von Sarah Heftberger
Seit Januar 2022 befindet sich António Guterres in seiner zweiten Amtszeit als UN-Generalsekretär. Mit klaren und mahnenden Worten setzt sich der bekennende Multilateralist und ehemalige Premierminister Portugals für die brennenden Themen unserer Zeit ein.
Auf der Weltklimakonferenz COP27 in Scharm el Scheich Mitte November findet der UN-Generalsekretär wiederholt drastische Worte: „Wir sind auf einem Highway in die Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal“, mahnt er die teilnehmenden Vertreterinnen und Vertreter aus rund 200 Staaten. „Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens – und sind dabei zu verlieren“.
Seit 1. Januar 2017 steht António Guterres nun bereits als Generalsekretär an der Spitze der Vereinten Nationen. Zuvor hatten sich die 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrates – darunter die Veto-Mächte bzw. die „Permanent Five“ (USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China) – auf seine Nominierung geeinigt. 13 von 15 möglichen Stimmen erhielt der Portugiese dabei, die Bestätigung durch die Generalversammlung galt danach nur noch als Formalie.
In seiner portugiesischen Heimat löste seine Wahl eine regelrechte Euphoriewelle aus, der damalige Ministerpräsident und Parteifreund António Costa etwa gratulierte Guterres vor laufenden Kameras mit Tränen in den Augen. Man war stolz auf den krisenerprobten Weltdiplomaten, der neben Portugiesisch auch noch Französisch, Englisch und Spanisch beherrscht.
Ein Blick zurück
Eigentlich ist der am 30. April 1949 in Santos-o-Velho, Lissabon geborene Guterres ein studierter Ingenieur, 1971 schloss er das Instituto Superior Técnico mit Höchstnoten ab. Schon in der Mittelschule, der Escola Secundária de Camões, galt er als Musterschüler, seine Disziplin und sein Ehrgeiz brachten ihn regelmäßig auf die Liste der Klassenbesten. In der 2022 erschienen Biografie mit dem Titel „Honest Broker: A Biography of António Guterres“ von Filipe Domingues und Pedro Latoeiro erinnert sich ein ehemaliger Klassenkollege: „Er war in all seinen Fächern hervorragend und uns in allen wichtigen Dingen immer überlegen“. Revanchieren konnte man sich dafür allerhöchstens im Sportunterricht, so der Mitschüler.
„Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens – und sind dabei, zu verlieren.“
Besonders gut war Guterres in Mathematik und Physik – inspiriert von seinem Vater Virgílio, der für ein Erdgasunternehmen arbeitete und Zeit seines Lebens davon träumte, Ingenieur zu werden. „Physik war vermutlich meine größte intellektuelle Leidenschaft und das, worüber ich am liebsten lernte – allen voran die Relativitätstheorie. Ich finde diese Versuche, die Welt jenseits unserer alltäglichen Intuitionen zu verstehen, faszinierend“, betont er im Buch.
In den Schulferien verbrachte der junge Guterres viel Zeit am Land. Im kleinen Donas, einer Gemeinde im Zentrum Portugals, lag das dreistöckige, weiße Haus der Familie nur wenige Meter von der alten Kirche des Dorfes entfernt. Der „kleine Toni“, wie er dort genannt wurde, half dem hiesigen Priester regelmäßig bei Messen, las die Apostelbriefe und nahm an Taufen teil. Heute erinnert ein kleines Museum, das „Casa das Memórias de António Guterres“, an ihn.
Die Zeit auf dem Land prägte den aus gut situiertem Hause stammenden Guterres maßgeblich: „Ich hatte viel Glück und das wurde mir schon in jungen Jahren bewusst. Während meine Freunde in Donas barfuß herumliefen, trug ich Schuhe. Während ich zurück nach Lissabon ging um zu lernen, blieben sie in Donas und arbeiteten auf den Feldern (…)“.Nicht zuletzt aus diesen Erfahrungen heraus entwickelte Guterres früh einen starken Sinn für soziale Gerechtigkeit.
Seine Kindheit und Jugend fielen jedenfalls in die Zeit des „Estado Novo“, der autoritären Diktatur António de Oliveira Salazars, der das Land fast vier Jahrzehnte (bis 1968) beherrschte. In den 1960er Jahren führte Salazar zermürbende Kriege um den Erhalt der kolonialen Macht Portugals, im Land selbst herrschten Armut und Rückständigkeit, jede Opposition wurde unterdrückt, das Volk in Unmündigkeit gehalten.
