsgemeinschaft Bregenzerwald, verheiratet und hat drei Söhne. Während seiner Amtszeit als Finanzminister blieb seine Familie in Vorarlberg wohnhaft, Brunner pendelte regelmäßig zwischen Wien und Bregenz. Auch als EU-Kommissar wird er – zumindest vorerst – zwischen seiner Heimat und dem neuen Arbeitsort Brüssel hin- und herfahren. Die Distanz mache aber keinen großen Unterschied – Brüssel sei nicht sehr viel weiter von Bregenz entfernt als Wien.

An beiden Orten wird der 52-jährige als Ausgleich zum herausfordernden Job vermutlich seiner großen Leidenschaft, dem Tennis, nachgehen. Seit seiner Kindheit ist er Mitglied beim TC Bregenz, schaffte es bis in die Bundesliga. Zwischen 2020 und 2022 fungierte er als Präsident des Österreichischen Tennisverbandes (ÖTV), gab dieses Ehrenamt aber vorzeitig aus Zeit- und Compliance-Gründen ab.
Auf die Frage, ob sich vom Tennis auf seinen politischen Stil schließen ließe, antwortete er in einem Interview mit dem Standard (12.12.2021): „Ja, durchaus. Ich war immer mehr der Kämpfer, der ausdauernde Grundlinienspieler, und nicht der angriffslustige Serve-Volley-Spezialist. Also eher Thomas Muster als Boris Becker.“

Politische Sozialisierung und Karrierestationen

Als Schlüsselerlebnis im Hinblick auf seinen beruflichen Werdegang nennt Brunner immer wieder ein zufälliges Treffen mit dem damaligen Landeshauptmann Vorarlbergs, Herbert Sausgruber, in einer Kaffeebar in Brüssel, wo Brunner gerade ein Praktikum im Ausschuss der Regionen absolvierte. „Ohne diese Begegnung wäre mein Weg womöglich ein ganz anderer gewesen“, so Brunner in einem Interview mit dem Standard. Denn als Sausgruber 1999 einen Büroleiter suchte, erinnerte er sich an seinen Landsmann und engagierte ihn. 2002 wechselte Magnus Brunner zum Österreichischen Wirtschaftsbund, fungierte dort bis 2005 als politischer Direktor, ehe er 2006 Leiter der Unternehmensentwicklung und Konzernkommunikation bei der Bregenzer Illwerke/VKW-Gruppe wurde. Den Posten als Vorstand der OeMAG – Abwicklungsstelle für Ökostrom bekleidete er schließlich von 2007 bis 2020. Parallel dazu forcierte er aber auch seine politische Karriere als Mitglied des Bundesrates, ab 2018 sogar als Vizepräsident desselben.

2020 holte ihn Sebastian Kurz schließlich als Staatssekretär ins Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie unter Leonore Gewessler in die Regierung. Mit der grünen Ministerin war er nicht immer auf einer Linie. Sie kritisierte seine Flüge nach Bregenz, er ihre „Alleingänge“.
Brunner bezeichnete das einmal so: „Das Ziel eint uns, der beste Weg dorthin – noch – nicht“.

Schritt zum Finanzminister

Nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz und der darauffolgenden Regierungsumbildung wurde Brunner schließlich 2021 auf Vorschlag des neuen Bundeskanzlers Karl Nehammer zum Bundesminister für Finanzen ernannt.
Im Antrittsinterview mit dem Kurier, dem Standard und der Wiener Zeitung betonte er: „Was mich vielleicht unterscheidet, ist der Stil. Die persönliche Art ist – no na – eine andere. Ich bin kein Showman, sondern Sachpolitiker, der den Ausgleich sucht: mit dem Parlament, der Opposition, den Sozialpartnern. Weniger wichtig ist mir, dass mich bisher nicht ganz so viele Menschen gekannt haben.“

Wegbegleiter bestätigen das: Magnus Brunner sei jemand, mit dem man sprechen könne, weder abgehoben noch kompliziert, freundlich und angenehm und „kein Partei-Apparatschik“, zudem ein guter Verhandler. Er ist selten angriffig, gilt als umgänglich, eloquent und in Sachfragen stets bestens vorbereitet.

Als „Hüter des österreichischen Budgets“ erlebte Brunner jedenfalls eine durchwachsene und – durch Pandemie und Krieg – durchaus herausfordernde Amtszeit: Kernerfolge seiner Arbeit als Finanzminister waren die Beseitigung der „Kalten Progression“ und die ökosoziale Steuerreform. Brunner selbst sprach von wirtschaftspolitischen Meilensteinen. Zudem wurde in Gesundheit, Pflege und Kinderbetreuung investiert, ein Gemeindepaket in Höhe von 1,3 Milliarden Euro geschnürt und ein kommunales Investitionsprogramm geschaffen. Seine „Herzensangelegenheit“ – das private Vorsorgekonto – konnte er aber auch nach 2,5 Jahren Verhandlungen mit dem grünen Koalitionspartner nicht umsetzen.
Auf breite Kritik stieß die verspätete Veröffentlichung angepasster Budgetdefizitzahlen nur wenige Tage nach der Nationalratswahl.

Die österreichischen Finanzen lässt Brunner aber nun ohnehin hinter sich. Sein Nachfolger im Finanzministerium, der bisherige Sektionschef für „Steuerpolitik und Steuerrecht“ Gunter Mayr wurde bereits am 20. November 2024 angelobt. Mit Dezember betritt Magnus Brunner die europäische Politbühne und muss sich einer Herkulesaufgabe – eine gemeinsame EU-Linie in Sachen Migration zu finden – stellen.