Christoph Wiederkehr: Für ein chancengerechtes und leistungsfähiges Bildungssystem

Das Diplomatic SOCIETY Magazin hat mit dem Bundesminister für Bildung, Christoph Wiederkehr, über die Herausforderungen im Bildungsbereich, die „perfekte“ Schule und Reformbestrebungen gesprochen.

Sie wurden am 3. März dieses Jahres als Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung angelobt und dürfen damit eines der Herzensthemen der NEOS verantworten – wie soll das österreichische Bildungssystem nach Ihrer Amtszeit aussehen?

Mein Ziel ist es, dass alle Kinder und Jugendlichen gerne in die Schule gehen und Lehrkräfte sowie Direktionen entlastet werden. Das Bildungssystem sollte nach meiner Amtszeit chancengerechter und leistungsfähiger sein. 

Wie wollen Sie es schaffen, die vielen im Bildungsbereich involvierten „Parteien“ – Bund, Länder Gemeinden, Gewerkschaften, Wirtschaft, Lehrer, Eltern und Schülerinnen und Schüler – mit ins „Reformboot“ zu holen? Wie sieht der Austausch momentan aus?

Im Rahmen der diesjährigen Landeshauptleutekonferenz ist eine Reformpartnerschaft zwischen Bund, Ländern, Städten und Gemeinden angekündigt worden – dabei werden wir uns auch das Bildungssystem anschauen. Sie stellt einen wichtigen Schritt zur Verbesserung und Modernisierung unseres Bildungssystems dar. Die Partnerschaft zielt darauf ab, die Bildungslandschaft durch strukturelle Verbesserungen und die Vereinfachung von Zuständigkeiten nachhaltig zu verbessern. Ein Problembewusstsein ist hier auf allen Ebenen vorhanden, was den Austausch beflügelt.

Ein laufender Dialog mit allen Stakeholdern ist mir ein großes Anliegen. Wir haben dazu beispielsweise einen Eltern- sowie einen Schulleitungsbeirat ins Leben gerufen, wodurch wir die schulischen Anliegen von Eltern sowie von Schulleitungen bestmöglich abholen können. Wir pflegen einen engen Austausch mit den Schul- und Sozialpartnern, allen Ministerien, den Bundesländern, dem Städte- und Gemeindebund und vielen weiteren Stakeholdern. Darüber hinaus führen wir den seit einigen Jahren etablierten Beirat für Elementarpädagogik fort.

Gleich nach Ihrer Angelobung haben Sie einen Kindergarten besucht – um ein „Zeichen für die Bedeutung der Elementarpädagogik“ zu setzen – wie kann man diese besser fördern und gleichzeitig dem Fachkräftemangel entgegenwirken?

Um dem Fachkräftemangel in der Elementarpädagogik zu begegnen, starten wir eine umfassende, österreichweite Ausbildungsoffensive. Wir wollen neue Wege in den Beruf der Elementarpädagogin bzw. des Elementarpädagogen eröffnen und neue Zielgruppen für diesen Beruf mit Zukunft gewinnen. Dazu zählt, dass wir berufsbegleitende Kolleg-Plätze dezentral in allen Bezirken schaffen – auch in jenen ohne eigene Bildungsanstalt für Elementarpädagogik – und außerdem in Form eines Elementarpädagogik-Bachelorstudiums auch ein attraktives Angebot für AHS-Maturantinnen und Maturanten etablieren. Zudem soll es Weiterbildungsmöglichkeiten für berufserfahrene Kindergarten-Assistentinnen und -Assistenten geben. Für diese massive Ausbildungsoffensive investieren wir 32 Millionen Euro und schaffen so in den kommenden vier Jahren mehr als 4.000 neue Plätze in den unterschiedlichen Ausbildungsformaten. Damit wird ein großer Beitrag geleistet, den Mangel an Pädagoginnen und Pädagogen abzufedern. Weitere Schritte müssen und werden folgen, damit ausgebildete Elementarpädagoginnen und -pädagogen länger im Job bleiben.

Wie steht das österreichische Bildungssystem Ihrer Meinung nach im internationalen Vergleich da? Haben Sie Vorbilder, was Bildung und Bildungsinnovation betrifft? Gibt es Länder, an denen Sie sich orientieren?

Österreich erzielte in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte z.B. im Bereich der digitalen Kompetenzen unserer Schüler*innen, hinsichtlich des Anteils der Teilnahme an frühkindlicher Bildung, der Anzahl von Abschlüssen im Tertiärbereich oder auch im Bereich des Lernens am Arbeitsplatz. Gerade in der Berufsbildung zeigt Österreich im internationalen Vergleich ausgeprägte Stärken, wie beispielsweise eine starke Verbindung zwischen schulischer Bildung und beruflicher Praxis. So zählt Österreich laut Daten der EU-Kommission zu jenen Ländern mit einer der geringsten Übergangsphasen von der Ausbildung in das Arbeitsleben. Rund 90 Prozent der Absolvent*innen eines beruflichen Ausbildungswegs finden innerhalb weniger Monate einen Arbeitsplatz. Im EU-Vergleich sind dies beispielsweise 76%.

