Schwedische Spuren in Wien

Schweden und Österreich pflegen eine enge freundschaftliche Beziehung. Bei einem Spaziergang durch Wien kann man – mit etwas Hintergrundwissen – zahlreiche Spuren dieser Freundschaft finden.  

von Sarah Heftberger

Am eindeutigsten ist der Schwedenbezug wohl an einem der lebendigsten Orte Wiens: dem Schwedenplatz. Seit 1919 trägt das Areal im Herzen der Stadt diesen Namen – als Symbol der Dankbarkeit gegenüber Schweden für die nach dem Ersten Weltkrieg geleistete Hilfe. Zugleich wurde der damals noch als Ferdinandsbrücke bekannte Übergang in Schwedenbrücke umbenannt.

Schwedenhilfe nach den beiden Weltkriegen

Ab 1919 versorgte die schwedische Hilfsaktion „Rädda Barnen“ gemeinsam mit dem Schwedischen Roten Kreuz nämlich zahlreiche Kinder in Wien mit Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten. An mehreren Ausgabestellen – etwa in der Hofburg, in der Gonzagasse oder in der Großmarkthalle im Dritten Bezirk – wurden Essenspakete an die oftmals unterernährten Kinder verteilt. Zudem hatten sich zahlreiche schwedische Familien dazu bereit erklärt, österreichische Kinder im Rahmen eines Erholungsaufenthaltes aufzunehmen. „Mit Zügen fuhren sie erst nach Deutschland, danach ging es weiter mit einer Fähre nach Trelleborg, im Süden Schwedens. Vorrangig wurden sie am Land untergebracht, weil es dort einfach mehr Nahrung gab“, erklärt die Historikerin Jenny Öhman im SOCIETY Interview. In Wien engagierten sich die schwedischen Hilfsorganisationen außerdem für die Errichtung von klinischen Abteilungen in Krankenhäusern, das Sanatorium Grimmenstein etwa wurde um einen „Schweden-Pavillon“ erweitert. 

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützten schwedische Hilfsorganisationen die vom Krieg traumatisierten Kinder in Wien. Auf der Hohen Warte betrieb Rädda Barnen zum Beispiel ein Kinderheim und mit der von einem Kinderarzt konzipierten „Schwedensuppe“ wurden Wiener:innen zwischen drei und sechs Jahren ernährt. Zur Ausgabe kamen die Kinder mit eigenem Geschirr, gegessen wurde vor Ort, um sicherstellen zu können, dass ihnen die Mahlzeiten auch wirklich persönlich zugutekamen. „Es gab außerdem die Anweisung, sämtliche Behelfe zum Kochen nicht zu reinigen, um die Reste den Wiener Angestellten zukommen zu lassen. Das unterstreicht, wie schlimm es damals war“, fügt Öhman im Interview hinzu.

Das Hauptquartier von Rädda Barnen und gleichzeitig eine Ausgabestelle befanden sich damals im Palais Liechtenstein, das der Fürst für diese Zwecke zur Verfügung gestellt hatte. Die prachtvollen Statuen waren eingerahmt von Kartoffelbeeten; Mehlbeutel, Trockenmilchverpackungen und Büchsen türmten sich unter kostbaren Gemälden, so schilderte es der Helfer und Kinderarzt Nils Gustav Persson. „Finanziert wurde die Hilfe zu Beginn vom schwedischen Staat, später hauptsächlich von der Europahilfe und auch von Rädda Barnen“, erklärt Öhman. Anlässlich des 75. Jubiläums der Schwedenspeisung fand 2021 eine Ausstellung im Palais statt, die von Jenny Öhman kuratiert wurde.

„Mir war es besonders wichtig zu zeigen, dass man auch mit wenigen Mitteln helfen kann. Schweden war zwar nicht direkt in die Weltkriege involviert, man war aber auch nicht reich und trotzdem hat man sich dazu entschlossen, zu helfen“. An einen der vielen schwedischen Helfer erinnert heute der Arne-Karlsson-Park im Alsergrund. Karlsson war ein Mitarbeiter von Rädda Barnen, der zur Jahreswende 1945/1946 nach Wien gekommen war. Als er sich am 11. Juni 1947 im Zuge einer Dienstreise auf den Weg in die niederösterreichische Gemeinde Berg machte, wurde er irrtümlich von einem russischen Militärposten erschossen.

Gleich nach seinem Tod wurde der Bürgerpark im 9. Bezirk nach ihm benannt. Seit 1965 befindet sich in dem Park außerdem das Elsa-Brandström-Denkmal, das zu Ehren der schwedischen Philanthropin, die als „Engel von Sibirien“ bekannt war und zwischen 1914 und 1920 zahlreiche österreichische Kriegsgefangene in Russland vor dem Tod bewahrt hatte, gestaltet wurde.