1966 schrieb sich Guterres am Instituto Superior Técnico ein – und zählte auch dort zu den besten. „Selbst bei komplexen Problemen der Quantenmechanik kam er erstaunlich schnell zu Lösungen, während wir anderen zwei oder drei Stunden an Gleichungen arbeiteten, um an dasselbe Ziel zu kommen“, erinnert sich sein Studienkollege José Tribolet.
Zu dieser Zeit formierte sich am Instituto eine aktive linke Studienverbindung, die regelmäßig gegen die rechte Diktatur auf die Straße ging. Der junge Guterres schloss sich dieser aber nicht an. „Er sah sich weder in diesem Geist noch in den linken politischen Aktionen der Studentenorganisation“, erinnert sich ein anderer Studienkollege. „Er hatte seine demokratischen und sozialen Anliegen, aber ich sah ihn eher als christlich-demokratisch“.
Guterres trat indessen der Katholischen Jugendbewegung „Juventude Universitária Católica“ (JUC) bei. Während eines Treffens der Bewegung lernte er seine erste Frau Luísa Amelia Guimarães e Melo, auch Zizas genannt, kennen. „Zizas studierte Medizin. Wir wurden sehr enge Freunde und dann begannen wir, auszugehen und schließlich heirateten wir. Das war eine fundamentale Beziehung in meinem Leben, die später mit einer dramatischen Tragödie verbunden war“, so Guterres. Zizas verstarb 1998 an einer schweren Krankheit, seither lässt er jedes Jahr Ende Januar in der Kirche, in der sie einst geheiratet hatten, eine Messe für sie abhalten.
Soziales Engagement
1969 wurde Guterres Leiter der JUC und übernahm später zudem die Verantwortung für das kurz vor der Schließung stehende „University Centre for Social Action“. Daneben gab er benachteiligten Jugendlichen Nachhilfeunterricht in Mathematik. Diese Erfahrungen sollten seinen Werdegang stark mitprägen: „Als ich in der Katholischen Universitätsjugend und später bei CASU war, wurde ich mit sozialen Ungerechtigkeiten konfrontiert, die mich dazu brachten, mich der Politik zu widmen“, erklärt er.
In den späten 60ern lernte er Vítor Melícias kennen, der ein wichtiger Wegbegleiter für ihn wurde. Als Priester war er eine Ausnahme – er nahm an Demonstrationen gegen den Krieg in Vietnam teil und war offen für Kritik an der Kirche. „Er stand im Mittelpunkt vieler Dinge, die in meinem Leben entscheidend waren“. Guterres schloss sich der „Grupo da Luz“ von Melícias an, einer Vereinigung intellektueller Christen, die sich stark sozial engagierten.
Auch die Trauung zwischen Zizas und Guterres im Dezember 1972 nahm Melícias vor. Aus der Ehe stammen zwei Kinder, Pedro und Mariana. Seine Familie hielt Guterres stets aus der Öffentlichkeit heraus. „Wenn ich sehe, wie diese Typen ihre Frauen und Kinder vorführen…sobald ein Problem auftritt, begräbt die Presse sie alle. Aber wenn man sie sicher und außer Sichtweite hält, schützt man sie vor diesen Dingen“.
1974 – im Jahr der Nelkenrevolution, die das Ende des Estado Novo einläutete – trat Guterres schließlich der Sozialistischen Partei bei, zwei Jahre später wurde er erstmals in das portugiesische Parlament gewählt und blieb dort 17 Jahre vertreten. Zwischen 1999 und 2005 fungierte er außerdem als Präsident der Sozialistischen Internationale und über 10 Jahre (1992-2002) füllte er den Posten des Generalsekretärs der „Partido Socialista“ aus.
„Er war in all seinen Fächern hervorragend und uns in allen wichtigen Dingen immer überlegen.“
ein ehemaliger Klassenkamerad über António Guterres
Als er 1995 für das Amt des portugiesischen Premierministers kandidierte, erklomm er im Wahlkampf symbolträchtig und zur Überraschung der anwesenden Journalistinnen und Journalisten den höchsten Berg Portugals, Pico, auf den Azoren. Zuvor hatte er sich bei einem Interview blamiert, als er das BIP Portugals nicht nennen konnte – ungewöhnlich für den sonst so souveränen Politiker. 3350 Meter war er bereit zu erklimmen, um diesen peinlichen Fehler auszumerzen. Guterres gewann schließlich die Wahl und diente bis 2002 als Premierminister. Während seiner Amtszeit trat er maßgeblich für die Lösung der Krise in Osttimor ein, wo er noch heute große Popularität genießt. Seine Bilanz an der Spitze Portugals war dennoch durchwachsen, so fiel auch der Beginn der portugiesischen Krise in seine Periode. Nach einer schweren Niederlage bei Kommunalwahlen, trat er 2001 zurück und intensivierte von da an sein internationales Engagement.