Gleichzeitig sehen wir, dass unsere Schüler*innen und Schüler im internationalen Vergleich im Bereich der Grundkompetenzen zurückfallen. So zählt laut der aktuellsten PISA Studie (PISA 2022) jeweils rund ein Viertel der 15-Jährigen in den drei Kompetenzbereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaft zur leistungsschwächsten Gruppe. Damit liegt Österreich rund 10 Prozentpunkte hinter dem EU-Ziel von 15%. Darin sehe ich einen klaren Handlungsauftrag.

Die Aufholjagd in der Bildung bedeutet für mich, allen Kindern und Jugendlichen die gleiche Chance auf eine hochwertige Bildung zu bieten. Es geht mir darum, durch gezielte Förderung, moderne Pädagogik und Chancengerechtigkeit die Qualität des Bildungssystems zu verbessern. Mit dem aufgestockten Ressourcenpaket im Bereich der Deutschförderung ist uns ein erster großer Meilenstein gelungen. Wir setzen in den kommenden Jahren ein klares Zeichen und lenken Ressourcen treffsicher dorthin, wo sie am dringendsten benötigt werden.

Wie haben Sie Ihre eigene Schulzeit erlebt? Was haben Sie vermisst, was hat Sie geprägt? Und wie hat sich Schule bzw. Bildung Ihrer Meinung nach seither verändert?

Ich war ein sehr wissbegieriger Schüler auf der einen Seite, habe aber auch immer für die Rechte der Schülerinnen und Schüler gekämpft, weil ich gesehen habe, dass es im Schulalltag auch viele Ungerechtigkeiten gibt. Das Bildungssystem hat meiner Meinung nach nicht mit der Entwicklung der Gesellschaft Schritt gehalten und wir müssen daher jetzt eine Aufholjagd starten.

Zwischen 2020 und 2025 waren Sie ja bereits u.a. Stadtrat für Bildung – wie blicken Sie auf diese Zeit zurück? Was konnten Sie erreichen und wo sind Sie an Ihre Grenzen gestoßen?

Es war eine sehr intensive Zeit, die von diversen Krisen wie der Pandemie, dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine oder der Familienzusammenführung geprägt war. Es ist uns in dieser herausfordernden Zeit gelungen, eine Reihe von wichtigen Bildungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen: Mehr Personal in Kindergärten, der Ausbau der verschränkten Ganztagesschule, Förderung der Bildungsinnovationen, Unterstützungspersonal an Schulen und vieles mehr.

Wie sieht, Ihrer Meinung nach, „die perfekte Schule“ aus?

Ich sehe eine gute Schule als einen Ort, der von einer engagierten und visionären Schulleitung geführt wird. Diese Führungspersonen zeichnen sich durch Innovationskraft, Mut zur Schulautonomie, Freude an der Gestaltung des Schulsystems sowie durch die Fähigkeit aus, das Kollegium inspirierend zu begleiten und zu fördern. Eine gute Schule ist auch ein Ort, an dem Lehrkräfte in Teams zusammenarbeiten, gemeinsam pädagogische Konzepte entwickeln und eine Lernumgebung schaffen, in der sich Schülerinnen und Schüler wohl und sicher fühlen, motiviert lernen und nachhaltige Lernerfolge erzielen. Diese Erfolge bilden wiederum eine wesentliche Grundlage für ihre private und berufliche Zukunft.

Eine gute Schule fördert selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen und wagt im Rahmen der Schulautonomie neue Wege. Sie sieht Fehler nicht als Defizite, sondern als wertvolle Lernmomente. Ebenso zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie eine gelebte Schulpartnerschaft pflegt – eine Beziehung, in der Eltern mit ihren Anliegen und Fragen ernst genommen und konstruktiv begleitet werden.

Darüber hinaus öffnet sich eine gute Schule ihrem Umfeld. Sie kooperiert aktiv mit Betrieben, Vereinen und Institutionen, um ein vielfältiges Angebot bereitzustellen, das sowohl die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler widerspiegelt als auch ihre Freude am Lernen steigert. Gleichzeitig bereitet sie sie praxisnah auf zukünftige berufliche Anforderungen vor. Kurzum: Eine gute Schule ist ein lebendiger, lernförderlicher und vernetzter Raum, der nachhaltig für die persönliche und gesellschaftliche Weiterentwicklung aller Beteiligten wirkt.