Was Schnecken uns über die Zukunft lehren

Die Folgen von Lebensraumzerstörung, Klimawandel, Übernutzung und Umweltverschmutzung werden dramatischer sein als der Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren, in dessen Folge mehr als zwei Drittel aller Lebewesen auf der Erde ausgelöscht wurden. Das prognostiziert ein internationales Forschungsteam, das vor kurzem eine Studie zu den Auswirkungen der Menschheit auf die Süßwassersysteme der Erde vorlegte.

An der Studie wirkte auch Mathias Harzhauser mit. Er ist Abteilungsdirektor für Geologie und Paläontologie im Naturhistorischen Museum Wien und gab SOCIETY einen Einblick in die Forschungsarbeit, die Ergebnisse und die Prognosen für die Zukunft.

Wie würden Sie sich eine zukünftige Ausstellung am Naturhistorischen Museum zum Thema Auswirkungen der Menschen auf die Süßwassersysteme der Erde vorstellen?

In so einer Ausstellung könnte man auch jetzt schon zeigen, welchen Bestand es in den Ökosystemen gibt: Was lebt im Meer, was lebt in Süßwassersystemen? Und was davon ist schon auf den roten Listen? Das kann man messen. Man kann sich ansehen, wie die Listen sich in den letzten Jahren veränderten. Da erscheint immer mehr rot. Aus diesen Veränderungen kann man prognostizieren, wie es weitergehen wird, wenn es so radikal voranschreitet. Dann könnte man der Frage nachgehen, welche vergleichbaren Geschehnisse es in der Erdgeschichte gibt. Es liegen viele große Aussterbeereignisse vor und zu den dramatischen gehört die Extinktion, während der die Dinosaurier verschwanden.

Das Verschwinden der Dinosaurier in einer Ausstellung dem heutigen Geschehen gegenüberzustellen ist natürlich sehr ‚catchy‘ und auch leicht vermittelbar. Andererseits ist es ziemlich deprimierend, wenn wir sehen, dass das, was wir betreiben, im Tempo wahrscheinlich noch schneller ist. Schon bis 2120 dürften bis zu einem Drittel der Süßwasserorganismen ausgestorben sein.

Wie lange wird die Erholungsphase nach dem gegenwärtigen Aussterben dauern und können Sie sich vorstellen, dass wir es schaffen, diese Extinktion noch umzukehren?

Was wir mit unserer Studie zeigen können, ist nicht sehr erfreulich und macht keine Hoffnung, da bewegen wir uns in Spannen von Millionen von Jahren. Das sind Skalen, auf denen der Mensch ziemlich sicher nicht mehr mitspielen wird, weil es nicht anzunehmen ist, dass es uns so lange geben wird. Ob man da noch das Ruder rumreißen kann, wage ich persönlich zu bezweifeln. Man kann nur versuchen, den Schaden zu begrenzen. Es gibt ja schon viele Arten, die ausgestorben sind. Die sind unrettbar verloren.

Der Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren löschte sowohl zu Land als auch zu Wasser 76 % der Lebewesen aus. In wissenschaftlichen Studien wird meistens der Moment des Einschlags und seine unmittelbaren Folgen auf große Tiere wie die Dinosaurier erforscht. Wir untersuchten hingegen auch die Schnecken und analysierten, was längerfristig nach so einer Katastrophe geschieht und wie lange es dauert, bis sich die Bestände aller Lebewesen wieder normalisieren. Für das Festland und das Meer lagen dazu Studien vor, aber für den Bereich des Süßwassers gab es noch keine.

Dabei war ziemlich überraschend, wie lange die Nachwirkungen anhalten. Nach dem Asteroideneinschlag dauerte es 5 Millionen Jahre, bis sich die Bestände aller Organismen erholen konnten, was ja absurd viel Zeit ist und für einen Menschen gar nicht vorstellbar ist. Außerdem konnten wir mit unserer Studie zeigen, dass die Süßwassersysteme noch viel verletzlicher sind und dass zum Beispiel der Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren das Leben in diesen fast auslöschte, was man vor unserer Studie nicht geahnt hatte.

Wie kommen Sie zu Ihren Annahmen? Mit welchen Daten haben Sie gearbeitet und wie haben Sie diese erhoben?

Vor allen Dingen ist es eine unendliche Literaturarbeit. Es gibt tausende Publikationen, die sich mit den fossilen Beständen beschäftigen. Und es gibt noch einmal tausende Veröffentlichungen, die sich mit der gegenwärtigen Situation auseinandersetzen. Wir durchforsteten in mehreren Projekten hintereinander diese Literatur. Wir hatten dann eine riesige Menge an Daten in einer Datenbank und mussten versuchen, in diesem Dickicht Muster zu finden.

Der erste Schritt war, dass wir untersuchten, was zu bestimmten Zeitpunkten geschieht: Wann entstehen Organismen, wann verschwinden sie wieder? Dann stellten wir fest, dass sich das Verschwinden und das Neuentstehen besonders rund um die großen Krisen häufen. Für die Vergangenheit ist so eine Untersuchung einfach, da haben wir die Daten, für die Gegenwart können wir nur das Verschwinden beobachten.

In Ihrer Studie zeigen Sie dies am Beispiel der Süßwasserschnecken auf. Warum untersuchten Sie gerade diese?

Aus dem einfachen Grund, weil Süßwasserschnecken Schalen aus Kalk bilden und dieser leicht bewahrt bleibt. Bei den meisten anderen Tieren in Süßwassersystemen besteht das Problem, dass sie nicht als Versteinerung erhalten bleiben. Der Fossilbefund von Fischen ist zu ungenügend, aber Schnecken finden sich in Seen und Flüssen zuhauf und dementsprechend gibt es auch viele Fossilien.

Wir untersuchten besonders die Süßwasserseen, da sie sehr gut fossil dokumentiert sind. Schnecken, die nur in Flüssen leben, sind vergleichsweise schlechter überliefert, weil in den hoch dynamischen Ablagerungsräumen die meisten Schalen zerstört werden. Und warum gerade Süßwasser? Weil die Organismen in so einem See quasi gefangen sind. Seen sind vergleichsweise kleine Räume, wenn man sie sich aus einer globalen Perspektive betrachtet. Dort wirken sich alle negativen Einflüsse viel stärker aus. Im Meer gibt es einen gewissen Puffer, auf dem Festland können Tiere eventuell in andere Gegenden absiedeln. In Süßwasserseen haben die Organismen keine Chance, auszuweichen.

Wie steht es um die österreichischen Gewässer?

Im Prinzip besser, weil es da unglaublich viele Schutzmaßnahmen gibt und sie im Großen und Ganzen in einem guten Zustand sind. Auch weil die Umweltbewegung besonders darum bemüht war, sodass mittlerweile die Behörden für Verbesserungen sorgen. Trotzdem sind auch die österreichischen Süßwassersysteme durch die Besiedelung rundherum stark gefährdet, die Häuser rücken immer näher und Grünstreifen gehen verloren. Da gibt es natürlich einen starken negativen Trend.

Fotocredits: Elke Harzhauser