2005 wurde er schließlich Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen. Sein größter Unterstützer soll dabei Kofi-Annan selbst gewesen sein. Bis 2015 leitete er damit eine der weltweit führenden humanitären Organisationen in einer Zeit, die von einer der größten Vertreibungskrisen der letzten Jahrzehnte geprägt war. Guterres fand auch als Hochkommissar deutliche Worte. Er mahnte und forderte – eindringlich und mit Leidenschaft, entlang seiner moralischen Überzeugungen. Auch für die Gleichberechtigung der Frau setzt sich der heute 73-jährige seit jeher ein, wenige Tage vor dem „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“ am 25. November, forderte er etwa “Stellung zu beziehen und unsere Stimme zur Unterstützung der Frauenrechte zu erheben” und stolz zu erklären, dass “wir alle Feministinnen sind”. Schon während seiner Uni-Zeit als Leiter der CASU soll er um ein ausgeglichenes Frauen- und Männerverhältnis bemüht gewesen sein.
Auf dem Weg ins UN-Generalsekretariat
Als sich Guterres 2015 nicht mehr für eine dritte Amtszeit als UNHCR-Chef zur Verfügung stellte, gingen viele bereits von einer Kandidatur für das UN-Generalsekretariat aus.
Schon beim ersten informellen Hearing vor der UN-Generalversammlung konnte er die Zuhörerinnen und Zuhörer aus 193 Länder von sich überzeugen. „Guterres war der Mann, der überzeugend die stärkste Erfahrung, die besten Ergebnisse, die beste Vision und auch die beste Fähigkeit präsentierte, der Welt zu erklären, worum es bei der UNO geht“, erinnert sich etwa Mogens Lykketoft, der den Vorsitz der informellen Hearings innehatte. Über Jahrzehnte hatte Guterres an seinen Rednerfähigkeiten gefeilt, die ihm nun dabei halfen, den Sicherheitsrat bzw. die Generalversammlung von sich zu überzeugen.
Am 1. Januar 2017 trat er schließlich das Amt des höchsten Verwaltungsbeamten der Vereinten Nationen an. „Diese Wahl erfüllt mich zugleich mit Dankbarkeit und einem tiefen Gefühl von Verantwortung. Die Komplexität der globalen Probleme erfordern es, dass ich zu einem Brückenbauer in meinem Amt werde und alle UN-Mitgliedsstaaten gleichwertig repräsentiere“, so der überzeugte Multilateralist zu seinem Amtsantritt. Im Juni 2021 wurde er für eine zweite Amtszeit bestätigt. Seine Wiederbestellung galt schon lange als sicher: mit den einflussreichen Veto-Mächten hatte Guterres in den vergangenen Jahren einen guten Umgang gepflegt. Bei seiner Vereidigung rief er zu einer neuen Ära der „Solidarität und Gleichheit“ auf. Die COVID-19-Krise war zu dieser Zeit in vollem Gange, der Krieg in der Ukraine lag noch in der Zukunft. Dazu weitere regionale Konflikte, die ausufernde Klimakrise, eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft, ein schwächelndes Finanzsystem der UN, eine sich zügellos entwickelnde Technologisierung und die Umsetzung der 2030-Entwicklungsziele der UN – zudem wurde ihm von Kritikern immer wieder vorgeworfen, eine zu zaghafte Vermittlerrolle in internationalen Konflikten wahrzunehmen – und China hinsichtlich der Menschenrechtsverletzungen der Uiguren nicht ausreichend zu kritisieren: an Aufgaben und Herausforderungen mangelt es dem UN-Chef bis zum Ende seiner zweiten Periode 2026 jedenfalls nicht. Wie erfolgreich er sich weiter gegen die Ungerechtigkeiten der Welt stemmen kann, wird sich zeigen.
(c) UNFCCC/Kiara Worth/UN-Photo/Linh Luong, Dragan Tatic/BKA