Hans Niessl – der Gestalter

Hans Niessl war über 18 Jahre SPÖ-Landeshauptmann des Burgenlandes. Diplomatic SOCIETY hat ihm Fragen zu seiner Amtszeit, der Energiewende, politischen Gräben und Migration gestellt.

Sie waren zwischen 2000 und 2019 Landeshauptmann des Burgenlandes – wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Es war grundsätzlich eine sehr herausfordernde Zeit. Im Jahr 2000 war das Burgenland in fast allen relevanten Wirtschaftsparamatern, ob Einkommen oder Bildung, eher Schlusslicht in Österreich. Mit dem EU-Beitritt 1996 und dann in weiterer Folge in meiner Amtszeit ab 2000 war es eine der Hauptaufgaben, die zusätzlichen EU-Gelder sinnvoll zu investieren und viele Betriebe im Burgenland anzusiedeln. In den über 18 Jahren, in denen ich als Landeshauptmann tätig war, konnten wir im Burgenland rund 30.000 Arbeitsplätze schaffen. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf dem Bildungsbereich – dank umfangreicher Investitionen konnten wir zum Beispiel während meiner Amtszeit die höchste Maturantenquote (abwechselnd mit Kärnten) vorweisen.

Sie haben den EU-Beitritt bereits kurz angesprochen – inwiefern hat das Burgenland von eben diesem profitiert bzw. profitiert es noch immer?

Das Burgenland hat sehr davon profitiert, vor allem die exportorientierte Wirtschaft. Auch die Weinwirtschaft und Klein- und Mittelbetriebe wurden speziell gefördert und bei Modernisierungsmaßnahmen unterstützt. Uns war besonders wichtig, gute Rahmenbedingungen für eine wirtschaftliche Entwicklung zu setzen, dadurch konnten auch viele Unternehmen gegründet werden und sich bereits bestehende nachhaltig etablieren. Das wirkt bis heute positiv nach.  

Würden Sie sagen, dass das Burgenland mehr vom EU-Beitritt profitiert hat als vielleicht andere Bundesländer?

Ja, weil wir gegenüber anderen auch einen Rückstand hatten. Das haben die weiteren Bundesländer – das muss ich ganz offen sagen – lange Zeit mitgetragen. Ich hatte während meiner Amtszeit immer einen guten Kontakt mit den Landeshauptleuten die mit ihren Bundesländern oft stärker im Ausschuss der Regionen vertreten. Besonders muss ich hier aber das Engagement des damaligen EU-Kommissars Johannes Hahn hervorheben, der sich über die Parteigrenzen hinweg für Österreich, speziell aber auch für das Burgenland, eingesetzt hat. Zudem führte ich immer wieder persönliche Gespräche mit dem französischen Kommissar Michel Barnier, mit dem deutschen Günther Oettinger oder dem Vorsitzenden des Europäischen Ausschusses der Regionen, Karl-Heinz Lambertz. Diese Kontakte haben gute Voraussetzungen geschaffen, um die burgenländischen Interessen in Brüssel erfolgreich zu vertreten, und so wurde unser Bundesland ja auch als einzige Region Österreichs zur „Ziel-1-Region“ erklärt.  

Schon während Ihrer Amtszeit hat das Burgenland eine Vorreiterrolle im Bereich Erneuerbare Energie eingenommen – welche Impulse kann das Burgenland auch anderen Bundesländern geben?

Es war nie mein bzw. unser Stil, anderen Bundesländern Ratschläge zu geben. Fest steht aber, dass die Energiefrage wahrscheinlich eine der wichtigsten Zukunftsfragen für jedes Land ist. Sowohl der Bund als auch die Bundesländer müssen sich überlegen, wie man preiswerte Energie zur Verfügung stellen kann. Auch für die Industrie ist das wesentlich. In Zukunft könnte man auf einen Mix aus Wasserkraft, die ja in Österreich weitestgehend ausgebaut ist, Windkraft, Photovoltaikanlagen und eventuell Wasserstoff anstreben. Aber ich glaube, die Frage nach der geeigneten Energiestrategie muss jedes Land für sich beantworten, schließlich hängt es ja auch davon ab, welche Ressourcen gegeben sind. Wir im Burgenland haben auf die Windenergie gesetzt, weil die Parndorfer Platte eine der windhäufigsten Gegenden Zentraleuropas ist. Als ich 2000 zum Landeshauptmann gewählt wurde, hat das Burgenland nur 3% des gesamten Strombedarfes selbst erzeugt. Am Ende meiner Amtszeit waren es ca. 150%. Die Steigerung war enorm und das zeigt, welche Beiträge man leisten kann.

