„Für mich ist Kultur das, was uns Menschen ausmacht“

Im Gespräch mit SOCIETY betont Ola Abdelgawad, ägyptische Kulturrätin und Leiterin der Studienmission in Wien, die Bedeutsamkeit des kulturellen Austausches und gibt Einblicke in die Arbeit des Ägyptischen Kulturbüros.

Sie leiten seit 2020 das ägyptische Büro für kulturelle Beziehungen und Studienangelegenheiten in Wien. Auf welche Bereiche möchten Sie sich gerne besonders konzentrieren bzw. welche Ziele haben Sie sich persönlich gesetzt?

Das Ägyptische Büro für kulturelle Beziehungen und Studienangelegenheiten in Wien ist eines der auf der ganzen Welt tätigen Kulturbüros der Arabischen Republik Ägypten und Teil der diplomatischen Vertretung. Hier in Wien sind wir Ansprechpartner für die wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit auf bi- und multilateraler Ebene mit Österreich, Ungarn, der Tschechischen Republik, der Slowakei und Slowenien. Zu unseren wichtigsten Aufgaben gehört, Ägypten und seine bis über fünftausend Jahre zurückreichende Geschichte zu präsentieren und einem europäischen Publikum näher zu bringen und eine internationale Zusammenarbeit im Bereich Wissenschaft und Kultur zu pflegen und zu fördern. Wir möchten ein möglichst umfassendes Bild von Ägypten vermitteln, angefangen von der altägyptischen Kultur über die mittelalterliche Periode bis hin zu zeitgenössischen Entwicklungen und Zukunftsperspektiven. Das machen wir, indem wir den interkulturellen Dialog und den Austausch im Bereich von Wissenschaft und Kultur fördern um möglichst viele Menschen zu erreichen und für Ägypten zu begeistern. Es ist uns in diesem Zusammenhang ein Anliegen, die vielen Facetten der ägyptischen Musik nach Österreich zu bringen, moderne ägyptische Literatur vorzustellen, zeitgenössische bildende Kunst zu präsentieren und insbesondere auch den Austausch auf akademischer Ebene zu fördern. Es geht hierbei auch darum, ein frisches Bild von Ägypten zu vermitteln und vielleicht noch unbekannte oder sogar überraschende Seiten dieser so vielfältigen und bunten Kultur aufzuzeigen.

Für mich ist Kultur das, was uns Menschen ausmacht. Kunst und Kultur müssen nicht immer schön und gefällig sein, aber uns anregen, aufrütteln, neue Perspektiven eröffnen und uns insgesamt in unserem Dasein erweitern.

Gibt es Verbindungslinien zwischen der ägyptischen und der österreichischen Kulturwelt? Wie bewerten Sie die kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern?

Die Freundschaft zwischen Österreich und Ägypten hat eine sehr lange Tradition und reicht weit in die Vergangenheit zurück. Bereits im 18. Jahrhundert hat der österreichische Diplomat und Orientalist Joseph von Hammer-Purgstall Ägypten bereist und regelmäßig dem Kaiserhaus in Wien von seinen Expeditionen berichtet. Am Bau des Suezkanals im 19. Jahrhundert war auch ein österreichischer Ingenieur maßgeblich beteiligt und das österreichische Kaiserpaar war bei der festlichen Eröffnung des Kanals im Jahre 1869 anwesend. Diese freundschaftlichen Beziehungen wurden bis in die Gegenwart fortgesetzt und fanden auch Ausdruck im Staatsbesuch unseres Präsidenten in Wien im Jahre 2018. In Österreich legen außerdem die sehr umfangreichen ägyptischen Sammlungen Zeugnis von den freundschaftlichen Verbindungen und dem regen Interesse an Ägypten ab, die ägyptische Sammlung im Kunsthistorischen Museum ebenso wie die Papyrussammlung in der Österreichischen Nationalbibliothek, die zu den größten Papyrussammlungen weltweit gehört. Auch in die moderne österreichische Literatur haben ägyptische Themen Eingang gefunden, so beispielsweise „Der Fall Franza“ von Ingeborg Bachmann, „Vergiss Ägypten“ von Barbara Frischmuth oder „Alles über Sally“ von Arno Geiger. Außerdem fand und findet stets ein reger Austausch von  KünstlerInnen, MusikerInnen, SchriftstellerInnen, TänzerInnen und WissenschafterInnen statt. 1944 besingt die große arabische Diva Asmahan in einem ägyptischen Film die rauschenden Ballnächte in Wien und erschafft so ein Sehnsuchtsmythos der Stadt, das bis heute das Bild von Österreich in der arabischen Welt geprägt hat. Die musikalischen Verbindungen zwischen Kairo und Wien sind bis heute zahlreich und die Wechselbeziehungen äußerst produktiv. So haben beispielsweise die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Ricardo Muti am 20. November 2021 das Opernhaus in der neuen ägyptischen Hauptstadt eröffnet.

Wie sieht das Angebot des Büros aus und an wen richtet es sich? Wie ist Ägypten kulturell noch in Österreich vertreten?

Unser Büro in der Reichsratsstraße in der Wiener Innenstadt ist ein Ort des Austausches, wo man zusammenkommt und ein Stück Ägypten auf 200 m² für sich entdeckt. Wir verstehen uns als Vermittler für ägyptische Wissenschaft, Kunst und Kultur und organisieren hierfür ein breites Spektrum an Veranstaltungen, so beispielsweise Ausstellungen, Musikabende, Lesungen, Vorträge oder Seminare, in denen immer Aspekte der ägyptischen Kultur und Wissenschaft einem europäischen Publikum präsentiert werden. Darüber hinaus unterstützen wir Institutionen in Österreich und den anderen Partnerländern, die sich für den interkulturellen Dialog interessieren. Auch mit dem österreichischen Kulturforum in Kairo verbindet uns eine schöne und produktive Kooperation. Unsere Veranstaltungen richten sich vornehmlich an ein nicht-ägyptisches Publikum, aber sowohl an jene, die erst wenig über Ägypten wissen, als auch an diejenigen, die bereits mit Land und Kultur vertraut sind, denn für jeden Menschen gibt es Neues zu entdecken und zu erfahren.

Was bedeutet Kultur für Sie persönlich? Welchen Stellenwert hat sie Ihrer Meinung nach in einer Gesellschaft bzw. welchen Stellenwert sollte sie haben?  

Für mich ist Kultur das, was uns Menschen ausmacht. Kunst und Kultur müssen nicht immer schön und gefällig sein, aber uns anregen, aufrütteln, neue Perspektiven eröffnen und uns insgesamt in unserem Dasein erweitern. Daher kommt dem interkulturellen Austausch und der kulturellen Diplomatie auch so eine wichtige Rolle zu, schlägt doch die Kunst – egal ob Musik, Literatur oder bildende Kunst – oftmals eine Verständnisbrücke zur anderen Kultur. Durch die Vermittlung der Kunst können wir das vormals Fremde mit neuen Augen sehen und anders wahrnehmen. Dadurch kommen wir zu einem ganz anderen gegenseitigen Verständnis und die Akzeptanz und Toleranz der anderen Kultur fällt uns leichter.

Fotos: SOCIETY/Karakan