Papst Leo XIV: Ein Pragmatiker zwischen Tradition und Wandel

Die Wahl von Kardinal Robert Francis Prevost zum neuen Papst kam für viele überraschend. In den unzähligen Beiträgen, die sich vor der Wahl mit den aussichtsreichsten Kandidaten beschäftigt hatten, wurden ihm höchstens Außenseiterchancen eingeräumt. Dennoch wurde der 69-Jährige schon am zweiten Tag des Konklaves zum 267. Papst der römisch-katholischen Kirche gewählt.

Von Sarah Heftberger

Als am 8. Mai, kurz nach 18:00 Uhr, weißer Rauch aus dem wohl bekanntesten aller Rauchfänge aufgestiegen war, blickte die christliche Welt gebannt auf die berühmte Benediktionsloggia des Petersdoms. Etwa eine Stunde nach dem erfolgreichen Wahlgang des Konklaves öffneten sich die schweren Gardinen und der Kardinalprotodiakon – der dienstälteste Kardinaldiakon im Kardinalskollegium – Dominique Mamberti trat hervor. Er verkündete das, worauf die unzähligen Gläubigen am Petersplatz und vor den Fernsehgeräten auf der ganzen Welt gewartet hatten: „Habemus Papam“, gefolgt vom Namen und Titel des neu gewählten Pontifex. Damit stellte er der Weltöffentlichkeit Robert Francis Prevost, oder Leo XIV., als neues Oberhaupt der katholischen Kirche vor. Dem voraus waren vier Wahlgänge gegangen, weit weniger als viele Experten und Beobachter zuvor erwartet hatten. Noch nie war eine Wahl so groß und international, die 133 wahlberechtigten Kardinäle stammten aus 70 verschiedenen Ländern, viele kannten sich untereinander nicht. Auch der österreichische Kardinal Christoph Schönborn, der ob seines Alters – er ist 80 Jahre – nicht mehr am Konklave teilnehmen konnte, zeigte sich bei einem Pressegespräch im Festsaal des erzbischöflichen Palais in Wien überrascht: „Ich gestehe, dass ich nicht mit so einem schnellen Ergebnis gerechnet habe“. Am Vorkonklave, bei dem Schönborn noch war, hatte sich noch kein Favorit abgezeichnet.

Erst im November war der nunmehrige erste US-amerikanische Papst in Wien zu Besuch gewesen und hatte das 675. Weihejubiläum der Wiener Augustinerkirche gefeiert. Er traf natürlich auch Schönborn, der zu dieser Zeit noch Erzbischof von Wien war. „Er mag Österreich und Wien. Das war bei seinen Besuchen spürbar“. Schönborn zeichnete darüber hinaus ein positives Bild des neuen Pontifex und Bischofs von Rom, er sei ein sehr herzlicher, bescheidener und durchaus demütiger Mann, der zugleich Führungsstärke mitbringe.

Besonders hob er die Bedeutung der biografischen Verbindung Nord- und Südamerika hervor, die Leo XIV – der sowohl die US-amerikanische als auch die peruanische, seit 2023 auch die vatikanische Staatsbürgerschaft besitzt – verkörpere.

Frühe Ambitionen

Auch die familiären Wurzeln des am 14. September 1955 in Chicago, Illinois geborenen jüngsten von drei Söhnen, sind international. Sein Vater, Louis Marius Prevost, hatte französische und italienische Vorfahren, seine Mutter, Mildred Martínez, war spanischer Abstammung. Seine Eltern waren religiös und in der katholischen Kirche – in der Gemeinde St. Mary of the Assumption in Chicago – aktiv, wo Robert und seine Brüder auch als Ministranten dienten. Schon als Kind soll er außerdem, so sein Bruder John Prevost in einem Interview mit dem US-Sender ABC, Priester gespielt haben. Ein Bügelbrett diente ihm dabei als Altar, die Messe hielt er sowohl auf Englisch als auch auf Latein. „Ich glaube nicht, dass er jemals an etwas anderes gedacht hat“, so John Prevost über die Ambitionen seines jüngeren Bruders. Eine Nachbarin habe ihm zudem schon in der ersten Klasse Volksschule prophezeit, dass er der erste US-amerikanische Papst werden würde.