Häufig stoßen Windräder ja auf Widerstand – wie ist es Ihnen da ergangen?

Das ist ein ganz wesentliches Thema – ich habe in meiner Zeit bemerkt, dass ohne Eingreifen der Politik Chaos und Widerstand entstehen können. Deshalb haben wir WWF, BirdLife und andere Umweltorganisationen an einen Tisch geholt und sie gebeten, gemeinsam mit uns zu eruieren, wo Windkraftanlagen errichtet werden können, ohne Tiere zu gefährden. Gleichzeitig haben wir Verbotszonen erarbeitet – dazu gehören zum Beispiel der Neusiedlersee und das Nationalparkgebiet. Um die 200 Vogelarten fliegen zum bzw. vom Nationalpark, würde man hier Windräder errichten, wäre das natürlich katastrophal für die Umwelt. Durch die Miteinbeziehung von NGOs haben wir allen Protesten den Wind aus den Segeln genommen.

Nun zur Bundespolitik: Österreich blickt ja auf turbulente Monate zurück – wie können Ihrer Meinung nach die tiefen Gräben zwischen den Parteien aber vor allem auch zwischen den Wählerinnen und Wählern wieder geschlossen werden?

Das ist vermutlich die schwierigste Frage, die Sie stellen. Ich – als jemand, der nicht mehr in der Parteipolitik tätig ist – habe den Eindruck, dass die Gräben weiter aufrecht bleiben werden. Die neue Bundesregierung ist mit vielen Herausforderungen konfrontiert: Große Einsparungen verbunden mit notwendigen Reformen in den verschiedensten Bereichen werden nicht ohne Diskussionen über die Bühne gehen können. Die aktuelle Situation mit steigenden Arbeitslosenzahlen, wachsender Staatsverschuldung und Inflation muss erst wieder in Ordnung gebracht werden.

Spricht man von politischen Gräben, kommt man natürlich auch am Thema Migration nicht vorbei – wie könnten sozialdemokratische Lösungen im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik aussehen? 

Ich glaube, dass die Sozialdemokratie in den letzten Monaten einige gute Vorschläge gemacht hat, aus meiner Sicht sind diese allerdings zu spät gekommen. Ich habe schon 2015 zu jenen gehört, die gesagt haben, dass es eine Grenze des Möglichen gibt und man deshalb die Migration in entsprechender Form limitieren muss. Sozialdemokratische Politik heißt für mich, dass es eben diese Limitierungen gibt, vor allem hinsichtlich des Sozialsystems. Es gilt, schon in den Schulen und Kindergärten Voraussetzungen zu schaffen, damit die Kinder so schnell wie möglich Deutsch lernen, ebenso die Erwachsenen, die auch rasch in den Arbeitsprozess integriert werden müssen. Arbeit ist ein Grundrecht und Menschen in Arbeit zu bringen ist eine Verpflichtung der Politik, vor allen Dingen der sozialdemokratischen Politik.

Würden Sie also sagen, dass man die Grenze des Möglichen bereits überschritten hat?

Die Grenze des Möglichen ist in den letzten Jahren aus meiner Sicht überschritten worden. Es sind vor  allen Dingen auch Menschen zu uns gekommen, die unsere Werte nicht akzeptieren, die zum Beispiel die Gleichstellung der Frauen nicht anerkennen und die Gesetze unseres Staates nicht akzeptieren.

Deshalb kommt es zu Übergriffen, wie wir sie in der Vergangenheit bereits gesehen haben, und damit ist aus meiner Sicht eine Grenze überschritten. Alle, die hier leben, haben unsere Gesetze einzuhalten, ob Österreicher oder Nicht-Österreicher. Unsere Werte müssen respektiert werden und jede und jeder muss natürlich auch einen Beitrag im Bereich der Arbeit leisten.