Leigh Turner ist „Keen on Wien“

SOCIETY Magazin sprach mit S.E. Leigh Turner, Botschafter des Vereinigten Königreichs, über die Auswirkungen des BREXIT und die magische Anziehungskraft, die Österreich auf ihn ausübt.

Sie sind seit 2016 britischer Botschafter in Österreich. Was waren die Highlights dieser vier Jahre?

Die letzten vier Jahre waren sehr interessant für mich und haben immer wieder gezeigt, dass es ein Privileg und eine ehrenvolle Aufgabe ist, als Botschafter tätig zu sein. Wenn man dann auch noch Vertreter von Großbritannien in Österreich sein darf, ist das noch besser. Während meiner Zeit hier gab es bisher viele Höhepunkte: 2016 besuchte uns der damalige Außenminister Boris Johnson, während der Österreichischen EU-Ratspräsidentschaft auch Theresa May. Mein persönlicher Platz eins ist allerdings der Besuch von Prinz Charles und Herzogin Camilla im Jahr 2017. Neben diesen Staatsbesuchen bin ich im Zuge des BREXIT quer durchs Land getourt und habe mit 4000 der in Österreich lebenden Briten darüber gesprochen, wie sie sich auf den Austritt Großbritanniens aus der EU vorbereiten können. Kontakt zu so vielen Briten und Britinnen zu haben war mir eine große Ehre. Außerdem hatte ich in den letzten Jahren des Öfteren die Gelegenheit, den Bundespräsidenten zu treffen, zum Beispiel beim Neujahrsempfang, zu dem ich – trotz Schneesturm – im Kilt gekommen bin. Nach der Ibiza-Affäre war es für mich beeindruckend zu sehen, wie stark die demokratischen Institutionen in Österreich sind.

Abseits vom Politischen konnte ich unter dem Hashtag #keenonWien bereits über 500 Mal teilen, was mir besonders gut an Wien und Österreich gefällt. Ich habe Lieblingsorte in allen neun Bundesländern und nehme es mir immer zum Ziel, jedes Jahr alle mindestens einmal zu besuchen. Letztes Wochenende war ich zum Beispiel in Kärnten (ein weiterer Grund, Wien besonders zu mögen ist, dass es nur ein paar Fahrstunden von Kärnten entfernt ist), auch ansonsten bin ich viel unterwegs: ich war in Osttirol, am Weißensee, im Ehrwald, im Salzkammergut, in Vorarlberg, Graz, Salzburg, im Ötschergraben, am Neusiedlersee und in der Ramsau. Ich habe mich auch mit den verschiedenen Dialekten beschäftigt und gelernt, wie man am besten jemanden beim strawanzen kennenlernen kann und wie leiwand Wien sei.

Haben Sie einen Vorzug für eine bestimmte Gegend?

Ich zitiere immer gerne Oscar Wilde und auch bei dieser Frage gilt: „comparisons are odious“, vergleichen ist unangebracht. Das ganze Land zieht mich magisch an! Es gibt in hier so viel zu entdecken, Österreich ist viel mehr als nur Wien.

Was unterscheidet das Vereinigte Königreich von Österreich und anderen europäischen Ländern und welche Eigenheiten liegen Ihnen besonders am Herzen?

Großbritannien ist natürlich genauso europäisch wie Österreich, trotzdem gibt es ein paar Besonderheiten. Manchmal scheint es, als seien die Briten von Unsicherheit unbeeindruckt. Das kommt vielleicht daher, dass wir als Inselstaat seit jeher mit dem Meer konfrontiert waren und man so nie das Gefühl hatte, dass man die Umwelt überhaupt unter Kontrolle bringen kann. Auch wenn man an die Geschichte denkt hat Großbritannien – außer in den Weltkriegen – lange Zeit keinen Überlebenskampf führen müssen, im Gegensatz zu den Ländern auf dem europäischen Festland, die wiederholt mit Invasionen gekämpft haben. Deshalb gibt es in diesen Gegenden vielleicht ein stärkeres Verlangen nach  Stabilität. Man sagt immer, in Großbritannien kann man auf alles wetten, in Deutschland oder Österreich kann man sich gegen alles versichern; das fasst den Unterschied ganz gut zusammen.