Bis zu seinem Abschluss 1973 besuchte „Bob“, wie ihn seine Mitschülerinnen und Mitschüler nannten, die The Saint Augustine Seminary High School in Michigan. Dort galt er als überaus hilfsbereit und bodenständig und war als „Tutor“ der Schule bekannt. Nach der High School absolvierte er an der Villanova University in Pennsylvania ein Universitätsdiplom in Mathematik und Philosophie. 1977 trat er in den Augustinerorden ein, studierte später Theologie an der Catholic Theological Union. Mit 27 Jahren wurde er nach Rom geschickt, um an der Päpstlichen Universität St. Thomas von Aquin das Studium des Kirchenrechts abzuschließen. In der „Ewigen Stadt“ wurde er schließlich am 19. Juni 1982 im Augustinerkolleg von Santa Monica durch den belgischen Erzbischof Jean Jadot zum Priester geweiht. Zwei Jahre später erhielt er seine Approbation, zwischen 1985 und 1986 wurde er erstmals nach Peru – in die Augustinermission in Chulucanas, Piura –  entsandt. Dies war der Anfangspunkt einer jahrzehntelangen, prägenden Verbindung mit diesem Land, dessen Staatsbürgerschaft ihm 2015 verliehen wurde. Im gleichen Jahr wurde er von Papst Franziskus zum Bischof von Chiclayo ernannt, wo er sich besonders für soziale Projekte und die Belange der Armen und der Landbevölkerung einsetzte. In Peru sorgte seine Wahl zum Papst naturgemäß für Hochstimmung. „Der Papst ist Peruaner. Gott liebt Peru. Lang lebe Papst Leo XIV. Lang lebe Peru!“, freute sich etwa die Staatschefin Dina Boluarte.

Im Jahr 2023 holte ihn Franziskus nach Rom, wo er als Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe und Präsidenten der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika wirkte. Damit war auch Prevost’s Aufstieg zum Erzbischof verbunden. Im selben Jahr wurde er zudem zum Kardinal erhoben. Noch im Februar 2025 ernannte ihn der argentinische Papst zum Kardinalbischof des suburbikarischen Bistums Albano. Als Franziskus im selben Monat aufgrund einer Lungenentzündung in das Universitätsklinikum Gemelli gebracht wurde, leitete Prevost Anfang März ein Rosenkranzgebet für seine Genesung.

Ein neues Pontifikat beginnt

Am Ostermontag, dem 21. April und nachdem er am Ostersonntag noch den Ostersegen gespendet hatte, verstarb Papst Franziskus schließlich im Alter von 88 Jahren. Mit seinem Tod begann die sogenannte Sedisvakanz, jene Zeit, in der der Papstthron unbesetzt ist. Gleichzeitig startete die Suche nach einem neuen Oberhaupt für die 1,4 Milliarden Katholikinnen und Katholiken.

Schon bald wurden verschiedene Kardinäle als mögliche Nachfolger diskutiert, besonders oft fielen die Namen Pietro Parolin, Luis Antonio Tagle, Peter Erdő, Pierbattista Pizzaballa oder Matteo Maria Zuppi, Robert F. Prevost galt höchstens als Außenseiter.

Schon am zweiten Tag des Konklaves – der Begriff leitet sich vom lateinischen „cum clave“ (mit Schlüssel) ab – einigten sich die wahlberechtigten Geistlichen jedoch auf den Kardinal aus Chicago. Er sei ein Kompromisskandidat gewesen, so die Beobachter, mit dem sowohl Liberale als auch Konservative in der Kirche leben können. Der US-Amerikaner vereint verschiedene Strömungen innerhalb der Kirche und hatte sich zudem vor der Wahl zu einigen kritischen Positionen noch nicht klar geäußert. Er wurde als pragmatischer Diplomat und Reformer wahrgenommen – für Neuerungen offen aber stets die traditionellen Lehren der Kirche im Blick. Sein diplomatisches Geschick bewies er, als der Synodale Weg zur Zukunft der Kirche 2023 in Rom auf Kritik stieß, und er gemeinsam mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin zwischen den deutschen Bischöfen und dem Vatikan vermittelten.

Außerdem spricht Prevost die drei wichtigsten Sprachen der Weltkirche, Englisch, Spanisch und Italienisch, zudem soll er Portugiesisch und Französisch beherrschen und in der Lage sein, Latein und Deutsch zu lesen. Doch auch seine Laufbahn ist nicht ohne Schatten: Ihm wird vorgeworfen, während seiner Zeit in Chicago und später als Bischof in Chiclayo Missbrauchsfälle nicht konsequent verfolgt zu haben.