Wenige Straßen weiter ruft in der Seegasse 16 ein Schriftzug oberhalb des Eingangs die „schwedische Israelmission“ in Erinnerung, die zwischen 1922 und 1976 in Wien tätig war. Ihr ursprüngliches Ziel war es, Juden das Evangelium nahezubringen. Mit dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland sah man sich aber mit einer neuen, dramatischen Aufgabe konfrontiert: Verfolgten – insbesondere evangelischen Konvertiten jüdischer Herkunft – eine Ausreise in das sichere Ausland zu ermöglichen und gleichzeitig den in Wien Verbliebenen Beistand zu leisten. 1939 konnten so z.B. 60 Kinder mit einem Transport nach Schweden geschickt werden. 1941 wurde die Mission von der Gestapo geschlossen.

Nach dem Krieg musste das Gebäude renoviert werden, später fungierte ein Teil des Hauses als Wohnsitz für Mitarbeiter von Rädda Barnen, auch Feste anlässlich schwedischer Feiertage wurden dort veranstaltet. 1951 wurde es an die Israelmission zurückgegeben. Heute befindet sich dort ein Evangelisches Pfarramt.

Kirche, Freundesgesellschaft und eine Siedlung

Aus den Zusammenkünften in der Seegasse entwickelte sich allmählich auch der Vorläufer der heutigen Schwedischen Kirche in Wien. Mit Unterstützung von Pfarrern aus der Schweiz und Deutschland wurden ab 1973 Gottesdienste gefeiert, 1982 richtete die Schwedische Kirche im Ausland schließlich eine Pfarrstelle in Wien ein, 1986 übersiedelte sie in den ehemaligen Barnabitenfreihof, wo sie auch heute noch ihren Sitz hat.

Eine weitere Anlaufstelle für etwas schwedisches Flair in Wien ist die Österreichisch-Schwedische Gesellschaft (ÖSG), die seit 1946 besteht. Als Ehrenpräsidentin fungiert Margit Fischer, Ehefrau des früheren österreichischen Präsidenten. Sie wurde 1942 als Tochter zweier Flüchtlinge in Schweden geboren, mit sechs Jahren kam sie nach Österreich – in die Heimat ihrer Eltern.

„Ich bin Schweden unheimlich dankbar, dass sie meine Eltern als Flüchtlinge aufgenommen haben, sonst gäb’s mich nicht und ich bin gern auf der Welt“, erklärte Fischer dazu 2020 in einem Interview für Sozial Pod. Auch die Per-Albin-Hansson-Siedlung im 10. Bezirk ist schwedisch geprägt: Sie war das größte Bauvorhaben der Stadt Wien nach dem Zweiten Weltkrieg und wäre ohne schwedische Hilfe vermutlich nicht realisierbar gewesen: die notwendigen Maschinen für die Produktion von Ziegelsteinen aus Bauschutt wurden nämlich von der schwedischen Regierung gespendet. Zum Dank wurde die Siedlung nach dem früheren schwedischen Ministerpräsidenten Per Albin Hansson benannt, und auch die umliegenden Straßen und Plätze tragen Namen schwedischer Persönlichkeiten und Städte.

Die Schweden vor den Toren Wiens

Eine Episode österreichisch-schwedischer Berührungspunkte soll ebenfalls nicht unerwähnt bleiben: Sie liegt im 17. Jahrhundert, in der Zeit des 30-jährigen Krieges. Dieser brachte die Schweden 1645 mit einem 16.000 Mann starken Heer nach Niederösterreich, wo sie Krems und Stein eroberten und unter anderem die Burg Dürrenstein sprengten. Zu Tausenden standen sie damals am Tabor in Wien, konnten schließlich die strategisch wichtige Wolfsschanze einnehmen. Unter Erzherzog Leopold Wilhelm wurde das Bollwerk aber wieder zurückerobert, im Zuge eines Artillerieduells soll es dann zu einem Wunder gekommen sein: Am Brigittatag soll eine feindliche Kanonenkugel das Zelt des Erzherzogs getroffen haben, dieser blieb aber unverletzt weil er gerade zum Gebet niederkniete. Aus Dankbarkeit soll er gelobt haben, eine Kapelle zu errichten – und so erinnert noch heute die Brigittakapelle im 20. Bezirk an dieses wundersame Ereignis.

Schweden und Österreich teilen also weit mehr als nur ihre Liebe zu Kaffee und Süßspeisen – so schrieben sich über die Jahrhunderte zahlreiche Geschichten, die die Beziehungen zwischen den beiden Ländern nachhaltig geprägt und zu dem gemacht haben, was sie heute sind: Enge freundschaftliche Bande.

Weitere Schweden-Spuren:

Die Schwedische Schule Wien, Scheibelreitergasse 15, 1190 Wien

IKEA, Europaplatz 1, 1150 Wien

Scandinavian Design House, Rudolfsplatz 13A, 1010 Wien

Restaurant & Bar Hemma Wien, Landesgerichtsstraße 12, 1010 Wien

Fotos: Wstla, Media Wien Flugbilder/Wiener Stadt- und Landesarchiv, MA 13, Binter, Gugerell