Das Vereinigte Königreich hat schon lange eine sehr diverse Bevölkerung: in London werden über 300 Sprachen gesprochen, 35% der Einwohner wurden nicht in Großbritannien geboren. Das führt zu einer großen Vielfalt auf kultureller und kulinarischer Ebene. Das Vorurteil, man esse in Großbritannien nicht gut, ist daher übrigens längst überholt. Auch der Humor – vor allem Monty Python und John Cleese – ist für mich ein wichtiger Teil des britischen Charakters.

Welche Auswirkungen hat der BREXIT bisher für die Relationen zu Österreich und was kann gemacht werden, um die Beziehungen eng zu halten?

Meine ganzen vier Jahre in der Botschaft waren von Verhandlungen und Vorbereitungen für den BREXIT geprägt. Wir bereiten uns jetzt auf das Ende der Übergangszeit vor und wollen sichergehen, dass die ungefähr 11.000 britischen Bürgerinnen und Bürger in Österreich weiterhin problemlos ihre Rechte ausüben können. Für die in Großbritannien lebenden Österreicherinnen und Österreicher hat das bereits sehr gut geklappt.

Was mich freut ist, dass die Beziehungen zu Österreich und der EU weiterhin intensiv sind und bleiben werden. Viele Firmen werden weiterhin in Großbritannien investieren, zum Beispiel Valneva, ein Pharmaunternehmen aus Wien, das große Summen investiert, damit in Großbritannien nach einem Covid-Impfstoff geforscht wird. Auch zwischen den Universitäten herrschen enge Beziehungen und Zusammenarbeit. Die Johannes Kepler Universität in Linz forscht zum Beispiel mit dem Imperial College London zu künstlicher Intelligenz, auch mit der Universität Innsbruck und anderen Institutionen gibt es regen Austausch von Studierenden und Lehrpersonal.

Ich bin selbst ein Produkt von Schüleraustauschen, mit 12 bin ich nach Frankreich, dann auch nach Deutschland. Das war eine sehr einflussreiche Zeit für mich, in diesem Alter lernt man in ein paar Wochen unglaublich viel. Ich kann mich noch erinnern, dass ich in Deutschland war und kaum deutsch sprechen konnte. Wir haben während dem ganzen dreiwöchigen Austausch Eishockey angesehen und ich bin dann kurzerhand Experte für Eishockey-Vokabular geworden. Ich war immer ein Grammatik-Versager, aber wenn ich eine Sprache aktiv benutze, kann ich sie ganz gut verinnerlichen. Ich hatte das Glück, im Laufe der Jahre Russisch, Ukrainisch, Französisch, Türkisch und Spanisch lernen zu können und habe immer wieder gemerkt, dass das Verständnis für ein Land einfach stark steigt, wenn man die Sprache kennt.

Daher ist ein interkultureller Austausch dieser Art vor und nach dem BREXIT extrem wichtig. Kürzere Schüleraustausche werden auch ohne Visum möglich sein, Studierende aber brauchen ein Visum. Das sollte allerdings keine Barriere sein, wenn man bedenkt, dass von ungefähr 500.000 ausländischen Studierenden in Großbritannien nur 140.000 aus der EU kommen.

Wie wird Ihrer Meinung nach die Zukunft mit Covid-19 aussehen?

Im Moment spielt die Entwicklung eines Impfstoffes für die große Forschungsindustrie in Großbritannien eine besonders wichtige Rolle. In einem zweiten Schritt muss die Verteilung der Impfstoffe innerhalb der einzelnen Länder und international geklärt werden. Großbritannien und das Foreign, Commonwealth and Development Office haben viel investiert, damit auch Entwicklungsländer Impfstoffe erhalten. Covid-19 kann eine verheerende Wirkung auf die Entwicklung von ärmeren Ländern haben und daher muss alles dafür getan werden, dass der Schaden sich in Grenzen hält. Auch für die Diplomatie hat die Krise große Auswirkungen: man kann zwar Videokonferenzen organisieren, aber die Gespräche im Korridor, die auch sehr wichtig sind, gehen verloren. Das sind große Probleme, dennoch gibt es einige Möglichkeiten, die Gesellschaft wieder in Schwung zu bringen. Schnelltests, gut kontrollierte Impfungen und vielleicht Immunität werden dabei eine Rolle spielen.

Fotos: SOCIETY/Pobaschnig