Prioritäten und Kurs

Vor seiner Wahl zum Papst war er weitestgehend auf der Seite seines Vorgängers Franziskus gestanden und auch in seiner ersten Ansprache gab er Hinweise dafür, den Kurs des verstorbenen Argentiniers fortsetzen zu wollen. Mit „Der Friede sei mit euch“ verwendete er bei seiner ersten Ansprachen zudem jenen Gruß, den auch schon Franziskus an die Gläubigen gerichtet hatte.

Auch in nachfolgenden Ansprachen und Audienzen bekannte er sich zum Reformkurs von Franziskus und den Weg der Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, ebenso zur Synodalität – dem Prinzip der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Zuhörens auf allen Ebenen.

Bei einer Audienz für Medienschaffende rief er außerdem zur „Entwaffnung der Worte“ im Bereich der Kommunikation und der Medien auf. „Wir müssen Nein sagen zum Krieg der Worte und Bilder, wir müssen das Paradigma des Krieges ablehnen!“

Darüber hinaus legt der neue Papst Wert auf soziale Gerechtigkeit, Transparenz und den Verzicht auf weltliche Macht: „Sorgt für Transparenz in der Verwaltung der Güter und seid Zeichen der demütigen und vollständigen Hingabe an das heilige Volk Gottes – und strebt dabei nicht nach Ehren, weltlicher Macht oder Äußerlichkeiten“, forderte er etwa in einer Ansprache bei der Audienz mit Vertretern der Ostkirche. Auch die missionarische Rolle der Kirche wird ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit sein. Zudem äußerte er sich schon im Rahmen seiner ersten offiziellen Audienz zur Künstlichen Intelligenz, die er als große Herausforderung „für den Schutz der Menschenwürde, der Gerechtigkeit und der Arbeit“ bezeichnete. 

Ob er die – verhältnismäßig liberale –  Position Franziskus‘ hinsichtlich homosexueller Paare weitertragen wird, ist jedoch nicht gänzlich klar. Sein Vorgänger hatte die Segnung homosexueller Paare durch katholische Geistliche – unter bestimmten Bedingungen – erlaubt und immer wieder betont, dass die Kirche für alle offen sei. Bei einer Audienz vor am Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatinnen und Diplomaten im Mai bekräftigte Papst Leo XIV. jedenfalls das traditionelle Familienmodell, das, so betonte er, auf einer Verbindung zwischen Mann und Frau beruhe. Zur Rolle der Frau im Klerus hat sich der neue Papst bis dato noch nicht explizit geäußert, noch als Kardinal hatte er bei der Weltsynode 2023 aber geäußert, dass „die Klerikalisierung von Frauen die bestehenden Probleme nicht lösen werde“. Dennoch wird erwartet, dass er die bestehende Position der Frau in der Kirche weiterentwickeln wird.

In seinem ersten TV-Interview mit dem italienischen Nachrichtensender TG1 am 19. Juni standen vor allem die weltweiten Krisen im Fokus, über die sich das Kirchenoberhaupt besonders besorgt zeigte: „Ich versuche, Tag und Nacht zu verfolgen, was in vielen Teilen der Welt passiert“ und weiter: „Wir müssen um jeden Preis versuchen, den Einsatz von Waffen zu vermeiden, und mit diplomatischen Mitteln den Dialog suchen. Lasst uns gemeinsam nach Lösungen suchen. Es sterben so viele Unschuldige, und wir müssen uns immer für den Frieden einsetzen“.

Mit seinem Wahlspruch „In illo uno unum“ – „In dem Einen sind wir eins“ wählte er jedenfalls ein Zitat aus einem Kommentar des Heiligen Augustinus zum Psalm 127, welches zum Einen seine Zugehörigkeit zum Augustinerorden unterstreicht, zum Anderen die „Einheit im Glauben“ vermittelt. Der Souverän des vatikanischen verleiht damit seinem starken Engagement für die Ökumene sowie für den Dialog mit anderen Konfessionen Ausdruck. Papst Leo XIV. nimmt damit auf zahlreichen Ebenen eine bedeutende Vermittlerrolle ein – ob es ihm gelingen wird, dabei die Balance zwischen Tradition und Reform zu bewahren, bleibt abzuwarten.